Juni 2009, Flug AF447 auf dem Weg von Rio de Janeiro nach Paris. Die Maschine der Air France ist seit über dreieinhalb Stunden in der Luft und schon weit draußen über dem Atlantik. Der Kapitän ruht sich aus. Im Cockpit des Airbus die beiden Kopiloten. Draußen stockfinstere Nacht. Plötzlich schaltet sich der Autopilot ab.
"Ich habe die Kontrolle!", sagt der Kopilot. Doch das wird sich in den nächsten sieben Minuten dramatisch ändern. Wichtige Außensensoren des Airbus sind eingefroren. Deswegen spinnen die Instrumente! Sie zeigen an, dass das Flugzeug stark an Höhe verliert, was aber nicht stimmt. Der Kopilot am Steuer glaubt der Fehlmeldung und reißt die Maschine nach oben. Doch jetzt ragt die Nase des Airbus zu steil auf. Es droht der gefürchtete Strömungsabriss, ein kompletter Verlust des Auftriebs.
Gas geben und Nase runter! Das wäre jetzt angebracht. Doch Alarm und Instrumentenanzeige widersprechen sich. Steigt die Maschine nun oder sinkt sie? Die Piloten behalten den Steigflug bei, es kommt zum Strömungsabriss. Auch der Kapitän, zurück im Cockpit, kann das Unglück nicht mehr abwenden.
Fehlende emotionale Distanz zum Bord-Computer
"Die letzten Sekunden sind dadurch geprägt, dass die Leute nur noch versucht haben, individuell die Steuerung anhand der Joysticks zu übernehmen, das aber gar nicht mehr abgestimmt war. Das ließ sich anhand der Flugschreiber-Auswertungen nachzeichnen", so Gordon Müller-Seitz. Er ist Professor für Strategie und Kooperation an der TU Kaiserlautern. Ein Schwerpunkt seiner Forschung liegt auf Krisen, die beim Umgang mit Technologien entstehen, an der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Deswegen das Interesse an Flug AF447. Müller-Seitz teilt es mit einem Fachkollegen, dem französischen Organisationswissenschaftler Olivier Berthod von der Freien Universität Berlin: "Als die Maschine nicht mehr wie gewohnt reagiert, ist der emotionale Stress für die Kopiloten so groß, dass jeder nur noch wie gebannt darauf achtet, was der Bordcomputer macht. An diesem Punkt kollabiert das organisierte Handeln."
"Der Zusammenbruch der Teamstruktur, der Kommunikationsstruktur - das wäre das, was da interessant war in dem Fall", so GordonMüller-Seitz. Er und Olivier Berthod legen jetzt eine neue Analyse über das Unglück vor und kommen zu dem Schluss: Es geht hier um ein grundsätzliches Problem im Umgang des Menschen mit hochautomatisierter Technik. Den Piloten habe so etwas wie kritische Distanz zu ihrem Bordcomputer gefehlt. In einer für sie verwirrenden Situation seien sie auf die Instrumente fixiert geblieben, statt innezuhalten und gemeinsam zu überlegen, was in dem Moment eigentlich falsch laufe.
"Umso wichtiger", so Gordon Müller-Seitz, "ist es eben, dass die Leute - wir wir es nennen würden - eine gewisse wachsame aufmerksame Gleichgültigkeit gegenüber der Technik haben. Dass, wenn was schiefläuft, sie immer wieder genau eingreifen können und wieder Herr der Lage sind. Und das war eben da nicht der Fall, weil das Wechselspiel zusammenbrach zwischen Mensch und Maschine."
Es war zwar stockdunkel und die Piloten praktisch im Blindflug unterwegs. Doch hätten sie nicht spüren müssen, was ihre Maschine macht?
"Das war auch noch ursächlich für den Fall, dass es ein Airbus-Flugzeug war. Weil das Airbus-Cockpit und die Instrumente gar kein Gespür mehr dafür vermitteln, wie eigentlich gerade die Flugbewegung ist. Hätte man im Vergleich ein Boeing-Flugzeug geflogen, hätte man noch am Steuerknüppel und Ähnlichem die Bewegungen von außen wahrgenommen, weil die elektronisch übertragen werden und simuliert werden, während man im Airbus sich einfach in einem geschlossenen Cockpit befunden hat. Man wusste nicht, wie man sich gerade bewegt, ob nach oben oder nach unten, weil es eben Nacht war."
"Das war auch noch ursächlich für den Fall, dass es ein Airbus-Flugzeug war. Weil das Airbus-Cockpit und die Instrumente gar kein Gespür mehr dafür vermitteln, wie eigentlich gerade die Flugbewegung ist. Hätte man im Vergleich ein Boeing-Flugzeug geflogen, hätte man noch am Steuerknüppel und Ähnlichem die Bewegungen von außen wahrgenommen, weil die elektronisch übertragen werden und simuliert werden, während man im Airbus sich einfach in einem geschlossenen Cockpit befunden hat. Man wusste nicht, wie man sich gerade bewegt, ob nach oben oder nach unten, weil es eben Nacht war."
Als Konsequenz aus dem Absturz trainieren Piloten inzwischen in ihren Simulatoren den Ausfall des Autopiloten in Reiseflughöhe. Und Olivier Berthod betont, dass die Zahl von Unfällen mit Airbus-Maschinen nicht etwa steige, sondern abgenommen habe. Dennoch sollte auch die Teamfähigkeit im Cockpit stärker geschult werden, wie er empfiehlt:
"Es sagt sich immer leicht, wenn man am Schreibtisch sitzt. Aber wir denken: Piloten sollten sich in kritischen Situationen vor allem anderen als Team begreifen und gemeinsam nach einer Lösung suchen. Das sollte zur Standardprozedur und trainiert werden."
"Es sagt sich immer leicht, wenn man am Schreibtisch sitzt. Aber wir denken: Piloten sollten sich in kritischen Situationen vor allem anderen als Team begreifen und gemeinsam nach einer Lösung suchen. Das sollte zur Standardprozedur und trainiert werden."
Die neue Studie hat sich schnell in Luftfahrtkreisen herumgesprochen. Und die Forscher erhielten bereits erste Einladungen zu Vorträgen vor Piloten.