Archiv

Flüchtlingspolitik
"Zelte sind letzte Möglichkeit"

Christine Kampmann (SPD) hat sich im DLF gegen den CSU-Vorschlag ausgesprochen, Zeltstädte als Abschreckungsmittel gegen Flüchtlinge einzusetzen. Sie bezeichnete den Vorschlag als "absolut indiskutabel" und forderte statt dessen, Bürgerkriegsflüchtlinge schneller auf die Kommunen zu verteilen.

Christine Kampmann im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Flüchtlinge sitzen auf Feldbetten in einem Zelt der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen.
    Viele Erstaufnahmelager müssen in Deutschlanf schon Zeltstädte für die zugereisten Flüchtlinge aufbauen. (picture alliance / dpa/ Boris Roessler)
    Martin Zagatta: In Brüssel unternehmen die Innenminister der EU heute einen neuen Anlauf, Zehntausende von Flüchtlingen gerechter auf die Mitgliedsländer zu verteilen, über eine Quote. Derweil sind in Deutschland die Erstaufnahmelager schon so überfüllt, dass vielerorts Zeltstädte eingerichtet werden, und die Angriffe auf Unterkünfte oder geplante Unterkünfte gehen weiter, jetzt auch in Remchingen bei Karlsruhe. Die CDU allerdings fordert rigorose Maßnahmen. Gudula Geuther berichtet.
    Ein Bericht von Gudula Geuther. Und wenn wir jetzt mit der SPD-Politikerin Christina Kampmann sprechen, die Mitglied im Innenausschuss des Bundestages ist, dann sollten wir auch noch vorausschicken, dass Horst Seehofer auch gesagt hat, Flüchtlinge aus Bürgerkriegsländern, die würden jeden Schutz verdienen. Guten Tag, Frau Kampmann!
    Christina Kampmann: Guten Tag!
    Zagatta: Frau Kampmann, die CSU schlägt angesichts der hohen Flüchtlingszahlen jetzt Alarm, fordert rigorose Maßnahmen, schnelle Maßnahmen. Sehen Sie denn auch Handlungsbedarf zumindest?
    Kampmann: Wir sehen auf jeden Fall auch Handlungsbedarf, das wurde im Beitrag schon mal angesprochen. Es kommen sehr viele Flüchtlinge aus den Balkanstaaten. Da brauchen wir eine andere Verteilung, und vor allem brauchen wir eine schnellere Bearbeitung der Anträge, damit die, wenn sie keinen Schutz bei uns genießen, dann eben auch entsprechend schnell wieder rückgeführt werden können.
    Schnellere Rückführung notwendig
    Zagatta: Schnellere Verfahren, das hören wir ja jetzt schon seit Monate, wenn nicht sogar Jahren. Warum passiert das nicht?
    Kampmann: Wir sind da schon in Arbeit. Dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sind auch mehr Stellen versprochen worden. 2.000, das wird eine erhebliche Entlastung für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sein. Das heißt, mit mehr Personal werden natürlich auch die Anträge schneller bearbeitet werden können, und mit der Einstufung der sicheren Herkunftsstaaten, wie bereits im letzten Jahr geschehen, wird es dann auch möglich sein, eine schnellere Rückführung hinzubekommen.
    Zagatta: Jetzt geht man ja in den Reihen der CSU davon aus, dass das mit den sicheren Herkunftsstaaten noch ausgeweitet werden müsste. Wie stehen Sie dieser Forderung gegenüber?
    Kampmann: Der stehe ich sehr kritisch gegenüber, und dafür gibt es meiner Meinung nach auch sehr gute Argumente. Wir hatten Anfang des Jahres plötzlich sehr, sehr viele Flüchtlinge, die aus dem Kosovo kamen. Jetzt haben wir viele, die aus Albanien kamen. Und wir haben das mit den Kosovaren so hinbekommen, dass wir gute Aufklärungsmaßnahmen gemacht haben, das heißt, wir haben gezeigt, in Deutschland erwartet sie nicht das Paradies, sondern das, was Herr Seehofer als Mindeststandard beschreibt. Das haben wir hier bereits. Und mit diesen Informationskampagnen haben wir es geschafft, die Zahl derer, die aus dem Kosovo zu uns kommen, ganz deutlich zu reduzieren. Das heißt, wir brauchen das Instrument der sicheren Herkunftsstaaten nicht zwingend, und deshalb halte ich auch eine Ausweitung dieses Instrumentes für nicht notwendig.
    Zagatta: Jetzt sprechen aber die neuesten Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge da eigentlich dagegen. Da heißt es immer noch, fast die Hälfte, also gut 40 Prozent, glaube ich, derjenigen, die hier Asyl beantragen, kommen nicht aus Bürgerkriegsländern wie Syrien oder dem Irak, sondern die kommen vom Balkan.
    Kampmann: Genau. Es kommen immer noch sehr, sehr viele Flüchtlinge vom Balkan, aber ich kann ja die Zahlen für den Kosovo gerade mal nennen. Anfang des Jahres kamen teilweise bis zu 1.500 Flüchtlinge am Tag aus dem Kosovo nach Deutschland. Das haben wir auf 50 bis 60 reduziert. Jetzt setzt sich das mit Albanien fort, aber ich glaube, wenn wir es hinbekommen, dass wir einmal die Verfahren beschleunigen, dass wir aber auch darauf verzichten, die Flüchtlinge aus dem Balkan auf die Kommunen zu verteilen. Ich glaube, dass wir dann eine erfolgreiche Politik machen können, weil wir damit die Kommunen ganz entscheidend entlasten können.
    Wir brauchen Entastung der Grenzkommunen
    Zagatta: Ist das denn realistisch? Denn wir hören ja gerade in diesen Tagen, dass die Erstaufnahmelager aus allen Nähten platzen, dass da in ganz Deutschland jetzt Zeltstädte eingerichtet werden.
    Kampmann: Also ich habe noch nicht gehört, dass in ganz Deutschland Zeltstädte eingerichtet werden. Es ist richtig, viele sind an den Grenzen angekommen, viele brauchen kreative Lösungen, um damit fertig zu werden. Das ist nicht leicht. Ich glaube, wir brauchen eine weitere Entlastung der Kommunen, damit sie eben weitere Unterbringungsmöglichkeiten schaffen können. Aus meiner Sicht sollten Zeltstädte wirklich die letzte Möglichkeit darstellen, und ich finde, wir sollten weiter nach anderen Möglichkeiten suchen, um da eine finanzielle Entlastung durch den Bund den Kommunen zukommen lassen.
    Keine Zwei-Klassen-Gesellschaft bei Flüchtlingen
    Zagatta: Frau Kampmann, wir haben gestern gerade ausführlich über eine Zeltstadt berichtet, die in Bitburg jetzt eingerichtet wurde, weil man in dem Erstaufnahmelager in Trier, dort in Rheinland-Pfalz, nicht mehr nachgekommen ist. Die CSU schlägt jetzt vor, wenn ich die Vorschläge richtig verstanden habe, um gerade Flüchtlinge vom Balkan abzuschrecken, man solle die bevorzugt vielleicht auch in Zelten unterbringen. Ist das für Sie diskutabel?
    Kampmann: Das ist für mich absolut nicht diskutabel. Ich glaube, wir können da auch bei den Flüchtlingen keine Zweiklassengesellschaft darstellen. Ich halte wirklich die prioritäre Verteilung von Flüchtlingen, die dann aus den Bürgerkriegsländern kommen, auf die Kommunen, für die bessere Möglichkeit, und ich glaube, dass das so nicht hilft, und ich glaube, wenn sich Herr Seehofer mal das, was er unter Mindeststandards diskutiert, wenn er sich das tatsächlich auch mal in den Kommunen anschaut, dann sieht er, da sind schon nicht mehr als Mindeststandards. Die Unterbringungssituation, die ist schon sehr prekär. Die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die sind schon sehr prekär. Das heißt, wir haben keine Luxussituation für Flüchtlinge, und deshalb halte ich die Rhetorik, mit der Herr Seehofer da in die Diskussion geht, auch für höchst gefährlich.
    Zagatta: Da argumentiert jetzt aber nicht nur Herr Seehofer, dass das, was Balkan-Flüchtlinge hier an finanziellen Zuwendungen bekommen, wenn sie sich hier um Asyl bewerben, dass das weit über dem Gehalt dort in der Region liege, dass das ein finanzieller Anreiz sei, und deshalb müsse man gerade für diese Länder vielleicht da etwas unternehmen, das zu streichen, das abzusenken. Da sehen Sie überhaupt keine Notwendigkeit?
    Kampmann: Da sehe ich deshalb keine Notwendigkeit, weil die meisten Flüchtlinge, die aus den Balkanländern kommen, gar kein Asylrecht bei uns haben. Das heißt, die Schutzquote, also die Quote derer, die tatsächlich ein Asylrecht haben, die liegt bei den meisten bei unter einem Prozent, und daran kann man eben sehen, dass die meisten gar kein Anrecht auf Leistung hier haben.
    Jeder sollte Recht auf Antragsprüfung haben
    Zagatta: Aber dieses Taschengeld, das da immer im Gespräch ist?
    Kampmann: Ja, aber wir können nichts anderes machen. Ich glaube, jeder sollte die Möglichkeit haben, dass sein Antrag auf Asyl hier geprüft wird, denn es gibt ja durchaus auch Flüchtlinge aus den Balkanstaaten, die dann hier ein Anrecht haben. Und da ist eben keine andere Möglichkeit, wenn wir weiterhin in einem Rechtsstaat leben wollen, und ich glaube, diesen Anspruch sollten wir haben, dass wir tatsächlich auch jeden Asylantrag weiterhin prüfen.
    Zagatta: Also dieser Taschengeld-Vorschlag kommt für Sie auch nicht in Frage, obwohl die CSU ja unter Umständen zu Recht darauf hinweist, dieses Taschengeld, was da gezahlt wird, das ist ja zum Beispiel höher als das, was die griechischen Rentner da in letzter Zeit abheben konnten.
    Kampmann: Das ist wieder ein derart populistischer Vorschlag. Das kommt für mich auch nicht in Frage, weil ich glaube, wir können nicht differenzieren. Es wäre falsch, zwischen den Flüchtlingen, wenn es darum geht, ein Asylrecht zu haben, zu differenzieren. Wir müssen natürlich gucken, wie wir diejenigen, die keinen Anspruch hier haben, wie wir die schneller wieder zurückführen können. Aber bis dahin möchte ich keine Zweiklassengesellschaft bei den Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen, haben.
    Antwort darf nicht billiger Populismus sein
    Zagatta: Frau Kampmann, jetzt befürchten ja auch Experten angesichts dieser Krise, die sich ja nicht entschärft in Syrien, im Irak, dass noch weit mehr Flüchtlinge demnächst kommen. Und wenn jetzt mittlerweile auch in reichen Bundesländern wie in Baden-Württemberg geplante Flüchtlingsunterkünfte brennen und sich Widerstand regt, kann man das damit abtun, dass solche Taten dann Rechtsradikalen anzulasten. Oder sind das konkret Probleme, wo die Politik vielleicht doch mit neuen Maßnahmen reagieren müsste?
    Kampmann: Natürlich sind das Probleme, und denen müssen wir auch uns als Politik stellen. Ich glaube, die Antworten darauf dürfen aber kein billiger Populismus sein, sondern wir müssen ganz konkret informieren, wir müssen Räume schaffen, wo sich die Menschen, die schon länger hier leben, und Flüchtlinge begegnen, damit sie sich persönlich kennenlernen. Denn wenn jemand einen Flüchtling kennenlernt, der ihm seine Geschichte erzählt, dann gibt es oft ganz viel Verständnis. Und ich glaube, das müssen wir einfach ausweiten, da müssen wir mehr Möglichkeiten schaffen. Und wir brauchen vor allen Dingen eben auch eine gerechtere Verteilung auf andere europäische Staaten. Das ist ja gerade wieder ganz konkret im Gespräch, weil es ist klar, dass wir die Last in Deutschland nicht ganz alleine tragen können.
    Zagatta: Frau Kampmann, das, was Sie jetzt hier sagen, so vernünftig das ja wahrscheinlich auch ist, da würden viele Kommunalpolitiker Ihnen sagen, dieses Interview hätten wir vor einem Jahr auch schon führen können, da hätten Sie genau so argumentiert. Warum hören wir immer wieder: Schnellere Verfahren, konsequente Abschiebung, und die Kommunen klagen immer noch und fühlen sich allein gelassen?
    Kampmann: Sie haben die hohen Zahlen der Flüchtlinge, die zu uns kommen, ja gerade schon genannt. Das sind eben in diesem Jahr mehr als doppelt so viele wahrscheinlich wie im vergangenen Jahr. Aber es gibt eben auch schon ganz konkrete Maßnahmen, wie wir die Kommunen entlasten. Wir haben die finanzielle Entlastung für dieses Jahr um das Doppelte erhöht. Wir wollen mehr Stellen beim BAMF schaffen, das wurde ganz fest beschlossen und auch schon versprochen. Und es gibt im Moment eine Arbeitsgruppe, die über eine strukturelle Entlastung der Kommunen bei der Flüchtlingsunterbringung ab dem nächsten Jahr diskutiert und die im Herbst ganz konkrete Ergebnisse vorlegen wird. Das heißt, da hat sich schon viel getan, wir müssen aber trotzdem mit den Kommunen im Gespräch bleiben, damit wir auf die großen Herausforderungen, die in Zukunft auf uns zukommen werden, auch gut gerüstet sind.
    Zagatta: Die SPD-Innenpolitikerin Christina Kampmann heute Mittag im Deutschlandfunk. Frau Kampmann, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!
    Kampmann: Sehr gerne. Vielen Dank Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.