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Flüchtlingsrettung vor Lampedusa
"Hier geht es um das nackte Menschenleben"

Lampedusa ist seit Jahren ein hoch frequentierter Anlaufpunkt für Flüchtlinge. Vor der Küste geraten jedes Jahr viele von ihnen in Seenot. Ein deutsches Ehepaar hat deswegen eine private Seenotrettung ins Leben gerufen. Mit einem gecharterten Schiff retten sie die Flüchtlinge aus ihren Schlauchbooten. Konkurrenz zu Küstenwache und Militär wollen sie nicht sein.

Von Nadine Lindner |
    Die MS Aquarius, das Schiff der privaten Seenotrettung "SOS Mediterranee"
    Die MS Aquarius, das Schiff der privaten Seenotrettung "SOS Mediterranee" (dpa/picture alliance/Carmen Jaspersen)
    Ein Boot der Küstenwache läuft in den kleinen Hafen von Lampedusa ein. Der Wind pfeift und selbst im Hafenbecken schlagen die Wellen heftig an die Mauer. Es lässt sich nur erahnen, wie hoch der Wellengang im offenen Meer sein muss.
    Karin Vogel läuft vorsichtig über eine schmale Planke an Land. Ihr folgen weitere Mitarbeiter der privaten Seenotrettung SOS Mediterranee. Eigentlich wollten sie ihr Schiff, die Aquarius, im Hafen von Lampedusa präsentieren, einen kleinen Empfang für Presse und Politik geben. Aber das ist sprichwörtlich ins Wasser gefallen, das Meer ist unberechenbar, das zeigt sich an diesem Nachmittag wieder.
    Bis zu 500 Menschen haben auf dem Schiff Platz
    Ihr Mann, Klaus Vogel, der noch auf der Aquarius ist, hat die private Seenotrettung ins Leben gerufen. Drei Monate werden sie nun vor Lampedusa Flüchtlinge von hoher See retten. Wenn sie ein Schlauchboot auf hoher See finden, planen sie, dass "mit zwei stark motorisierten Schlauchbooten beidseitig längsseits von dem havarierten Schiff gegangen werden soll. Auch mit einer Ärztin in dem zweiten Schlauchboot."
    Um den Leuten Schwimmwesten zu bringen, um die Leute zu beruhigen. Bis zu 500 Menschen können auf der Aquarius Platz finden.
    Blick in eine Kajüte der MS Aquarius, des Schiffes der privaten Seenotrettung SOS Mediterranee
    Blick in eine Kajüte der MS Aquarius, des Schiffes der privaten Seenotrettung SOS Mediterranee (dpa/picture alliance/Carmen Jaspersen)
    Nein, einen Widerspruch sieht die 58-Jährige nicht. Wenn zu Hause in Deutschland über Obergrenzen diskutiert werde, dann sei das das Eine. Die konkrete Rettung von Menschen aus Not etwas anderes:
    "Uns geht es ums konkrete Retten, was danach kommt, ist Sache der Politik und auch Sache der europäischen Bevölkerungen. Da kann sich keiner mehr davor verschließen."
    Eigentlich navigiert ihr Mann, Klaus Vogel, riesige Containerschiffe für eine Hamburger Reederei über die Meere. Aber dann war er bestürzt, gerührt von der humanitären Not im Mittelmeer.
    Seit Mai haben sie Spendengeld gesammelt, 270.000 Euro, haben ein Schiff samt Mannschaft gechartert. Das Projekt ist erst mal für drei Monate finanziert. Sie hoffen, dass es noch weitergeht. Eine Konkurrenz zur Küstenwache oder dem Militär wollen sie nicht sein. Eher unterstützend wirken.
    "Die ganze Rettungsaktion ist mit der Rettungskoordinationsstelle in Rom abgesprochen. Die weisen uns an, wo wir hinmüssen, wo wir die Geretteten dann auch wieder abgeben müssen."
    Wunsch nach mehr Offenheit und Willen zur Integration
    Lampedusa ist schon seit Jahren einer der Kristallisationspunkt der europäischen Flüchtlingskrise. Tausende Schiffbrüchige kommen auf der kleinen Insel an, die viel näher an Tunesien, denn am italienischen Festland liegt.
    Mit dabei in dieser Menschentraube im Hafen von Lampedusa ist auch die Chefin der deutschen Grünen, Simone Peter. Sie unterstützt die SOS Mediterranee seit einer Weile.
    Wie blickt sie auf die Rettungsversuche vor dem Hintergrund der Debatte in Deutschland - dort, wo der Bundestag gerade erst die Asylregeln verschärft hat?
    "Die deutsche und europäische Debatte über Asylpolitik erscheint einem zynisch, wenn man sieht, was hier die Herausforderungen sind. Hier geht es darum, das nackte Menschenleben zu retten. Und wir in Deutschland reden darüber, Familiennachzug einzuschränken oder uns abzuschotten im europäischen Kontext. Hier braucht es mehr Hilfe in der Seenotrettung und vor allem sichere Ankunftswege."
    Auch der SPD-Europaabgeordnete Arne Lietz begleitet die private Rettungsmission schon länger. Er steht im Hafen, die Mütze tief ins Gesicht gezogen.
    "Vor dem Hintergrund ist es traurig, aber wahr, dass unsere Regierungen es nicht schaffen, dementsprechend zu handeln, genügend Kapazität an die Küste zu bringen."
    Auch wenn Schiffe im Rahmen der Mission Sophia schon mehrere Tausend Menschen gerettet hätten, blieben Lücken.
    Karin Vogel von der SOS Mediterranee zieht am Reißverschluss ihrer Wetterjacke, die Tage auf See waren anstrengend. Selbst an der Südspitze Italiens ist es Ende Februar noch kalt. Sie wünscht sich in Europa mehr Offenheit und mehr Willen zur Integration von Flüchtlingen.