Seine Partei habe allerdings große Skepsis, dass dies auf europäischer Ebene rasch gelinge, sagte CSU-Generalsekretär Scheuer im Deutschlandfunk. Daher müsse man den Mut zu nationalen Entscheidungen haben. Seine Partei sei in der Flüchtlingspolitik immer bei ihrem Kurs geblieben. Das mache sich bemerkbar: "In Bayern liegt die AfD bei Umfragen unter zehn Prozent". Deutschland profitiere derzeit maximal von der Schließung der Balkanroute. Die Wahlergebnisse hätten gezeigt, dass dies auch so bleiben müsse. Die Bürger hätten signalisiert: noch ein Mal eine Millionen Flüchtlinge, "das schaffen wir 2016 nicht".
Das Interview in voller Länge:
Sandra Schulz: Wirbel in die Parteienlandschaft bringt gestern die AfD, um nicht zu sagen Erschütterungen mit ihren Erfolgen bei allen drei Landtagswahlen. Standardkoalitionen werden wohl in allen drei Ländern nicht möglich sein und weil die Wahlen gesehen wurden als Abstimmung über die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Merkel, wollen wir die Ergebnisse einordnen mit einer Partei, die gestern gar nicht zur Wahl gestanden hat: mit der CSU. Am Telefon begrüße ich deren Generalsekretär Andreas Scheuer. Guten Morgen!
Andreas Scheuer: Guten Morgen.
Schulz: Warum hat die CSU die Kanzlerin und auch die CDU so geschwächt vor der Wahl?
Scheuer: Diese Analyse, das ist jetzt ein netter Versuch. Aber mit simplen Erklärungen kommen wir nicht weiter und ein Schönreden kann es nach diesem Wahlausgang auch nicht geben. Fakt ist, dass man nach einer solchen Wahl nicht gleich wieder die falschen Analysen ziehen darf. Hintergrund ist, dass sich im letzten halben Jahr die politische Landschaft in Deutschland verändert hat, und das hat dieses Wahlergebnis gezeigt. Viele Protestwähler haben ihren Unmut ausgedrückt über das alles überlagernde Thema der Flüchtlingsthematik und von daher müssen jetzt alle Parteien, die bei den drei Landtagswahlen zur Wahl gestanden haben, von der etablierten Seite klar den Schluss ziehen, ja wir haben verstanden. Deswegen brauchen wir - und das sagt die CSU immer - mit einem klaren Kurs schnelle, wirksame Lösungen, um die Begrenzung des Zustroms zu erreichen.
Schulz: Herr Scheuer, wenn Sie da von einem Umbau sprechen, hat die CSU dann nicht auch ordentlich mit umgebaut? Ihr Chef Horst Seehofer, der hat von einer Herrschaft des Unrechts gesprochen. Er droht mit einer Klage in Karlsruhe, und gerade dieser Punkt, Recht und Ordnung müssten wiederhergestellt werden, der ist von der AfD ja teils wörtlich aufgegriffen worden. Frauke Petry hat sich auch auf das Gutachten von Di Fabio berufen, das Ihre Partei ja eingeholt hat. Ist das nicht klar, dass das bei vielen Menschen für Verunsicherung sorgt?
Scheuer: Tatsachen kann man nicht wegdiskutieren und Horst Seehofer hat Recht, wenn er sagt, wir haben Rechtsbruch, und deswegen müssen wir wieder zurückkehren zu Recht und Ordnung. Der Hintergrund ist, dass die CSU die Reden und die Statements nicht umschreiben muss im über letzten halben Jahr, sondern wir immer bei unserem Kurs geblieben sind und gewarnt haben davor, wenn wir nicht den Mut haben, auch nationale Handlungen zu machen. Wir haben die Skepsis, dass schnell europäische und internationale Beschlüsse kommen, damit wirksam der Zustrom eingedämmt wird, und das haben wir auch immer gesagt. Im Übrigen muss man sagen, in Bayern liegt die AfD in den Umfragen unter zehn Prozent und die CSU bei nahezu 50 Prozent. Das ist auch klare Tatsache.
"Wir haben einen Rechtsbruch an den EU-Außengrenzen."
Schulz: Können Sie es noch mal kurz erklären, weil ja auch gerade dieses Gutachten, mit dem Sie die ganze Zeit arbeiten, recht schwer zu lesen ist. Gegen welche Gesetze wird denn konkret verstoßen?
Scheuer: Wir werden jetzt nach dem Gutachten, das klar zeigt, wir haben beispielsweise durch die Aussetzung des Paragraphen 18.2 Asylverfahrensgesetz die Lage, dass wir illegale Einreise tolerieren, und …
Schulz: Herr Scheuer, gegen welche Gesetze wird verstoßen?
Scheuer: Sage ich Ihnen doch gerade!
Schulz: Ach so! Habe ich noch nicht gemerkt.
Scheuer: 18.2 ist ausgesetzt, der wurde ausgesetzt, und wir haben klare Vereinbarungen, dass wir illegale Einreise normal in Europa nicht tolerieren. Wir machen aber das und deswegen müssen wir wieder - an dem einen Beispiel sieht man es ja - zu einem geordneten Verfahren zurückkehren. Wir haben Rechtsbruch an den EU-Außengrenzen. Wir haben ausgesetzte Dublin-Verfahren, an der nationalen Grenze werden einfach die Flüchtlinge in Busse gesetzt und registriert und in Deutschland verteilt. Das widerspricht dreifach den Gesetzen, die wir in Europa vereinbart haben, und deswegen werden wir auch die Klage vorbereiten.
Schulz: Herr Scheuer, den Paragraph 18, den Sie gerade zitieren, der ist ja ausgesetzt vom Innenminister. Das ist ja per se nicht der Rechtsbruch. Gegen welches Gesetz wird verstoßen?
Scheuer: Natürlich ist es als Aussetzung auch ein klarer Rechtsbruch an dieser Stelle, weil Di Fabio kommt ja zum Schluss, dass wir durch diese rechtsfreien Räume, die wir durch Entscheidungen auf der europäischen und auf der nationalen Ebene gehabt haben im letzten halben Jahr, nicht mehr wirksam unser Staatsgebiet schützen. Mit einer Reihe von solchen Entscheidungen haben wir über eine Million in 2015 bei uns aufgenommen und die Bürgerinnen und Bürger sagen von diesem Wahlabend, dass wir das eben nicht mehr schaffen in 2016, und deswegen müssen wir auf europäischer Ebene zu Beschlüssen kommen und zu Lösungen kommen. Aber die CSU hat auch immer gesagt, dass wir skeptisch sind, dass die wirksam und schnell kommen. Deswegen müssen wir auch den Mut haben, national zu entscheiden, und Deutschland profitiert gerade massiv davon, dass die Balkan-Staaten mit Österreich zusammen diese Route geschlossen haben, und die muss auch geschlossen bleiben. Das zeigt auch das Wahlergebnis.
Schulz: Wenn das alles so klar ist, worauf wartet die CSU denn mit ihrer Klage in Karlsruhe eigentlich noch?
Scheuer: Wir warten nicht auf irgendwas, sondern wir erwarten erst einmal die Antwort von der Bundesregierung auf den Brief des bayerischen Ministerpräsidenten an die Bundeskanzlerin, und parallel dazu wird die Klage vorbereitet. Die bayerische Staatsregierung hat einen Prozessbevollmächtigten eingesetzt, der jetzt die Klage vorbereitet. Es müssen ja auch die Unterlagen gerichtsfest gemacht werden und in diesem Prozess sind wir. Wir sind mit Hochdruck da dran!
Schulz: Wenn die Kanzlerin Ihnen gar nicht formal antworten sollte, dann würden Sie auf die Klage verzichten? Verstehe ich das richtig? Geben Sie dann nicht das Heft aus der Hand?
Scheuer: Wir gehen einmal davon aus, dass die Bundesregierung dem bayerischen Ministerpräsidenten antwortet. Das ist einmal der erste Punkt. Und der zweite Punkt: Ich habe gerade gesagt, dass mit Hochdruck die Klage vorbereitet wird. Es ist kein Zeitverlust und wir bleiben bei unserem Kurs. Aber unterm Strich - deswegen wollten wir ja miteinander reden - bleibt der Wahlabend für die etablierten Parteien nicht erfreulich und deswegen wird die CSU in dieser Woche sehr klar formulieren, wenn die etablierte Politik nicht die Kraft hat, jetzt eine klare Botschaft an die Bürger zu geben unter dem Motto, ja, wir haben verstanden, dann wird es sich noch verschlechtern und das Protestpotenzial zunehmen. Das will die CSU nicht, weil wir mit allen Kräften gegen Extreme kämpfen, und wenn man sich in Sachsen-Anhalt anschaut, dass allein 40 Prozent zu extremen Parteien gegangen sind, wenn ich die Linkspartei auch noch dazuzähle, dann schwächt das die bürgerliche Mitte und das kann nicht unser Ziel sein.
"Wir wollen eine Lösung zusammen mit Angela Merkel"
Schulz: Jetzt ist so ein Status quo eingetreten, in dem es schon fast zur Normalität gehört, dass es permanente Drohungen aus der CSU gibt. Jetzt würde ich gerne noch mal den Blick richten auf die Bundestagswahl 2017. Da hatte Horst Seehofer ja offen gelassen, ob die CSU sich da noch mal hinter die Kanzlerin stellt, wenn sie bei ihrem Kurs bleibt. Die hat jetzt mehrfach immer wieder gesagt, ich bleibe bei meinem Kurs. Heißt das, Sie werden die Kanzlerin nicht unterstützen?
Scheuer: Wir haben immer gesagt als CSU, wir wollen mit der CDU zusammen und mit Angela Merkel eine Lösung. Aber die Lösung steht im Vordergrund und wir werden jetzt den europäischen Gipfel am Ende der Woche genau ansehen. Zum einen ist ja die Botschaft von den Balkan-Staaten und Österreich, dass diese Route geschlossen ist. Wir müssen aber auch damit rechnen, dass die Mittelmeer-Route bei besserem Wetter, Stichwort Afrika-Route, wieder anspringt. Politik muss ja vorausschauend handeln. Und dann werden wir uns anschauen, was das Abkommen mit der Türkei als Ergebnis hat. Es kann keinen schmutzigen Türkei-Deal geben, wo das Kontingent nicht ein europäisches Kontingent ist, sondern nur ein deutsches, und davor wird die CSU warnen. Wenn es so weitergeht in dem Zustrom nach Deutschland - und da sage ich bewusst nach Deutschland und nicht nach Europa -, dann wird das Protestpotenzial in Deutschland zunehmen. Deswegen muss sich die Union jetzt gut vorbereiten und die richtige Analyse treffen. Dann werden wir auch wieder Erfolg haben.
Schulz: Um das noch mal zu verstehen. Im Moment ist noch nicht klar, ob die CSU sich hinter Kanzlerin Merkel stellt, und das entscheiden Sie dann nach dem nächsten EU-Gipfel. Habe ich das richtig verstanden?
Scheuer: Wir haben erst einmal die Aufgabe, jetzt europäische und internationale Beschlüsse wirksam umzusetzen, wenn die gerade Ende dieser Woche getroffen werden, und dabei haben wir immer die Bundeskanzlerin unterstützt. Aber die Skepsis in der CSU ist auch sehr, sehr groß, dass dies wirksam gemacht wird. Wir haben im Herbst 2015 ein Kontingent beschlossen in Europa von 160.000 zur Verteilung und verteilt sind nicht einmal 500. Deswegen sagen wir: Wenn das nicht schnellstens umgesetzt wird, was europäisch beschlossen ist, dann müssen wir den Mut haben, national zu entscheiden, und dazu laden wir auch immer die CDU ein.
Schulz: CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer hier in den "Informationen am Morgen". Ganz herzlichen Dank für das Interview.
Scheuer: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.