"Er sagt, es ist alles sehr, sehr schlecht, sehr schmutzig, er hat ein kleines Baby, seine Frau ist sehr krank. Und er hat Angst, sie bekommt ein Bakterium."
Der große schmale Mann hält das Baby auf dem Arm, streckt es dem Besucher entgegen, um ihn herum stehen weitere dunkelhäutige Menschen, reden durcheinander.
"Er hat gesagt, ich verstehe, es sind sehr viel da drin, aber trotzdem, es gibt doch Ausnahmen."
Dienstag Abend in der Bayernkaserne. Im Dunkeln wirken die Menschenmassen noch größer. Gut 2.300 Flüchtlinge sind hier derzeit untergebracht. Sagt die Statistik. Die genaue Zahl kennt keiner. Fingerabdrücke, Foto, Gesundheitscheck: Die Registrierung der einzelnen Menschen dauert. Ein städtischer Gelenkbus, der Shuttlebus zur Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, genau auf der anderen Seite der Stadt, steht für den nächsten Tag schon bereit. Dort soll der Asylantrag gestellt werden, was einige gar nicht wollen, denn ihr eigentliches Ziel ist nicht Deutschland, sondern Schweden.
"Was tun, wenn am Freitagabend ein Zug mit 300 Asylbewerbern ankommt?"
Zwischen den zweistöckigen ehemaligen Mannschaftsunterkünften bilden sich abends Pulks, eine Gruppe hat Wasserpfeifen angezündet, andere spielen Fußball, wieder andere diskutieren über die Situation in der Bayernkaserne. Dann kommt es zu Handgreiflichkeiten. Die Security schreitet ein. Nur ganz selten dringen Nachrichten von Konflikten nach außen. Dass hier nicht nur die Mitarbeiter am Limit sind, weil seit Wochen tägliche neue Flüchtlinge mit Koffern oder ohne vor dem Tor stehen und eine Unterkunft erwarten, das zeigt sich an der gereizten Stimmung. Zur Zeit sind die Tore bis auf Weiteres geschlossen. Der Flüchtlingsrat befürchtet, dass sich die Situation dadurch nicht verbessert, der Oberbürgermeister kontert:
"Letztlich geht es doch darum, was tun sie, wenn am Freitagabend um 22 Uhr ein Zug mit 300 Asylbewerbern und Asylbewerberinnen ankommt und die Einrichtung eigentlich voll ist. Eigentlich heißt, so wie man sich eine Einrichtung vorstellt, ein Bett mit gebührendem Abstand vom Nachbarn usw. Dann gibt es zwei Möglichkeiten, entweder sie lassen sie davor stehen oder nehmen sie mit rein und gewähren zum Beispiel noch eine Garage als Unterkunft oder einen mobilen Container, das ist nicht das was ich will, aber bevor die Flüchtlinge auf der Straße stehen, ist das die einzige Möglichkeit."
Er verbringe jetzt schon 20 Tage hier auf einem der Klappbetten in den Panzergaragen, sagt dieser Tunesier. Er werde immer wieder abgewiesen, wenn er fragen wolle, wie es denn jetzt weitergehe. Er führt in den schlecht gelüfteten Schlafsaal. Dicht an dicht stehen die Feldbetten. Einige Männer grüßen.
"Jeden Cent dem Freistaat in Rechnung stellen"
Draußen drängen sich zwei große Reisebusse durch die Menge. Sie sollen noch am selben Abend Flüchtlinge in andere Unterkünfte bringen, heißt es. Seit Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter vor Kurzem medienwirksam das Gelände besuchte und sofortige Abhilfe versprach, werden die Menschen in der Stadt verteilt, in Zelte am Kapuzinerhölzl, die Oktoberfestgästen zur Unterkunft dienten, in die Funkkaserne, die kurzfristig als Auffanglager hergerichtet wurde. Sogar eines der großen Wiesnzelte auf dem schon im Abbau befindlichen Oktoberfestgelände soll Flüchtlingen provisorisch ein Dach über dem Kopf bieten. Das hat die Stadt in einem Notfallplan angekündigt. Obwohl sie gar nicht zuständig wäre für die Unterbringung, sondern der Freistaat. Oberbürgermeister Reiter will dem Ministerpräsidenten Horst Seehofer jeden Cent in Rechnung stellen, der von der Stadt vorgeschossen wird:
"Ich werde jeden Cent, jeden Cent, den wir hier verauslagen, in Amtshilfe mit Sicherheit dem Freistaat wieder in Rechnung stellen und ich werde nicht Ruhe geben ehe ich ihn nicht wieder habe."
"Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe"
Eine Menschenschlange wartet im Dunkeln geduldig auf die Busse in die anderen Unterkünfte. Unweit davon sitzen andere in einer der Kantinen beim Abendessen. Warteschlangen, wie sie am Wochenende als Fotos in den Münchner Kiosken hingen, sind an diesem Abend nicht zu sehen. Auch keine Matratzen im Freien, auf denen Flüchtlinge die Nacht verbringen. Die würden erst gegen Mitternacht ausgelegt, sagt der Tunesier, der von seiner Familie in Belgien erzählt, dann wieder von Schweden, Norwegen. Die Duschen seien alle kalt, moniert er und führt zu den Sanitärcontainern. Rechts die WC, links die Duschen. Provisorien, von der Regierung Oberbayern auf die Schnelle hingestellt. Mehr Koordination verspricht Sozialministerin Emilia Müller in dieser Notstandssituation:
"Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, es ist ein gemeinsamer Kraftakt, den wir hier bewältigen müssen, deshalb haben wir auch hier im Sozialministerium einen Krisenkoordinationsstab eingerichtet, an dem auch die Landeshauptstadt München auch beteiligt ist. So habe ich das auch mit dem Oberbürgermeister vereinbart."
Die "Task Force Asyl" der Sozialministerin käme viel zu spät, kritisiert die Opposition im Landtag. SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher wird nicht müde, Seehofer Untätigkeit vorzuwerfen:
"Ich habe den Eindruck, dass Herr Seehofer gerne Überschriften produziert und dass es ihm gar nicht auf das konkrete Regierungshandeln ankommt und das ist eine sträfliche Vernachlässigung seiner Pflichten."
Entschärfung vor dem Winter?
Staatskanzleichef Marcel Huber beschwichtigte gestern nach der Kabinettssitzung:
"Ich will nicht Kritik üben an dem wie es bisher gegangen ist, wir schauen in die Zukunft. Ich glaube, die Entscheidung des heutigen Kabinetts hier einen solchen Stab zu bilden, der alle Entscheidungsträger an einer Stelle zusammenführt, hilft dazu, dass man denselben Kenntnisstand haben kann und abgestimmt helfen kann."
Auf der heutigen Plenumssitzung wird die SPD-Fraktion in einem Dringlichkeitsantrag detaillierte Planungen von der Staatsregierung einfordern, wie, wo und wann Flüchtlinge und Asylbewerber in den nächsten Monaten untergebracht werden. Der Winter kommt. Und dass es weniger Flüchtlinge werden, daran glaubt noch nicht einmal Horst Seehofer.