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Flüchtlingszentren in Nordafrika
Rüdiger Veit (SPD): "Auffanglager rechtlich problematisch"

Es werde sehr lange dauern, in Libyen Strukturen aufzubauen, die unseren Vorstellungen von Menschenrechten entsprächen, sagte der SPD-Innenpolitiker Rüdiger Veit im Deutschlandfunk. Er stellt sich damit gegen den Vorschlag seines Fraktionschefs Thomas Oppermann. Auffanglager in Nordafrika hält Veit für mindestens unrealistisch, rechtlich problematisch und höchst wahrscheinlich auch wirkungslos.

Rüdiger Veit im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Rüdiger Veit (SPD) spricht am 06.03.2015 in Berlin während der Sitzung des Bundestages zum Bleiberecht und Aufenthaltsbeendigung.
    Der SPD-Politiker Rüdiger Veit (picture alliance / dpa / Soeren Stache)
    Jasper Barenberg: Die Idee ist nicht neu. Vor einiger Zeit schon hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière ins Spiel gebracht, Flüchtlinge, die über das Mittelmeer versuchen, nach Europa zu gelangen, in den Staaten Nordafrikas unterzubringen. Auf ihrem Gipfel in Malta haben sich Europas Staats- und Regierungschefs gerade vorgenommen, auf diese Möglichkeit in Libyen hinzuarbeiten. Neu ist allerdings, dass ein führender Sozialdemokrat diesen Gedanken aufgreift und sich zu eigen macht. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann hat das gestern in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" getan.
    - Am Telefon hat der SPD-Politiker Rüdiger Veit mitgehört, Rechtsanwalt und Mitglied im Innenausschuss des Bundestages. Schönen guten Morgen.
    Rüdiger Veit: Guten Morgen.
    Barenberg: Herr Veit, unterstützen Sie den Vorschlag von Thomas Oppermann, Ihrem Fraktionsvorsitzenden?
    Veit: Es sind ja fünf Vorschläge, wie richtig gesagt wurde, und den Vorschlag, in Nordafrika Auffanglager zu schaffen und dadurch zu versuchen, die Menschen von der gefährlichen Überfahrt abzuhalten, das halte ich für mindestens unrealistisch, rechtlich problematisch und höchst wahrscheinlich auch wirkungslos. Die anderen Vorschläge finde ich wirklich in Ordnung.
    Barenberg: Da sind Sie also ganz bei der Opposition?
    Veit: Da habe ich meine Meinung nicht erst gebildet, seitdem ich die Opposition gehört habe, sondern - und da ist auch Ihrem Eingangsbeitrag zu widersprechen - der Vorschlag ist auch für einen Sozialdemokraten nicht neu, sondern den hat vor, ich würde mal schätzen 14, 15 Jahren schon einmal der damalige Bundesinnenminister Otto Schily gemacht. Und das habe ich damals seinerzeit genauso kritisiert und nicht erst, seitdem jetzt heute oder gestern die Opposition meinen Fraktionsvorsitzenden kritisiert.
    Barenberg: Daraus schließe ich jedenfalls, dass Herr Oppermann Sie als Fachmann in dieser Frage nicht zurate gezogen hat, bevor er diesen Artikel geschrieben hat?
    Veit: Dieser Rückschluss ist richtig, aber das muss ja auch nicht sein. Wir leben in einem freien Land. Jeder kann seine Meinung sagen. Das betrifft selbstverständlich auch meinen Fraktionsvorsitzenden, aber genauso auch mich.
    Barenberg: Wie sinnvoll ist es dann, wenn der Fraktionsvorsitzende einen solchen brisanten Vorschlag unterstützt, wissend, dass es viele in seiner Fraktion gibt, nehme ich einmal an, die da eine sehr kritische Meinung haben wie sie?
    "Wahrscheinlich auch wirkungslos"
    Veit: Die Frage sollten Sie sinnvollerweise dann an ihn richten. Ich persönlich kann nur meine Auffassung dazu sagen und gerne noch mal wiederholen. Wir würden sehr, sehr lange brauchen, bis es überhaupt realistischerweise Strukturen in Nordafrika gäbe, die unseren menschenrechtlichen Vorstellungen gerecht würden von der angemessenen Unterbringung und Behandlung von Flüchtlingen. Das Ganze ist im Hinblick auf das Zurückweisungsverbot europarechtlich, flüchtlingsrechtlich und auch menschenrechtlich außerordentlich bedenklich. Und es ist im Übrigen wahrscheinlich auch wirkungslos, weil alle diejenigen, die, unterstellen wir mal, es gäbe so etwas, in derartigen Auffanglagern gesagt bekämen, ihr jedenfalls habt aber keinen Anspruch darauf, als Flüchtlinge in Europa aufgenommen zu werden, wer will denn die dann daran hindern, sich erneut gegebenenfalls sogar aufs Mittelmeer zu machen, anstatt in ihre Herkunfts- und Heimatländer zurückzukehren.
    Barenberg: Wie erklären Sie sich denn dann, dass ein führender Kopf der Fraktion wie Thomas Oppermann einen solchen, gleichermaßen wirkungslosen wie rechtlich höchst problematischen Vorschlag unterstützt?
    Veit: Ich muss wiederholen: Die Frage müssen Sie an ihn richten.
    Barenberg: Ja. Aber Sie haben doch bestimmt auch eine Meinung dazu. Ist das eine Anbiederung an die Union und an den Druck, der von der Unionsseite kommt, härtere Bandagen aufzuziehen?
    Veit: Zunächst einmal bin auch ich dafür, dass alles versucht wird, was sinnvoll, rechtlich und menschenrechtlich in Ordnung und vertretbar ist, unternommen wird, um zu verhindern, dass Menschen und Flüchtlinge, die sich auf den Weg machen über das Mittelmeer, dort zu Tode kommen. Das ist völlig in Ordnung, darüber nachzudenken. Aber man muss natürlich auch überlegen, welche Vorschläge da zielführend sind und vernünftig. Von daher gesehen muss man alles, was auf den Tisch kommt, entsprechend bewerten, vielleicht auch kritisch bewerten, verwerfen oder weiterverfolgen. Das ist unser aller Aufgabe und dagegen ist zunächst einmal nichts zu sagen. Aber meine persönliche Meinung habe ich Ihnen ja gesagt.
    Barenberg: Welche Vorschläge hätten Sie denn, um da zu Fortschritten zu kommen?
    "Entwicklungshilfe aufstocken"
    Veit: Der Ansatz ist zunächst einmal völlig richtig, die Entwicklungshilfe aufzustocken. Das ist unstreitig. Das ist richtig von Ihnen auch kommentiert worden. Als Nächstes wäre in der Tat dann europäische Solidarität einzufordern bei der Frage des Resettlements, also der Umsiedlung von Flüchtlingen. Und da hat ja der Gipfel von Malta überhaupt nichts gebracht, sondern die dortigen Vorschläge sind ja nur ein Ablenkungsmanöver. Der dritte Punkt ist sicherlich dann auch die angemessene Verteilung in Europa mit der Unterstützung durch finanzielle Zuwendung. Über die Frage Einwanderung sind wir möglicherweise schon wieder geteilter Meinung. Ich bin mir nicht sicher, ob Wege zu einer legalen Arbeitsmigration wirklich dazu führen, dass Fluchtbewegungen in nennenswertem Umfang zurückgehalten werden. Und dann gibt es, wenn überhaupt, sinnvollerweise die Möglichkeit, die Menschen in ihren Heimatländern oder in unmittelbarer Nähe ihrer Heimatländer zu beraten. Sie müssen sich doch folgendes vorstellen: Wenn sich jemand in Zentralafrika oder südlich der Sahara auf den Weg macht, unterstützt möglicherweise durch finanzielle Zuwendungen seiner ganzen Familie, sich dann durch die Sahara bis nach Nordafrika durchschlägt, wenn Sie dem dann dort sagen, wir sehen das aber als Europäer anders, Du solltest freundlicherweise wieder zurück. Dann ist es nicht sehr wahrscheinlich, zu glauben, dass der Betreffende das dann auch prompt macht, sondern dann wird er weiter versuchen, nach Europa zu kommen, selbst wenn ihm in einem Aufnahmelager gesagt wird, nein, Du jedenfalls nicht. Und wenn überhaupt, dann muss eine solche Beratung und erste Einschätzung, ob jemand eine legale Perspektive als Flüchtling hat, heimatnah einsetzen.
    Barenberg: In der EU ist es ja in den vergangenen zehn Monaten nicht gelungen, sagen wir, beispielsweise auf den griechischen Inseln auch nur einigermaßen akzeptable Unterkünfte für Asylsuchende aufzubauen. In Italien gibt es noch viele Hindernisse auf dem Weg zu schnellen Asylverfahren. Ist das eine neue Aufgabe und Herausforderung für den neuen Bundesaußenminister, für Sigmar Gabriel?
    Veit: Die Aufgabe ist leider nicht neu. Die ist viel zu alt. Das sind Versäumnisse, die sind schon Jahre oder Jahrzehnte alt. Und Sie haben völlig Recht: Da müsste als Erstes angesetzt werden, da müsste Entscheidendes getan werden. Und im Übrigen geht es dann in der Tat vor allen Dingen um die Solidarität in ganz Europa.
    Barenberg: Was werden Sie denn jetzt Thomas Oppermann sagen als Reaktion auf seinen Artikel, das kannst Du mit uns vergessen?
    Veit: Ich werde ihm meine Meinung sagen, so wie ich Ihnen die jetzt gerade eben auch geschildert habe und den Hörern.
    Barenberg: Rüdiger Veit, Rechtsanwalt und Mitglied im Innenausschuss des Bundestages. Danke für das Gespräch heute Morgen.
    Veit: Bitte sehr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.