Mario Dobovisek: Bis zu 300.000 Menschen kommen gerade nach Deutschland, jeden Monat, schätzen Experten, auf der Flucht vor Krieg, Verfolgung und Armut. Die einen haben Anspruch auf Asyl, die anderen nicht, und das herauszufinden ist Aufgabe der Entscheider des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Doch wenn ein Flüchtling dieser Tage die Einladung zum Gesprächstermin erhält, dann stehen da Daten in drei, vier oder fünf Monaten drauf. Bis zu einem halben Jahr dauert es, bis die Verfahren abgeschlossen werden können. Das muss schneller gehen, meinen die Großkoalitionäre in Berlin, vor allem bei Flüchtlingen aus sicheren Herkunftsstaaten. Darin sind sie sich einig, nicht aber in der Frage, was mit den Flüchtlingen bis dahin passiert. Wird es Transitzonen geben oder Einreisezentren? Darum streiten sich Union und SPD seit Tagen.
Entlang der Grenze zu Österreich sind es vor allem kleinere Städte und Gemeinden, die in diesen Tagen die Last der ersten Flüchtlingshilfe stemmen müssen, bevor die vielen tausend Menschen weiter in Deutschland verteilt werden. Dort schlafen sie in ausgedienten Kasernen, in Lager- oder Sporthallen und teils sogar noch in Zelten, trotz der ersten Minustemperaturen in der Nacht. Unterkunft, Verpflegung, medizinische Versorgung, Sprachkurse, Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt, keine Aufgabe weniger Wochen, eine Herausforderung für die ganzen nächsten Jahre. Ein entschlossenes Handeln fordert daher der Deutsche Städte- und Gemeindebund. Gerd Landsberg ist dessen Hauptgeschäftsführer und jetzt bei uns am Telefon. Guten Tag, Herr Landsberg.
Gerd Landsberg: Guten Tag.
Dobovisek: Nach dem vertagten Koalitionsgipfel am Wochenende haben Sie sich enttäuscht gezeigt. Heute Vormittag hat sich die Kanzlerin mit Ihnen und weiteren Vertretern der Städte und Gemeinden getroffen. Sie hat auch Einigkeit mit Seehofer demonstriert. Was hat sie Ihnen angeboten?
Landsberg: Sie hat uns natürlich nicht konkret etwas angeboten. Es ist ja ein regelmäßiger Meinungsaustausch. Das war jetzt schon der zweite in den letzten zwei Monaten. Wir werden auch im Dezember wieder mit der Kanzlerin und auch mit Herrn Altmaier sprechen. Es ging natürlich um Detailfragen, aber es ging auch um ein Grundprinzip und da waren wir uns einig, dass der Zustrom reduziert werden muss, weil sonst in der Tat die Kommunen mit Versorgung, Unterbringung und sowieso der späteren Integration überfordert sind. Es ging auch um technische Fragen. Ich will mal ein Beispiel nennen: Flüchtlingsausweis. Wir haben ja im Moment das Problem, dass das Verfahren nicht so ordnungsgemäß abläuft, wie wir uns das wünschen. Das könnte ein Flüchtlingsausweis lösen, wo praktisch jeder einen solchen Ausweis bekommt, darin auch erfasst wird, auch seine beruflichen Fähigkeiten. Das ist ja für die spätere Integration ganz wichtig. Und Herr Weise, der bei dem Gespräch ja auch dabei war, wird das auf den Weg bringen. Das ist für uns schon ein wichtiges Signal, weil die ordnungsgemäße Abwicklung auch für die Bevölkerung natürlich ein ganz wesentlicher Punkt ist.
"Es muss ein zweites Maßnahmenpaket Integration geben"
Dobovisek: Flüchtlingszuzug begrenzen, sagen Sie, ein ganz wichtiger Punkt. Darüber wird ja gerade gestritten. Zeigt die Bundesregierung die Entschlossenheit, die Sie von ihr verlangen?
Landsberg: Ich habe diese Entschlossenheit erkannt. Man darf allerdings natürlich nicht erwarten, das wissen wir auch, dass eine Bundeskanzlerin auf einen Knopf drückt und dann ist das Problem gelöst. Wir müssen - da waren wir uns in dem Gespräch auch einig - das Problem von außen nach innen lösen. Das heißt, wir brauchen eine europäische Strategie, eine internationale Strategie, aber auch eine nationale Strategie, und das muss aufeinander abgestimmt werden. Wir brauchen weitere Maßnahmenpakete. Wir haben zum Beispiel auch gesprochen, brauchen wir nicht ein eigenes Leistungsrecht außerhalb unserer gesetzlichen Regelungen im Sozialgesetzbuch für unbegleitete Minderjährige - die schlagen zurzeit mit 4.000 bis 6.000 pro Monat zu Buche -, weil unsere Standards, die natürlich auf ganz andere Situationen zugeschnitten sind, eben so sind, wie sie sind, und da könnte ein eigenes Gesetz zur Unterbringung, Versorgung von minderjährigen Flüchtlingen sicherlich die Sache vereinfachen und auch am Ende preiswerter machen, ohne dass das schlechter wird. Wir haben natürlich gesprochen über Integration. Wir als Deutscher Städte- und Gemeindebund sind überzeugt, es muss relativ schnell ein zweites Maßnahmenpaket Integration geben. Wir haben innerhalb der nächsten zwölf Monate wahrscheinlich 300.000 Schüler zusätzlich, 100.000 Kita-Kinder. Die zaubern Sie ja nicht weg! Sie brauchen dafür Personal, Sie brauchen Einrichtungen. Darüber muss gesprochen werden. Ich persönlich bin der Ansicht, wir müssen das durch eine Änderung des Grundgesetzes auf den Weg bringen.
Dobovisek: Wie soll diese Änderung aussehen?
Landsberg: Es gibt im Artikel 91 des Grundgesetzes sogenannte Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern. Da ist zum Beispiel der Küstenschutz und die Agrarstruktur. Und da gehört aus meiner Sicht hinein die Versorgung, Unterbringung und Integration von Flüchtlingen und das hat natürlich eine finanzielle Komponente. Der Bund wird sich da dauerhaft deutlich finanziell engagieren müssen.
Dobovisek: Wie deutlich müsste das denn aussehen, wenn wir in die einzelnen Städte und Gemeinden schauen, die tatsächlich die Flüchtlinge derzeit unterbringen, wie ich beschrieben habe, zum Beispiel in Lagerhallen?
Landsberg: Sie wissen, dass wir im Moment ja ein erstes Paket der Bundesregierung hatten. Die Bundesregierung zahlt 670 Euro pro Monat pro Flüchtling, zusätzliches Geld für die unbegleiteten Minderjährigen. Das ist aber nicht die Integration und der Bau von Unterkünften ist damit gar nicht abgebildet. Das wird sehr, sehr viel höher sein. Ich will da keine Zahl nennen, aber es gibt Leute, die durchaus realistisch sagen, es wird sicherlich mehr als zehn Milliarden pro Jahr zusätzlich nötig sein. Das hat natürlich auch einen Effekt. Wenn gebaut wird, dann haben wieder Bauunternehmen Aufträge. Das kann man alles gegenrechnen. Aber wir müssen damit anfangen. Mit den Turnhallen ist es ja nicht gelöst. Die Leute müssen in Unterkünfte. Wir haben ja als Deutscher Städte- und Gemeindebund gemeinsam mit Rheinland-Pfalz so eine Holzhaus-Konstruktion entwickeln lassen, wo man relativ schnell winterfest etwas bauen kann, mit dem man auch später noch was anfangen kann, aber auch das muss natürlich finanziert werden.
Für Erstaufnahmeeinrichtungen an den deutschen Außengrenzen
Dobovisek: Zehn Milliarden Euro mehr, sagen Sie. Woher sollen die kommen? Aus mehr Steuern?
Landsberg: Die werden am Ende sicherlich jedenfalls teilweise aus den Steuermehreinnahmen kommen, oder auch aus einem größeren Engagement des Bundes und der Länder. Das ist in erster Linie eine Aufgabe von Bund und Ländern, sich darauf zu verständigen. Möglicherweise muss man an anderen Stellen sparen.
Dobovisek: Mit steigenden Steuersätzen auch?
Landsberg: Das ist sicherlich jetzt in diesem Jahr nicht aktuell, weil Bund, Länder und auch teilweise natürlich Kommunen sehr gute Steuereinnahmen haben. Aber ob das immer so bleibt, das weiß niemand. Aber wenn die Bundesregierung ja selber sagt, diese Herausforderung Flüchtlinge ist vergleichbar mit der Wiedervereinigung - jeder von uns weiß, was die Wiedervereinigung gekostet hat, und das Geld war bekanntermaßen gut angelegt -, dann müssen wir auch in diesen Dimensionen Politik machen und auch Finanzmittel bereitstellen.
Dobovisek: Nun reden wir beide, Herr Landsberg, gerade gemeinsam über den zweiten Schritt. Vor dem zweiten Schritt gibt es einen ersten, und das ist die erste Einreise nach Deutschland. Die Union, vor allem die CSU spricht über Transitzonen direkt an der Grenze, während die SPD über Einreisezentren spricht, in ganz Deutschland verteilt. Was wäre besser aus Sicht der Städte und Gemeinden?
Landsberg: Wir werden uns in diesen politischen Streit so nicht einmischen. Was ist für uns entscheidend? Für uns ist entscheidend, dass es große Erstaufnahmeeinrichtungen des Bundes, möglichst übrigens an den deutschen Außengrenzen gibt,...
Dobovisek: Also doch eher die Unions-Linie?
Landsberg: Insoweit ja, wo Leute aus sicheren Herkunftsländern oder Leute, die auch ihre Identität verschleiern, so lange bleiben, bis das geklärt ist, dass sie entweder ausreisen oder abgeschoben werden, dass sie jedenfalls nicht auf die Kommunen verteilt werden. Wir haben in dem Gespräch noch mal deutlich gemacht auch das Beispiel Rheinland-Pfalz, dass da immer noch ein Großteil auch von Personen aus sicheren Herkunftsländern nicht in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder bleiben, sondern - aus Not natürlich - auf die Kommunen verteilt werden, obwohl man bereits am 24. September auf der Ministerpräsidentenkonferenz es anders verabredet hatte. Das ist auch ganz wichtig, dass das, was man beschließt, dann auch wirklich umgesetzt wird. Da haben wir auch noch mal sehr großen Wert drauf gelegt. Deswegen wäre eine Struktur, wo es Einrichtungen des Bundes gibt - ob wir die nun Transitzonen nennen oder Einreisezentren, das ist für uns sekundär. Entscheidend ist, dass die Leute erst zu uns kommen, wenn sie eine Bleibeperspektive haben. Das würde uns entlasten und ein bisschen Luft zum Atmen geben. Deswegen sind wir für eine solche Struktur und hoffen auch sehr, dass die Koalition sich da verständigt.
Dobovisek: Die große Frage dahinter lautet ja: Wie wollen wir Flüchtlinge oder wie wollen Politiker die Flüchtlinge dazu bewegen, in diese Zonen tatsächlich hineinzugehen? Wie lautet Ihre Antwort?
Landsberg: Ich glaube, die Antwort ist gar nicht schwierig. In dem Moment, wo Sie sagen, Du bekommst Leistungen nur unter der Bedingung, dass Du Dich dort registrieren lässt, dort Deinen Flüchtlingsausweis bekommst, und wenn Du das nicht hast, bekommst Du keine Leistung, Du hast auch Nachteile im späteren Asylverfahren, dann wird sich jeder das gut überlegen.
Dobovisek: Gerd Landsberg ist Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Vielen Dank für das Gespräch.
Landsberg: Bitte schön!
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