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Flüchtlingsprojekte
Mehr als narzisstische Pseudohilfe

Tanz, Fotografie, Theater, Malerei, Musik: Es gibt kaum eine Kunstform, die sich derzeit nicht mit dem Thema Flüchtlinge auseinandersetzt: Dabei bleiben die Bedürfnisse der Flüchtlinge selbst manchmal auf der Strecke - gut gemachte Kulturhilfe kann aber auch Gemeinschaftlichkeit fördern.

Von Isabelle Klein |
    Eine Frau und ein Mann mit einem Regenschirm mit der Aufschrift "Refugees welcome" nehmen in der Innenstadt in Hamburg an einer Demonstration für die Rechte von Flüchtlingen teil.
    Viele Künstler beschäftigen sich mit dem Thema Flüchtlinge. (Daniel Bockwoldt, dpa picture-alliance)
    "Refugees Welcome" steht auf einem großen, handgemalten Banner im Eingangsbereich der Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge im rheinischen Siegburg. Eine Turnhalle ist zur Notaufnahme umfunktioniert worden, bunte Kinderzeichnungen schmücken die sonst kargen, fensterlosen Wände. Hier befindet sich die sogenannte Flüchtlingsakademie der Freien Künste, gegründet von Hermann Josef Hack:
    "Das ist hier der allgemeine Aufenthaltsraum, hier haben wir unser Quartier aufgeschlagen. Hier ist ein großer Tisch, hier können sich alle gemütlich hinsetzen und hier werden jetzt die Kulturtaschen bemalt."
    Etwa ein Duzend Kinder bemalt Papiertüten, die im April bei der Art Cologne verteilt werden sollen. Für den Aktionskünstler und Beuys-Schüler Hack ist es ein Akt der kulturellen Annäherung.
    "Wir wollen die Gäste der Kunstmesse mit Flüchtlingen zusammenbringen. Warum? Kunst ist für uns als Akademie ein ganz wichtiges Medium. Nicht einfach als Selbstzweck, sondern das ist für uns auch Kommunikation, Integration. Klar, das ist auch eine Art gerne angenommene Beschäftigung, aber es ist auch dieses Signal, das sie raus senden: Wir sind hier, seht uns, wir wollen auch mit euch Kontakt aufnehmen. Insofern halte ich das auch für ein ganz wichtiges Medium."
    Seit zehn Jahren Beschäftigung mit Flüchtlingsthema
    Seit fast zehn Jahren beschäftigt Hermann Hack das Flüchtlingsthema in seinen Kunstprojekten, regelmäßig sucht er den Kontakt zu Hilfsorganisationen. In den letzten Monaten kamen immer mehr Anfragen von Künstlern, die Flüchtlinge für ihre Projekte suchten. Eine Entwicklung, die auch der Autor und Co-Chefredakteur der Londoner Kunstzeitschrift "frieze", Jörg Heiser, beobachtet.
    Er findet, es ist völlig legitim, das Thema der Geflüchteten künstlerisch zu bearbeiten. Allerdings sollte ein Künstler seine eigenen Ambitionen erst einmal hinten anstellen.
    "Jeder ist als Teilnehmer der Zivilgesellschaft gefragt, zu schauen, was wird überhaupt gebraucht. Das kann etwas sein, was nicht unbedingt mit dem, was die eigene künstlerische Produktion oder Praxis ist, zu tun hat. Das können ganz banale Dinge sein, Deutschunterricht und so weiter. Es können aber auch Dinge sein, die künstlerische Formen annehmen. Aber da ist dann tatsächlich immer die Frage: Wenn ich mit real vorhandenen, vor mir sitzenden Menschen Fotos mache, ein Theaterstück einstudiere, einen Film drehe – inwieweit reduziere ich sie wieder zu Casting-Protagonisten, also zu Leuten, die Personal werden in meiner Konstruktion."
    Jörg Heiser empfiehlt, Projekte gemeinsam mit Menschen zu entwickeln, die selber Fluchterfahrungen haben. Solche Begegnungen versucht auch der Aktionskünstler Hack zu initiieren. Für ihn ist es besonders wichtig, die Flüchtlinge nicht zu bevormunden.
    "Wir wollen den Menschen die Möglichkeit geben, sich selber zu vermitteln, sich zu äußern, zu kommunizieren. Wir wollen sie an die Hand nehmen und Netzwerke aufbauen, gerne auch zu anderen Künstlern. Aber sie sollen eben nicht als Rohstoff, als Knetmasse benutzt werden, sodass man sagen kann, cool, ich mach jetzt auch was mit Flüchtlingen und ich fühle mich dadurch ganz toll."
    Kunst nicht als Einsatzkommando verstehen
    Die Aspekte, die Heiser und Hack hier ansprechen, hat das australische Hilfswerk "Rise" im vergangenen Jahr zu einem Manifest zusammengefasst. "Bedenkt eure Privilegiertheit" steht da, "hinterfragt eure Absichten" und "recherchiert gründlich". Anweisungen, die auch Jörg Heiser richtig findet:
    "Grundsätzlich finde ich Kunst nie so richtig geeignet als Einsatzkommando, als Parachuting-In, wie man im Englischen sagt, also man wirft sich mit einem Fallschirm ab und geht in das gesellschaftliche Krisenthema sozusagen in Echtzeit rein, ein bisschen in Konkurrenz mit Nachrichtenorganisationen. Ich finde immer ganz gut, wenn so ein gewisser zeitlicher Abstand eine Rolle spielt. Eben aufgrund der Notwenigkeit der Reflexion der eigenen Mittel."
    Wenn narzisstische Ambitionen in den Hintergrund treten, könnten Kunst und Kultur dann auch leisten, was Essen und Schlafplätze allein nicht schaffen: Gemeinschaftlichkeit, die sich eben nicht über Herkunft, sondern über ein gemeinsames zivilgesellschaftliches Tun bestimmt.
    "Es geht ja darum: Was machen die Leute, wenn sie satt sind? Die Leute sind jetzt ja nicht wie in einem Tierheim nur versorgt. Das sind ja auch Menschen, die eine eigene Kultur mitbringen. Es geht hier im ganz Wesentlichen darum: Wie wollen wir mit denen zusammen leben? Und das ist eine rein kulturelle Frage."