Der Anteil der Nichtregierungsorganisationen an der Rettung von Migranten auf dem Mittelmeer ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. Von weniger als einem Prozent im Jahr 2014 auf 26 Prozent im vergangenen Jahr. Und der Trend geht weiter nach oben. In den ersten Monaten des laufenden Jahres wurde mehr als jeder zweite Schiffbrüchige im Mittelmeer von einem NGO-Schiff gerettet. Axel Grafmanns von der deutschen Hilfsorganisation Sea-Watch hat eine Erklärung.
"Die Toten gibt es nach wie vor, nur keiner möchte sie mehr sehen, keiner möchte davon etwas hören. Die staatlichen Akteure ziehen sich mehr und mehr zurück."
Die Rettungsorganisationen klagen zunehmend darüber, dass sie im Einsatzgebiet häufig allein gelassen werden. Im Ernstfall komme Unterstützung nur mit großer Verzögerung. Dafür treffen die meist ehrenamtlichen Retter immer öfter auf Soldaten der libyschen Küstenwache, die teilweise von europäischer Seite ausgebildet und mit Schiffen und Waffen ausgestattet wurden.
"Die Europäische Union trainiert eine aus meiner Sicht kriminelle Milizentruppe, die libysche Küstenwache, die draußen wild in der Luft rumschießen. Es eine Frage der Zeit, bis es da Tote und Verletzte gibt."
Libysche Milizen sollen in Schleppern zusammarbeiten
Die libyschen Einsatzkräfte sollen offenbar verhindern, dass die Flüchtlinge internationale Gewässer erreichen. In mindestens einem Fall sollen Migranten auch schon aus internationalen Gewässern wieder zurück nach Libyen gebracht worden sein. Der Internationale Gerichtshof ermittelt wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Völkerrecht.
Gleichzeitig geht die EU-Grenzschutzagentur Frontex nach einem Bericht aus dem vergangenen Jahr davon aus, dass hochrangige Offiziere verschiedener militärischer Einheiten in Libyen an den Geschäften der Schleuserbanden beteiligt sind. Es ist nicht auszuschließen, dass dazu auch Vertreter der Küstenwache gehören. Davon spricht allerdings niemand.
NGOs wegen Flüchtlingsrettung in der Kritik
Dafür stehen die NGOs immer häufiger in der Kritik. Schon deren Anwesenheit sorge dafür, dass sich immer mehr Menschen von Afrika aus nach Europa auf den Weg machen, heißt es immer wieder. Sogar eine direkte Zusammenarbeit mit den Schleusern wurde den NGOs vorgeworfen.
"Es gab jetzt eine große Kampagne in Italien. Alle NGOs, die im Mittelmeer tätig sind, wurden vom Italienischen Senat und von der Schengen-Konvention eingeladen. Es gibt diese nicht belegten Aussagen von diesem sizilianischen Staatsanwalt, bis heute kein einziger Beweis, nichts dahinter."
Zumal die Nichtregierungsorganisationen gar nicht auf eigene Faust operieren. Auch deren Einsätze werden von der offiziellen italienischen Leitstelle zur Seenotrettung koordiniert, die die Schiffe zu den Einsatzorten dirigiert und dabei nicht einmal eine Alternative hat, wie der Generalinspekteur der Italienischen Küstenwache Admiral Vincenzo Melone erklärt.
In 26 Jahren eine Million Menschen gerettet
Sobald der erste Notruf bei uns hier ankommt, müssen wir nach den internationalen Konventionen eingreifen. Wir müssen die Rettung garantieren bis zu dem Punkt, an dem andere ihre Zuständigkeit erklären. Das haben in dem fraglichen Gebiet bis jetzt weder Libyen noch Tunesien getan. Deshalb sind automatisch wir verantwortlich, wenn wir als Erste einen Notruf bekommen."
Und die Notrufe kommen weiter täglich. In den vergangenen Tagen wurden wieder Tausende gerettet. Alle Experten sind sich einig, dass der Exodus so schnell kein Ende nehmen wird, wenn es nicht gelingt, die Fluchtursachen zu bekämpfen.
Bis es so weit ist, wird die italienische Küstenwache auch weiterhin mit dem gar nicht mehr so neuen Phänomen zu tun haben.
"Seit 26 Jahren beschäftigen wir uns mit der Migration, erst mit der aus Albanien und dann mit der auf jenen Wegen, die alle gut kennen. In diesen 26 Jahren haben wir Aktionen koordiniert, die zur Rettung von nahezu einer Million Personen geführt haben. Und darauf sind wir stolz."
Das sagen fast alle Retter. Die Kritik kommt in aller Regel von Menschen, die noch nie einen Ertrinkenden aus dem Wasser gezogen haben.