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Flüchtlingsunterbringung
Campen auf der Festwiese

In Rheinland-Pfalz werden immer mehr Flüchtlinge nach der Registrierung vorübergehend in Zelten untergebracht. Das Land hat zwar noch viele leere Kasernen, die früher von den US-Streitkräften genutzt wurden. Ihr Umbau zu Flüchtlingsunterkünften würde aber zu lange dauern und wäre auch zu teuer, sagen Kommunalpolitiker.

Von Anke Petermann | 18.07.2015
    Flüchtlinge sitzen auf Feldbetten in einem Zelt der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen.
    Weil geeignete Wohnungen fehlen, werden viele Flüchtlinge erst einmal in Großzelten untergebracht. (picture alliance / dpa/ Boris Roessler)
    Auf der Festwiese des Hotels Eifelstern feiert zuweilen der Rheinische Karnevalsverein. Schön gelegen, am Rand vom ehemaligen Flugplatz Bitburg, mitten im Grünen. Doch die ersten Flüchtlinge, die nach Registrierung und Gesundheitscheck aus der völlig überfüllten Erstaufnahme Trier herkamen, sahen das anders, erzählt Frank-Peter Wagner, der die neue Außenstelle mit leitet: "Bei der ersten Fuhre waren die ersten, die hierher kamen, etwas geschockt. Wenn man nicht weiß, wo es hingeht, dann ist eine Fahrt von fünf Minuten durch den Wald – kommen einem wie Stunden vor. Und dann waren da auch die ersten, die sagten: Hier steigen wir nicht aus."
    Doch nach der Platzbesichtigung änderten sie ihre Meinung. Waschmaschinen, Dusch- und Toiletten-Container, alles da. Die kleine weiße Zeltstadt füllt sich mit Leben. An den Bauzäunen um den Platz hängt Wäsche zum Trocknen in der gleißenden Sonne. Kinder und Jugendliche radeln jauchzend über die Wiese zwischen Wohn- und Versorgungszelten. Zehn gespendete Räder haben ihre Schwiegersöhne bis in den späten Abend noch flott gemacht, erzählt Monika Fink, Chefin des DRK-Kreisverbands: "Die müssen ja alle nachgeguckt werden."
    "Ich kann nicht zurück in meine Heimat"
    Das Deutsche Rote Kreuz stellt die Großzelte mit dem festen Boden und sorgt für die Betreuung. In jedem Schlafzelt: 65 Doppelstockbetten. Das Zelt für die allein reisenden Männer ist noch nicht komplett besetzt und wirkt geräumig. Ein paar Plastiktüten lehnen an den Bettgestellen. Wer hier wohnt, besitzt nicht viel mehr, als er anhat. Paco Omar ist in einem wochenlangen Fußmarsch über die Türkei aus seinem syrischen Dorf geflohen. Deutsch lernte der 43-Jährige in seiner Heimat. Durch den offenen Eingang deutet er auf sein Schlafzimmer, das er mit 130 anderen teilt. "Ja, ist schön, ich kann sagen, diese Leute ist schön, ich kann sagen, diese Land ist schön. Mein Land ist Problem. Ich möchte bringen meine Familie. Mein Land geht kaputt. Ich möchte auch leben hier, kann nicht zurück in mein Land."
    Für seine Frau und seine vier Kinder war der Fluchtweg zu schwer. "Ich muss ein besseres System für sie finden", formuliert Omar – und unterdrückt die Tränen. Ein arabischer Mann weint nicht, vor allem wenn so viele andere um ihn, den Dolmetscher, herumstehen. Aber er denkt unablässig an seine Familie. "Muss ich: meine Kind gehen in Schule. Muss meine Frau gehen in Arbeit oder Schule", als Englischlehrerin. Vor dem Familienzelt sitzen Frauen an Biertischgarnituren im Schatten und stecken die Köpfe zusammen. Zwei mit Kopftuch gehen Arm in Arm spazieren. "Mama", sagt die eine und deutet lächelnd auf die Mittsiebzigerin, die sich bei ihr eingehängt hat.
    "Syrien, Aleppo, Assad", drei Stichworte und eine Geste machen klar, warum auch Betagte fliehen. Die Tochter streicht sich mit der Hand quer über die Kehle – Todesgefahr. Dann lächelt sie wieder, schaut auf die Zelte, nickt anerkennend. Im Familienzelt sind die unteren Etagen der Doppelstockbetten mit weißen Laken verhängt, provisorischer Schutz für die Intimsphäre muslimischer Frauen. Man muss sich nur zu helfen wissen, lobt Flüchtlingsbetreuerin Irmina Klassen. "Die wissen das, und die haben uns gezeigt, wie’s gehen kann."
    Kinderwagen kommen noch
    Im Camp leben die vor Todesgefahr Geflohenen neben solchen, die gekommen sind, weil sie in Deutschland ein besseres Leben suchen. Wie die albanische Familie Duka mit zehn Monate altem Baby. "Staying here in Germania, work in Germania."
    Gekommen, um zu bleiben, wissend, dass die Chancen gering sind, weil dieses Herkunftsland als sicher gilt und Flüchtlinge von dort neuerdings auch in einem beschleunigten Verfahren zumeist Ablehnungsbescheide bekommen. "It’s a problem." Ein Problem, sagt der Familienvater achselzuckend. Und der Alltag im Zelt? Seine Tochter schläft schlecht mit so vielen anderen zusammen. In der Nacht hat es gewittert, das hat viele erschreckt. Im Zelt sind Blitz und Donner näher dran. Eine Dreiviertelstunde muss man laufen, um aus dem Camp ins Zentrum von Bitburg zu kommen.
    Hinterm Familienzelt genießt Hassan aus Afghanistan einen kleinen Glücksmoment. Seine jüngste Schwester gluckst vor Freude, weil der Junge sie im Buggy hin und her schuckelt und die Mutter vor ihr hockend in die Hände klatscht. Hatice ist sieben Monate alt, kann noch nicht sitzen und ist viel zu klein für einen Buggy. (Fink) "Aber ich hab’ gehört, die Kinderwagen kommen noch, Irmina!" - (Klassen) "Super!"
    Auf dem Land gibt es Wohnungen
    Die Flüchtlingsbetreuerinnen vom Roten Kreuz freuen sich. Jungen kicken mit ihren Vätern, Mädchen lassen Hula-Hoop-Reifen um die Hüften kreisen. "Das sind alles Gemeinschaftsspiele. Wenn einer aufhört zu spielen, übergibt er’s automatisch an den nächsten."
    Joachim Streit, Landrat des Eifelkreises, schaut zufrieden auf den fast idyllischen Platz, umsäumt von Bäumen, der ideale Platz für ein Zeltlager. Natürlich wäre es schöner, Menschen in Gebäuden unterzubringen, aber dadurch, dass alle Versorgungseinrichtungen vor Ort sind, die Hygiene stimmt, die Krankenversorgung stimmt, die Kinder freuen sich, und die Menschen wirken entspannt. Das heißt: Wir haben alles richtig gemacht."
    Etwa einen Monat lang werden die soeben eingezogenen Flüchtlinge im Camp leben, dann in die Kommunen verteilt. Auf ihre Plätze in der Erstaufnahme warten schon viele andere. Wer im ländlichen Eifelkreis bleibt, kann mit einer Wohnung rechnen. Wer nach Mainz oder Ludwigshafen kommt, muss sich auf eine neue Großunterkunft gefasst machen, in Schulen und immer mehr auch in Turnhallen. Auf Nachbarschaftshilfe können fast alle bauen, spontane oder von Kirchen und Flüchtlingsinitiativen organisierte. Was Paco Omar noch zu sagen hätte: "Danke, ich kann sagen die deutschen Leute: Danke!"