Dunkelhäutige junge Männer und Frauen, die unsicher um sich blicken, kommen und gehen. "Migranten willkommen" steht an der eisernen Pforte zum Hof der ehemaligen Kaserne am Ufer der Ardour. Sonst deutet nichts darauf hin, dass hier täglich zwischen 150 und 200 Ausländer ohne Aufenthaltspapiere Unterschlupf finden.
Nathalie ist eine der Betreuerinnen in der Notunterkunft "La Pausa". Die fröhliche 52-Jährige in Jeans und Pullover sortiert die vielen Papiere auf dem Schreibtisch in entsprechende Ablagekästen auf einem Regal. Ihr brauner Pferdeschwanz wippt dabei rhythmisch auf und ab. Dies ist der Empfang:
"Tu sais un peu où tu en es? Tu as un billet? Tu sais un peu l'avenir ? Tu parles français? – Oui je parle français …"
Bayonne ist nur ein Zwischenstopp
Mohammed zupft nervös am Reißverschluss seiner blauen Jacke. Er ist gerade angekommen, hat noch kein Ticket, weiß aber, dass er nach Brügge möchte. Nathalie, die im Hauptberuf protestantische Pastorin in Bayonne ist, füllt ein Anmeldeformular mit dem Mann aus Guinea aus.
"Dies ist ein Transitort, hier dürfen die Migranten mal durchatmen. Mehr nicht. Das Busticket müssen sie selbst zahlen. Sonst machen wir uns strafbar. Aber wir stellen sicher, dass sie es bekommen, begleiten sie zum Bus und passen auf, dass sie sich an die internen Regeln halten. Tagsüber dürfen sie raus, aber ab 19 Uhr müssen sie drinnen sein."
Drei Tage dürfen die Migranten in der Regel bleiben. Die Ehrenamtlichen achten peinlichst darauf, dass sie sich im Rahmen der Legalität bewegen. Denn bis vor Kurzem riskierten diejenigen, die illegalen Migranten mit mehr als einem Baguette oder einem Pflaster auf eine Wunde halfen, von Gerichten wegen des sogenannten "Deliktes der Solidarität" verurteilt zu werden.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Grenzerfahrung Pyrenäen - Neue und alte Fluchtrouten zwischen Spanien und Frankreich" in der Sendung "Gesichter Europas".
Nach der Entscheidung des französischen Verfassungsgerichts im Sommer 2018 sollten nun Bürger, die illegalen Einwanderern auf französischem Territorium mit humanitärer Hilfe oder Rat ohne jede Gegenleistung zur Seite stehen, im Prinzip nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden. Im Prinzip. Menschenrechtsgruppen kritisieren, die neue Regelung sei so vage formuliert, dass eine Grauzone bleibe. Auch Nathalie fühlt sich nicht ganz sicher:
"Ich weiß nicht. Hier in dieser Notunterkunft haben wir keine Probleme. Aber ich denke, das liegt auch am Engagement unseres Bürgermeisters und an seiner Glaubwürdigkeit. Das ist nicht überall so."
Frankreich ist für viele Westafrikaner das "Mutterland"
Die ausgebildete Sozialarbeiterin mit internationaler Erfahrung in Dschibouti, Mali und La Réunion war eine der Helferinnen der ersten Stunde. Inzwischen haben sich die ehrenamtlichen Helfer im Verein "Diakité" organisiert, der Bürgermeister von Bayonne hat beheizte Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt, die Stadt finanziert das Mittagessen. Außerdem wurden vier Vollzeitkräfte eingestellt. Einer von ihnen ist Tag und Nacht vor Ort.
Soisic setzt sich zu Nathalie, atmet tief durch und packt ein Sandwich aus – ihr Mittagessen. Die 38-Jährige ist eine der Angestellten in "La Pausa". Auch sie war von Anfang an dabei. Die Ungerechtigkeit, die diesen Migranten widerfahre, habe sie motiviert.
"Man bläut den Franzosen ein, dass sie Angst vor ihnen haben sollen. Dabei sind wir es, die ihre Länder ausplündern, wir sind doch mitverantwortlich für die Misere in Afrika. Ja, ich habe mich schuldig gefühlt, für das, was passierte."
Die meisten derer, die in Bayonne ankämen, seien Westafrikaner aus ehemaligen französischen Kolonien, erzählt die kräftige Frau, mit offenem, freundlichen Gesicht. Sie legt ihr Sandwich zur Seite:
"Pour eux, c'est leur pays la France. La majorité de ceux qui sont ici ont été colonisé par la France. Certains connaissent mieux l'histoire de la France que des jeunes ici"
Frankreich sei für diese Migranten immer noch ihr Mutterland. Viele wüssten besser über die französische Geschichte Bescheid als manch junger Franzose. Sie verstünden nicht, was ihnen hier widerfahre, wüssten nichts von den jüngsten Attentaten, von den Vorbehalten gegenüber Muslimen. Für viele sei es ein Schock, wenn sie das merkten. Soisic, die früher in der Altenbetreuung gearbeitet hat, findet ihren neuen Job sehr bereichernd. Aber auch emotional belastend.
"Wenn sie weiterreisen, gebe ich ihnen oft meine Telefonnummer, für alle Fälle. Klar macht man sich Sorgen. Man weiß doch, was sie erwartet. Selbst wenn ich größere Gruppen zum Bus bringe - manchmal guckt man einander nur lange in die Augen, man sagt nichts. Aber ja, was wird aus ihnen werden? Man hilft – und was dann? Es ist ein sehr merkwürdiges Gefühl."
Medizinische Erstversorgung und juristische Beratung
Ein junger Mann in Winterjacke mit aufgeschlagenem Kragen nähert sich schüchtern dem Empfang. Er deutet auf seinen rasierten Kopf. Er hätte gerne eine Mütze. Nathalie durchquert mit ihm den zentralen Raum, in dem Liegen zum Schlafen stehen und lange Tische zum Essen.
"Bonjour, c'est pour un bonnet."
Die Kleiderstube. Inzwischen ist das Zentrum sehr gut organisiert. Es gibt eine Transportabteilung, die beim Erwerb günstiger Bustickets hilft. Die medizinische Erstversorgung ist gewährleistet sowie die juristische Beratung für diejenigen, die Asyl beantragen wollen. Doch das sind hier nicht viele. Die meisten wollen bald weiterreisen.
"Es gibt hier wirklich ein großes Engagement der Bürger – und das hat mit Politik nichts zu tun. Nicht: ich bin für oder gegen Migration – sondern ein humanitäres Engagement. Da sind plötzlich Männer, Frauen und Kinder, die bei uns aufkreuzten, sie leiden und brauchen Hilfe. Punkt. Die Arbeit der Polizei an der Grenze, das ist Aufgabe des Präfekten. Das ist eine andere Geschichte."