Archiv

Flüchtlingsthematik auf deutschen Bühnen
"Schutzflehende" im Theater im Bauturm

Allgegenwärtig sind inzwischen die Bilder von Asylsuchenden in den Nachrichten. Zunehmend findet die Problematik nun auch auf den Bühnen der Republik Platz. In Köln hatte am Wochenende eine Adaption des antiken Dramas "Die Schutzflehenden" Premiere.

Von Christoph Ohrem |
    Blitzlichtgewitter, drei wild tanzende Frauen auf der Bühne. Das Meer ist in Aufruhr. Die Reise über das Mittelmeer ist ein echter Höllentrip, wie das Anfangsbild von "Schutzflehende" im Theater im Bauturm zeigt. Das gilt nicht nur für die Flüchtlinge von heute. Auch in der Antike war die Überfahrt von Nordafrika nach Europa hochriskant .
    Das selten gespielte Stück "Die Schutzflehenden" von Aischylos beginnt genau an diesem Punkt. Der Frauenchor der Danaiden erreicht den Strand Griechenlands mehr tot als lebendig und erbittet Einlass in die Stadt Argos. Für Regisseur Kostas Papakostopoulos ein zeitloser Stoff.
    "Die Geschichte als solche klingt erst mal unglaublich aktuell. Menschen verlassen ihre Heimat in Ägypten und trauen die lebensgefährliche Überfahrt über das Mittelmeer, sie landen in Griechenland und bitten sie den König von Argos, Pelaskos, um Hilfe, um Schutz und Asyl."
    Zwar gebietet das göttliche Gesetz der Gastfreundschaft in Argos eine direkte und freundliche Aufnahme. Die Frauen in Begleitung ihres Vaters Danaos sind aus Ägypten geflohen, weil sie dort zwangsverheiratet werden sollen. Die potenziellen Ehemänner wollen aber ihre Frauen nicht kampflos aufgeben. Soll man die Flüchtlinge also aufnehmen und damit einen Konflikt riskieren?
    Ob man nun vor politischem Unrecht wie Zwangsverheiratung, Krieg oder schlichtweg Armut flieht. Die Passage über das Mittelmeer ist auch 2500 Jahre nach dem Entstehen von Aischylos' "Die Schutzflehenden" für viele Menschen mit Hoffnung verbunden. Die Forderung der Ankömmlinge lautet damals wie heute:
    "Dann tu was. Gib uns Asyl. Asyl!"
    "Ihr Vater Danaos wird sie nicht lange hier allein zurücklassen. Ich gehe, werde die Bürger umgehend zu einer Versammlung rufen. Ich bin sicher, dass man Ihrem Wunsch entsprechen wird. Nach allen relevanten Erkenntnissen und nicht zu vergessen, die Anhörungen."
    König Pelaskos erscheint in der Inszenierung als überkorrekter und zugeknöpfter Bürokrat, der ständig Listen abhakt, als Sinnbild der Bürokratie Europas.
    In der Kölner freien Szene ist das Deutsch-Griechische Theater DGT seit Anfang der 90er-Jahre dafür bekannt, klassische Stoffe zu aktualisieren. Mit "Schutzflehende" gastiert das Ensemble im renommierten Theater im Bauturm. Papakostopoulos sieht es als besondere Herausforderung an, die antiken Stücke neu zu bearbeiten.
    "Was kann man heute mit einem Stoff machen, der halb fertig ist? Wenn man eine klare Idee hat, ein Konzept, wie kann man diesen Stoff – diesen wunderschönen antiken Stoff – verbinden mit der heutigen Welt. Und das war letztendlich mein Interesse, mein Bedürfnis. Ich bin jemand, der sehr gern die antiken Stoffe von ihrem Staub befreit und in der heutigen Zeit umzusetzen."
    Angestaubt ist der Stoff in der Version des DGT wirklich nicht. Die Textfassung ist stark gekürzt und verzichtet größtenteils auf den schwer zugänglichen Sprachduktus der Originalübersetzung. Die drei Schauspielerinnen teilen sich den Text des Chores untereinander auf, was eine unterhaltsame Dynamik auf der Bühne schafft und die Statik des Originals aufbricht. Da entsteht dann auch mal babylonisches Sprachgewirr, wenn alle in ihrer Muttersprache drauflosplappern:
    2012 entschied sich Papakostopoulos, das Drama zu bearbeiten. Mit Nicolas Stemanns Inszenierung von Elfriede Jelinecks Version der Geschichte unter dem Titel "Die Schutzbefohlenen" ist vor Kurzem auf einer der großen Bühnen bereits der Stoff verarbeitet worden.
    "Das Stück habe ich gelesen. Klar, es ist Jelineck. Und es ist faszinierend wie verschiedene Künstler irgendwie auf ähnliche Ideen kommen. Das ist normal."
    Papakostopoulos sieht aber inhaltlich letztlich keine Parallelen. Seine Textbearbeitung setzt auf andere Inhalte. In der Inszenierung des DGT durchläuft der Frauenchor zur Mitte des Stücks eine Transformation, die zugleich eine Zeitreise darstellt. Die Danaiden legen sich nach bewilligtem Asyl zum Schlafen nieder – und erwachen in neuem Kostüm als Asylsuchende der Jetztzeit. Besonders hier, nachdem der antike Stoff sozusagen abgehandelt ist, zeigt sich der humorvolle Umgang mit dem Thema. Die drei Asylsuchenden sprechen frei von der Leber weg über ihre Erfahrungen, was für viele Lacher im Publikum sorgt. Grundlage für die Texte ist dokumentarische Recherche. In mehreren Workshops hat das Team mit Flüchtlingen gesprochen, um deren Sicht auf Europa kennen zu lernen.
    "Was fällt Ihnen zum Stichwort Bund ein?"
    "Hilfe." "Geld." "Eine Lüge."
    Die Inszenierung setzt hier zu sehr auf Humor, und so werden die Rechercheergebnisse lediglich als Aneinanderreihung eines Fragenkatalogs präsentiert. Das geht auf Kosten der persönlichen Geschichten und verharmlost das Leid der Flüchtlinge. Als Kontrast zu diesem sehr lockeren Teil steht dann das Ende der Inszenierung. Auf ein Happy End wie in der antiken Vorlage können die Flüchtlinge der Jetztzeit nicht hoffen.
    "Gemäß des Artikels 16 des Asylantragsgesetze in Verbindung mit Paragraf 60, Aufenthaltsgesetz werden die Antragsstellerinnen als Asylberechtigte nicht anerkannt. Für den Fall, dass sie innerhalb der festgesetzten Frist nicht freiwillig ausreisen, wird Abschiebung angedroht."