Philipp May: Am Telefon mitgehört hat Professor Robert Kappel, Afrika-Experte beim Hamburger Giga-Institut für globale und regionale Studien. Guten Abend.
Robert Kappel: Guten Abend, Herr May.
May: Herr Kappel, Sie haben es gehört: Es sollen mehr Flüchtlinge aufgenommen werden, dazu Asylzentren in Afrika eingerichtet werden. Es soll auch mehr Entwicklungshilfe für die Herkunftsländer geben. Sind das alles die richtigen Maßnahmen?
Kappel: Na ja. Wir befinden uns in einer sehr komplexen Situation. Wir wissen alle, dass noch mehr Migranten und Flüchtlinge nach Europa kommen wollen. In Afrika sind 15 Millionen Menschen auf der Flucht und viele möchten nach Europa kommen, wie der Bericht sagte, in das gelobte Land Europa. Erst mal ist das ein richtiger Schritt, durch einen kleinen Gipfel jetzt die afrikanischen Staaten, die besonders stark betroffen sind, und die Europäer zusammenzubringen, auch die Länder, die besonders viele Asylanten aufnehmen. Das ist ein richtiger Schritt und insofern kommt dieser Gipfel auch zur richtigen Zeit. Er ist ja eine Vorbereitung auf den EU-Afrika-Gipfel, der im November in Abidjan stattfindet, und hier werden Zeichen gesetzt. Einmal holt man den UNHCR mit ins Boot, der ja unterfinanziert ist, und wenn hier mehr Geld für Lager gegeben wird, dann ist das natürlich erst mal ein Schritt in die richtige Richtung. Und es ist auch richtig, für Asylanten sozusagen Kontingente für die Aufnahme in der Europäischen Union zu gewähren. Das sind Schritte, die notwendig sind und die der komplexen Situation jetzt auch gerecht werden.
Afrikanische Staaten müssen Engagement zeigen
May: Was ich mich noch frage: Jetzt werden in diesen Flüchtlingszentren irgendwo in Afrika dann die meisten Menschen wahrscheinlich abgewiesen und als sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge einsortiert. Die gehen dann einfach wieder nach Hause?
Kappel: Nein, sie werden nicht nach Hause gehen, weil die Lage in ihren Ländern prekär ist und auch unerträglich ist. Eritrea, Guinea, Nigeria und einige andere Länder, dort ist die Lage so prekär und so schwierig für die Menschen, dass immer wieder junge Menschen versuchen, doch wegzukommen. Von daher muss man nicht nur mit Tschad, Niger und Libyen verhandeln, um die Probleme zu beseitigen, sondern man muss auch in die Länder gehen, wo die Menschen wirklich herkommen, und hier fehlt es noch an einer Konzeption. Es ist natürlich auch nicht einfach, mit allen Ländern sofort alle Verhandlungen zu führen, aber es geht in die richtige Richtung. Aber es muss jetzt auch der nächste Schritt kommen. Warum kommen so viele Menschen aus Eritrea, aus dem Sudan, aus Guinea, aus Nigeria und versuchen, über diese schwierigen Wege in Libyen, wo sie ihr Leben riskieren, doch noch irgendwie nach Europa rüberzukommen. Da muss man einen Schritt weitergehen. Es lässt sich auch dieses Problem nicht beseitigen mit Entwicklungspolitik. Hier müssen die afrikanischen Staaten auch viel mehr Engagement zeigen. Sie sind natürlich oft sehr schwach und auch sehr arm, aber hier werden jetzt die Weichen, glaube ich, richtiggestellt.
May: Okay. Dann gehen Sie doch mal konkret mit uns einen Schritt weiter und sagen Sie uns, wie der aussieht.
Kappel: Na ja. Der nächste Schritt muss jetzt sein, erstens, was ich schon lange empfohlen habe, dass die Botschaften Frankreichs und der Europäischen Union, auch Deutschlands ein Kontingent von möglichen Asylbewerbern, Menschen, die nach Europa kommen werden, einwandern lassen. Das wäre ein Schritt, wo man sagt, wir nehmen Afrikaner auf, wir tun etwas, ob es Migranten sind oder Flüchtlinge sind, darüber kann man ja auch noch streiten.
Entwicklungshilfe allein reicht nicht aus
May: Also ein europäisches Einwanderungsgesetz sozusagen?
Kappel: Wir brauchen ein europäisches Einwanderungsgesetz. Wir brauchen eine europäische Einwanderungspolitik. Denn die Probleme lassen sich nicht kurzfristig lösen. Man braucht sozusagen einen längeren Atem. Man braucht viel Finanzierung. Und man braucht, um die Fluchtursachen zu bekämpfen, von denen ja immer wieder die Rede ist, auch wirklich eine strategische Kooperation zwischen den afrikanischen Staaten und der Europäischen Union. Und wir brauchen nicht nur Entwicklungshilfe, sondern wir brauchen Wirtschaftskooperation, technologische Kooperation. Wir brauchen Ansätze, damit Menschen, die geflüchtet sind, auch in den Lagern eine wirtschaftliche Perspektive haben, und darüber muss man auch reden.
May: Diese Entwicklungshilfe soll es ja jetzt mehr geben. Das wird nichts bringen, sagen Sie? Das kommt nicht bei den richtigen Leuten an?
Kappel: Nein, das würde ich nicht sagen. Entwicklungshilfe ist notwendig in dieser fragilen Situation. Entwicklungshilfe kann steuern, kann über Kooperation mit den Staaten und den Zivilgesellschaften Möglichkeiten eröffnen, dass Menschen auch eine Zukunft in ihren Ländern haben und auch in den Flüchtlingslagern eine Zukunftsperspektive haben, beispielsweise, dass sie dort arbeiten dürfen, Unternehmen aufmachen dürfen, Ausbildung haben, Kliniken, Schulen aufbauen, sodass ein erster Schritt gemacht wird. Aber das reicht nicht aus.
Frieden und Sicherheit an erster Stelle
May: Jetzt ist aber in Europa, in vielen Staaten – in Italien stehen ja auch bald Wahlen an; im März, glaube ich – der Druck so groß, dass es kurzfristige Lösungen braucht.
Kappel: Ja! Von daher ist dieser kleine Pariser Gipfel natürlich ein Schritt gewesen. Hier werden ja auch Gelder zur Verfügung gestellt, die jetzt erst mal fließen müssen. Es bedarf auch einer Zeit und insofern ist es auch wichtig, dass der UNHCR mit ins Boot kommt, denn der hat Kompetenzen, wie man mit Flüchtlingen umgeht, wie man Lager organisiert und so weiter. Aber wie gesagt, wir brauchen hier eine langfristige Strategie, und über die muss Europa mit Afrika gemeinsam Lösungen finden. Es kann nicht sein, dass wir unsere Ideen einbringen, wir Finanzierungen zur Verfügung stellen, wenn die afrikanischen Länder nicht selbst einen Schritt machen, um auch die wirtschaftliche Lage zu verbessern, dass den Menschen, die flüchten, die um Asyl ansuchen, auch zuhause eine Perspektive angeboten wird. Zuhause bleiben heißt Sicherheit, keine kriegerischen Auseinandersetzungen, Beseitigung der Fragilität in den Staaten und Perspektiven und Vertrauen wieder für die Menschen schaffen, dass sie zuhause bleiben.
May: Langfristig ist man auf einem guten Weg, aber kurzfristig muss man auf die libysche Regierung setzen beziehungsweise libysche Milizengruppen, die dafür sorgen, dass Ruhe auf dem Mittelmeer ist?
Kappel: Na ja. Libyen ist natürlich das Hauptproblem. Dieser Staat existiert nicht und mit denen man jetzt verhandelt hat, die repräsentieren vielleicht ein Viertel der Bevölkerung. Das ist noch keine Lösung, weil der libysche Staat noch nicht gefestigt ist, und hier müssen natürlich vermehrt Anstrengungen laufen, um Libyen zu stabilisieren. Das heißt, die Kriegsparteien müssen an einen Tisch kommen. Wir wissen alle, wie schwierig das ist, aber Frieden und Sicherheit für die Menschen, auch in Libyen, das ist die erste Aufgabe, die sich stellt. Und dann muss man einen Schritt weitergehen, mit den Ländern kooperieren, aus denen die Menschen vor allem kommen.
Weitere Fluchtwellen zu erwarten
May: Herr Kappel, eine letzte Frage noch. Ich habe es ja schon in meiner Anmoderation gesagt. Die Zahl der Menschen, die von Libyen übers Mittelmeer nach Europa gelangen, die ist ja zurzeit im Vergleich zum Vorjahr um über 90 Prozent zurückgegangen. Keiner weiß genau warum. Die libysche Küstenwache und die europäische Grenzschutz-Sicherungsagentur Frontex, die sagen, das sei ihrem Einsatz zu verdanken. Einige Experten sagen dagegen, das liegt daran, dass eine Schmugglermiliz die Seiten gewechselt haben soll und jetzt die Leute statt übers Mittelmeer zu bringen von der Flucht abhält, wie auch immer sie das tut. Was sagen Sie?
Kappel: Na ja. Die Menschen sind auf der Flucht. Es sind Hunderttausende, wenn nicht Millionen auf der Flucht. Sie sind in den Lagern, sie sind unterwegs irgendwo, warten ab, wie die Lage sich entwickelt. Und sobald sich eine Möglichkeit eröffnet, auch über Marokko beispielsweise wieder nach Europa zu kommen, oder andere Wege werden gesucht. Hier ist jetzt eine Art "Ruhepause" eingetreten, aber der Druck ist weiterhin da und wir werden noch viele Fluchtwellen haben, bevor wir sagen können, aha, wir haben das Problem ein bisschen gelöst und die Menschen bleiben aufgrund größeren Vertrauens jetzt in ihren Ländern und gehen nicht auf den Weg nach Europa.
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