Stephanie Rohde: Die Türkei hat einen Vertrauensanwalt der deutschen Botschaft festgenommen und deutsche Behörden gehen jetzt davon aus, dass sensible Informationen von Asylbewerbern in die Hände der türkischen Justiz geraten sind. Dündar Kelloglu ist Rechtsanwalt und Vorstand des Flüchtlingsrats in Niedersachsen und er ist in Kontakt mit betroffenen Asylbewerbern. Guten Abend!
Dündar Kelloglu: Guten Abend.
Rohde: Was bedeutet die Festnahme dieses Vertrauensanwalts in der Türkei für die Betroffenen?
Kelloglu: Das bedeutet, dass die Türkei an die Daten der Menschen gekommen ist, die hier Schutz suchen und die behaupten, in der Türkei politisch verfolgt zu sein, in Aufruhr sind und befürchten, dass die türkischen Stellen deren Adresse, deren Aufenthaltsort in Deutschland inzwischen ausfindig machen können.
"Diese Gefahr ist jetzt konkreter geworden"
Rohde: Bei den Betroffenen handelt es sich ja offenbar um kurdische Aktivisten und um Anhänger der Gülen-Bewegung. Waren die nicht schon vorher gefährdet und schon vorher im Visier der türkischen Behörden?
Kelloglu: Diese abstrakte Gefahr war vorher da und diese Gefahr ist jetzt konkreter geworden. Es ist so, dass die Türkei kurdische Aktivisten, politisch Tätige auch in legalen Vereinen und Parteien als terroristisch einstuft. Genauso ist es mit Leuten aus der Gülen-Bewegung, wo sie auch die als terroristisch einstuft. Diese Menschen sind nach Deutschland geflohen, um sich solchen Prozessen zu entziehen, und haben hier um Asyl nachgesucht.
Es ist so, dass das Bundesamt inzwischen dazu übergegangen ist, vielen Leuten einfach zu sagen, wir glauben Ihnen nicht, Sie sagen uns nicht die Wahrheit, Sie sind unglaubhaft. Deshalb müssen diese Leute prozessieren und erheben Klagen bei den Verwaltungsgerichten, und die Gerichte müssen dann Beweise erheben, um den Nachweis zu erbringen oder Nachweise einzuholen, ob tatsächlich gegen diese Menschen in der Türkei Strafverfahren anhängig sind, oder ob sie gesucht werden oder ob gegen sie Haftbefehle erlassen sind und sie bei einer Rückkehr mit Verhaftung und unmenschlicher Behandlung rechnen müssen.
Dabei wird dann die Hilfe des Auswärtigen Amtes bedient und das Auswärtige Amt schickt dann diese Anfragen an die deutsche Botschaft nach Ankara, und die deutsche Botschaft beschäftigt dort türkische Vertrauensanwälte, die dann recherchieren. Die recherchieren in Fällen, wo ja öffentliche Fahndungen stattfinden.
Die meisten Verhandlungen oder fast alle Sachen, die dort anhängig sind, straffällige Sachen, sind öffentlich zugängliche Verfahren, und deshalb kann ich im Einzelnen nicht sagen, was dem Kollegen da vorgeworfen wird. Wenn es da eine reine anwaltliche Tätigkeit gibt, wo sie dann versuchen, Zugang zu öffentlichen Verfahren zu bekommen, ist das erst mal nichts Anrüchiges.
Aber wir befürchten, die Betroffenen befürchten, das ist nur ein Aufhänger gewesen, um in den Besitz dieser sensiblen Daten zu kommen.
"Das sind alles hoch sensible Daten"
Rohde: Was sind das genau für Daten? An welche Daten, Informationen kommt so ein Anwalt überhaupt ran?
Kelloglu: Es ist ja so, dass sowohl das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als auch die Gerichte hier einen Aktenauszug fertigen von dem Asylverfahren der Betroffenen und diesen Aktenauszug dann an die Botschaft schicken. Dieser Aktenauszug kann natürlich vielerlei Sachen beinhalten. Das ist der Verfahrensstand in Deutschland, kann sogar im Einzelnen auch deren Adressen und deren Aufenthaltsorte auch beinhalten, und natürlich deren Angaben in dem Asylverfahren. Das sind alles hoch sensible Daten, die alles, was diesen Menschen widerfahren ist, oder sie behaupten, was ihnen widerfahren ist, jetzt in die Hände des türkischen Staates gelangt sind. Viel problematischer ist, dass diese Menschen befürchten, dass sie auch hier irgendwie belangt werden können.
Rohde: Was sollte man an der Stelle dann tun? Was sollte zum Beispiel das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge tun?
Kelloglu: Das eigentliche Problem ist, dass das Bundesamt reihenweise rechtswidrige Bescheide in die Welt gesetzt hat. Vor dem sogenannten Militärputsch in der Türkei waren solche Recherchen eher eine Ausnahme. Man ist dazu übergegangen, das zum Regelfall zu machen. Das sind dann nicht nur diese 200. Ich glaube nicht, dass es die 200 sind. Ich gehe davon aus, dass die türkischen Stellen inzwischen an tausende von Daten gelangt sind, denn fast jeder zweite Fall wird unserer Erfahrung nach inzwischen recherchiert. Das ist eine Dimension, weil das Bundesamt schlicht und einfach den Menschen nicht glaubt, obwohl sie das nachgewiesen haben.
Rohde: Aber kann man denn vom Bundesamt verlangen, dass es jedes Dokument auf die Echtheit prüft? Das würde die Asylverfahren ja unglaublich in die Länge ziehen und damit auch die Asylbewerber weiter in Unsicherheit halten.
Kelloglu: Genau. Das ist es ja, was wir vorwerfen, und das macht das Bundesamt. Erstens: Wenn das Bundesamt behauptet, obwohl die Leute ihre Verfolgung durch Urkunden, durch Strafakten, durch Urteile, durch Haftbefehle nachweisen, dann sagen die oberflächlich, wir glauben Ihnen nicht. Dann geht die Sache zum Gericht und dann muss das Gericht entscheiden, gehe ich dem nach oder nicht nach. Das heißt, solche Recherchen finden in der Regel statt, weil das Bundesamt dem Vortrag der Menschen keinen Glauben schenkt. Sie sind ja nicht verpflichtet zu recherchieren.
Allein diese Fülle der Recherchen - und wenn wir schauen, dass die allermeisten sich ja als echt erweisen -, waren und sind überflüssig. Gerade diese überflüssigen Recherchen, die das Bundesamt provoziert, hat den Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes und auch die betroffenen Flüchtlinge selber in Schwierigkeiten gebracht, sogar in Lebensgefahr vielleicht gebracht.
"Es gibt andere Möglichkeiten, an diese Informationen heranzukommen"
Rohde: Es gibt aber auch noch viele Fälle, die abgewiesen werden von den Verwaltungsgerichten. Insofern lohnt es sich ja schon zu schauen, sind die Dokumente, die hier vorgelegt werden, echt, oder?
Kelloglu: Die Gerichte, die weisen nicht die Verfahren ab, wo gegen diese Menschen in der Türkei Strafverfahren laufen. Die Gerichte weisen in der Regel die Verfahren ab, die ihr Verfolgungsschicksal nicht nachgewiesen haben und nicht glaubhaft gemacht haben. Von den Fällen, über die wir reden, sind nicht diese Fälle betroffen, die von einer Klageabweisung betroffen sind. Das sind Fälle, wo Menschen in der Türkei Gegenstand oder Opfer von Strafverfahren geworden sind und diese Strafverfahren vom Bundesamt als unglaubhaft eingestuft werden, so dass eine Recherche notwendig wird. Es gibt andere Möglichkeiten, auch an diese Informationen heranzukommen. Zum Beispiel ist es so, dass die meisten türkischen Staatsbürger ein eigenes, staatlich zugängliches Internetportal haben, wo die meisten eigenen Daten niedergelegt sind.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.