Dirk Müller: Wieder Air Berlin, oder vielleicht besser, immer noch Air Berlin. Die Meldung kam gestern Nachmittag für die meisten in dieser Deutlichkeit, in dieser zeitlichen Perspektive dann doch überraschend: Die insolvente Airline muss wohl Ende Oktober alle Flüge streichen. Das wird zehntausende Passagiere treffen. Es fehlt das Geld. Die Kreditlinie der Bundesregierung von 150 Millionen Euro ist aufgebraucht. Und auch die Verhandlungen mit EasyJet, einen Teilbereich aus der Konkursmasse von Air Berlin zu verkaufen, die sind offenbar vor die Wand gefahren.
Manchmal verlaufen Pleiten, Insolvenzen auch nahezu glimpflich ab für alle Beteiligten, wenn sich ein entsprechender Investor, wenn sich ein Nachfolger findet und das Produkt gut ist. Wie das nun bei Air Berlin ist, darüber sprechen wir nun mit dem Luftfahrt-Experten Heinrich Großbongardt, der auch Unternehmen in der Luftfahrt-Industrie berät. Guten Morgen.
Heinrich Großbongardt: Guten Morgen!
Müller: Herr Großbongardt, Air Berlin, ist das der ganz große Gau?
Großbongardt: Für die Betroffenen ganz sicherlich insofern, als es eine Menge Unsicherheit bringt. Es werden ganz sicherlich da viele hundert Arbeitsplätze verloren gehen. Aber man muss auch sagen, die Luftfahrt-Industrie, der Luftverkehr in Deutschland wächst, auch in Europa. Der Bedarf ist da und deshalb werden ganz sicherlich die Mitarbeiter des fliegenden Personals da auch bei einem der Bieter, EasyJet oder Lufthansa, eine berufliche Zukunft finden.
Müller: Jetzt ist die Rede davon, 1.400 Mitarbeiter sollen bis Ende Oktober ihren Job verlieren. Wir reden von 8.000 Mitarbeitern insgesamt. Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, könnte es dabei bleiben, 1.400 Maximum. Sie sagen, "nur mehrere hundert"?
Großbongardt: Dabei könnte es bleiben. Es gibt ganz viele Sachen, die noch ungeklärt sind. Es gibt noch die Frage, was wird aus der Air Berlin-Technik. Was wird aus verschiedenen anderen kleineren Bereichen. Aber wenn es denn jetzt tatsächlich zur Übernahme von großen Teilen der Flotte durch Lufthansa und durch EasyJet kommt, dann sind auf jeden Fall ganz viele Arbeitsplätze gerettet.
Müller: Hier muss ich noch einmal nachfragen, Herr Großbongardt. EasyJet – das war ja gestern in der Diskussion immer wieder auch in den Nachrichtenagenturen nachzulesen -, da hakt es offenbar. Unsere Korrespondentin hat das auch gerade angesprochen. Mit EasyJet läuft es nicht so wie vorgesehen. Kann sein, könnte es sein, dass das Ganze scheitert?
Großbongardt: Ganz scheitern wird es, denke ich, nicht. Es kann natürlich sein, das was wir jetzt erleben, dass dies das letzte Pokern ist zwischen den beiden Kontrahenten Lufthansa und EasyJet. Letzten Endes muss auch eine Lufthansa daran interessiert sein, dass ein Teil an EasyJet geht, denn das erleichtert nachher die kartellrechtliche Erlaubnis der ganzen Geschichte.
Müller: EasyJet ist wichtig dafür, dass Lufthansa den Zuschlag bekommt?
Großbongardt: Auch. Dass Lufthansa die komplette Flotte von Air Berlin bekommt und jemand anders nicht, das ist sicherlich weder von deutschen Kartellbehörden, noch von europäischen Kartellbehörden zu genehmigen.
"Die Flugzeuge sind schon lange nicht mehr ausgelastet"
Müller: Diese Nachricht, dass das mit EasyJet vielleicht nicht klappen könnte, das hat ja sehr viele beunruhigt gestern in Berlin, vor allem die Gewerkschaften, die Mitarbeiter, die Betroffenen. Aus Ihrer Sicht aber alles nur Taktik und Strategie, was am Ende sich noch zum Guten letztendlich entwickeln könnte?
Großbongardt: Ich kann mir gut vorstellen, dass es sich da schlichtweg um Verhandlungspoker handelt.
Müller: Herr Großbongardt, reden wir über die Perspektive. Wie attraktiv ist das, was von Air Berlin übrig bleibt?
Großbongardt: Was übrig bleibt, nachdem die Flugzeuge raus sind, wird in die Insolvenz gehen. Dafür wird es keine Verwendung geben. Sondern die Marke Air Berlin wird verschwinden und die Mitarbeiter des fliegenden Personals – die Langstrecke mal außen vor, für die es keinen Interessenten gibt – werden bei der Lufthansa oder bei EasyJet oder womöglich noch bei jemand anders weiterfliegen. Die werden die Flugzeuge weiter reparieren und die werden natürlich diesen Bedarf, der da ist – die Menschen wollen ja diese Strecken fliegen -, weiter bedienen.
Müller: Reden wir noch einmal über die weitere Perspektive. Wir haben gesagt, Ende Oktober ist der letzte Flug. Dann kann es nicht mehr bedient werden. Viele verstehen das gar nicht, wenn Tickets bezahlt sind, wenn der Bedarf da ist, wie Sie es sagen. Warum geht das dann nicht mit einer Finanzierung, Teilfinanzierung, wie auch immer?
Großbongardt: Die Flugzeuge sind ja schon lange nicht mehr ausgelastet. Es gibt natürlich Tickets, die verkauft sind, aber das reicht bei weitem nicht. Und der Insolvenzverwalter darf Air Berlin überhaupt nur so lange weiterlaufen lassen, wie die Aussicht besteht, dass durch den Weiterbetrieb letzten Endes mehr Geld reinkommt, als die ganze Sache kostet. Eine Air Berlin, die nicht fliegt, ist nichts wert. Also durfte er Air Berlin bislang weiterbetreiben. In dem Moment, wo diese Aussicht nicht mehr besteht, müssen Sie den Laden zumachen. Dieser Betrieb wird natürlich weiter erfolgen. Nur erfolgt das dann, denke ich, durch die einzelnen Bieter, also durch eine Lufthansa Group oder durch eine EasyJet …
Müller: Die dann doch kurzfristig einspringen?
Großbongardt: Die werden in der Zeit einspringen müssen. Selbstverständlich! Das sind Kosten, die dann auch dem Erwerber zufallen werden.
"Alle Tickets, die nach dem 15. August gekauft sind, die sind voll rückerstattungsfähig"
Müller: Und die Ticket-Besitzer, die Kunden, die Passagiere, was können die jetzt machen?
Großbongardt: Alle Tickets, die nach dem 15. August gekauft sind, die sind voll rückerstattungsfähig. Die Tickets, die vorher gekauft sind, da sieht es schlecht aus. Da gibt es nur einen theoretischen Rückerstattungsanspruch. Da muss man seine Forderung dann beim Insolvenzverwalter anmelden und das kann Jahre dauern und da kommt dann wahrscheinlich auch wenig bei raus.
Müller: Diejenigen dann ab August, 15. August, glaube ich, hatten Sie gesagt als Stichwort?
Großbongardt: Genau.
Müller: Das ist gewährleistet. – Wer kann denn dieses Geld garantieren? Wer kann das bezahlen?
Großbongardt: Dafür ist das jetzige Air Berlin Management verantwortlich. Darüber wird auch Sorge getragen.
Müller: Das ist uns ja schon häufiger in der Form versichert worden, dass das Management in der Lage ist, im Grunde den Verpflichtungen nachzukommen. Stimmt aber nicht. Aber Sie gehen hier davon aus, dass es tatsächlich der Fall ist?
Großbongardt: Es ist nicht nur das Management, sondern es ist natürlich auch der Sachwalter der Gläubiger, die darauf zu achten haben.
Müller: Bei uns hier im Deutschlandfunk im Gespräch heute Morgen der Luftfahrt-Experte Heinrich Großbongardt. Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.