Claudia van Laak: Michael Müller, wir starten mit einem aktuellen Thema: Flüchtlinge aus dem Kosovo. Da gibt es speziell aus Bundesländern wie Niedersachsen den Hilferuf: "Es kommen zu viele, wir sind stark betroffen!“ Wie kommt denn Berlin klar mit der Zahl der Flüchtlinge, mit der steigenden Zahl, auch mit denen aus dem Kosovo?
Michael Müller: Also das ist schon eine große Aufgabe. Wir haben uns ja deswegen auch Anfang des Jahres senatsseitig und ressortübergreifend damit auseinandergesetzt. Wir müssen ja damit rechnen, bundesweit und eben auch in Berlin, dass sich die Zahl der Flüchtlinge mindestens verstetigen wird, eventuell sogar noch zunimmt. Und da spielt eben nicht nur die Unterbringung eine Frage – das steht im Vordergrund –, aber auch: Was passiert dann eigentlich mit den Menschen, wenn sie da sind? Wie werden sie qualifiziert? Sprachunterstützung, Gesundheitsprüfung und, und, und? Und das ist, glaube ich, für alle Bundesländer sehr schwierig, aber ganz besonders für die Städte. Und natürlich ist wieder einmal Berlin auch für viele der erste Anlaufpunkt.
Schnelle Planungssicherheit gebraucht
van Laak: Berlin ist sehr stark betroffen. Erhoffen Sie sich da mehr Hilfe vom Bund? Brauchen Sie die?
Müller: Ja, es sind ja auch auf der Bundesebene Dinge in Gang gekommen, andere gesetzliche Verfahren, um schneller den Status überprüfen zu können, um schneller ein Verteilsystem aufbauen zu können zwischen den Bundesländern – wir sind auch mit Brandenburg dazu im Gespräch. Also es ist schon so, dass wir sehen müssen, dass wir doch auch für die Betroffenen möglichst schnell eine Planungssicherheit brauchen: Wie geht es weiter? In welchem Status befinden sie sich? Können sie hier bleiben? Was passiert dann? Oder ist klar, dass sie nicht dauerhaft hierbleiben werden? Das ist im Moment keine gute Situation, dass sich mitunter die Verfahren eben über längere Zeit hinziehen.
van Laak: Es hat sich ja im letzten Jahr schon angedeutet, dass die Zahl der Flüchtlinge stark steigen wird. Trotzdem hat man den Eindruck, die Stadt ist nicht gut vorbereitet. Es ist oft sehr kurzfristig – da werden Turnhallen beschlagnahmt zum Beispiel –, es gibt Kritik aus den Bezirken, die sagen: "Ihr müsst uns rechtzeitig informieren". Warum so kurzfristig?
Es ist keine leichte Aufgabe
Müller: Ich frage zurück: Wie hätte man es besser machen können? Wir sind im Moment ja ohnehin in einem riesigen Veränderungsprozess in der Stadt. Wir bauen ohnehin ja schon sehr viele Wohnungen und haben das angekurbelt, um dem gerecht zu werden, dass die Stadt wächst. Im letzten Jahr wieder 40.000 Menschen, die dazu gekommen sind, jenseits dieser Flüchtlingsfrage. Und jetzt hat sich gezeigt, dass das noch mal obendrauf kommt, dieser Ansturm, der zu bewältigen ist, eher sogar noch zunimmt. Und insofern haben wir eben auch ressortübergreifend gesagt: "Wir müssen da auch an einem Strang ziehen". Die Stadtentwicklungsverwaltung muss unterstützt werden, schnell Grundstücke zu finden, dann eben auch geeignete Baumaßnahmen sicherzustellen, gegebenenfalls auch temporäre Einrichtungen. Man kann in einer kalten Jahreszeit die Leute nicht im Freien lassen, das ist auch völlig klar. Kinder müssen gut untergebracht werden. Also es ist keine leichte Aufgabe. Und von heute auf morgen allen Wohnung zu versprechen, wird auch nicht gelingen.
van Laak: Was haben Sie für einen Eindruck, wie reagieren die Berlinerinnen und Berliner? Wir haben diese PEGIDA-Bewegung gesehen in Dresden – die haben wir in Berlin nicht. Sind die Berliner da anders eingestellt? Gehen die positiver um mit Flüchtlingen?
Müller: Ja, das ist so. Also als Regierender Bürgermeister habe ich mich darüber richtig gefreut, wie die Reaktionen an einigen Stellen waren in den letzten Wochen in Berlin. Es gibt auch natürlich in den Quartieren berechtigte Sorgen und Nachfragen: Wer kommt da? Wie viele sind es? Wie werden die untergebracht? Völlig legitime Fragen, auf die wir vielleicht auch besser und umfassender reagieren müssen und antworten müssen. Aber die Berlinerinnen und Berliner haben am Brandenburger Tor nach den schlimmen Anschlägen da in Paris oder auch bei den PEGIDA-Demonstrationen oder eben auch durch ihr ehrenamtliches Engagement in Bezug auf Flüchtlinge gezeigt: Wir nehmen Menschen auf, wir leisten Hilfe. Diese Stadt kann das, diese Stadt will das. Und das weltoffene, tolerante Berlin ist nicht eine Monstranz, die wir vor uns hertragen, sondern das, was wir jeden Tag leben. Und das ist wunderbar, das auch in den Quartieren zu erleben.
van Laak: Michael Müller, Sie sind jetzt gut zwei Monate im Amt, haben Klaus Wowereit abgelöst, sind schon lange im Berliner Politikbetrieb, SPD-Landesvorsitzender, Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, zuletzt Senator für Stadtentwicklung. Man kann sagen, Sie waren bestens vorbereitet auf Ihr Amt. Gab es trotzdem etwas, was Sie überrascht hat in den ersten zwei Monaten, womit Sie nicht gerechnet hatten?
Müller: Ja, also richtig ist, dass es mir hilft, dass ich doch schon einige politische Funktionen hatte, viele Gesprächspartner über Jahre kennengelernt habe, denen ich jetzt wieder begegne, viele Themen mir auch natürlich sehr präsent sind, allein aus dem Stadtentwicklungsbereich. Das hilft mir sehr. Und trotzdem ist es als Regierender Bürgermeister noch mal anders. Es ist eine andere öffentliche Begleitung, eine andere Erwartung auch natürlich an den Regierenden Bürgermeister, das eine oder andere schnell zu regeln und schnell zu entscheiden und natürlich auch neue Themen. Dieser ganze Kulturbereich ist für mich ja auch ein neuer Bereich, wo ich immer mal Schnittstellen hatte, aber wo ich mich jetzt auch vertieft einarbeite. Macht viel Spaß, aber ist eben was ganz Neues.
van Laak: Denn Michael Müller ist auch Kultursenator, muss man dazu wissen.
Müller: Genau.
Ausgewogenheit der großen und kleinen Themen
van Laak: Wie ist das denn mit Klaus Wowereit, ruft der ab und zu mal an und sagt: 'Michael, das musst du aber so und so machen'?
Müller: Nein, überhaupt nicht. Also wir telefonieren ab und zu oder begegnen uns natürlich auch auf Veranstaltungen, auch Theaterpremieren. Und Klaus Wowereit ist nun ein politischer Mensch, er hat 40 Jahre in der ersten Reihe Politik gemacht und das ist nicht von heute auf morgen beendet. Und natürlich kommentiert er auch das eine oder andere – aber nicht in Form von Tipps oder Ratschlägen, sondern nur als "Berliner“, der immer noch mit seiner Stadt mitfiebert, da nimmt er natürlich das eine oder andere wahr.
van Laak: Sie haben für Ihre Regierungszeit ein Motto vorgegeben, das heißt: "Gutes Regieren“ – was heißt das konkret?
Müller: Ja, das ist etwas, was unterschiedliche Reaktionen ausgelöst hat. Ich meine damit, dass wir zum Einen natürlich ganz viele große, wichtige Themen haben. Wir leben in der deutschen Hauptstadt. Wir haben weltpolitische Themen, die hier auch aufschlagen. Und damit müssen wir und wollen wir uns auch auseinandersetzen. Aber wir haben eben auch ganz viele kleinteilige Probleme, und ich finde es nicht richtig, darüber hinwegzugehen, zu lachen, zu sagen: 'Na ja, das spielt doch alles keine Rolle', weil gerade diese kleinen Dinge bestimmen auch unser Zusammenleben und sind für die Menschen wichtig. Es ist nun mal wichtig: Wie sieht die Schule in der Nachbarschaft aus? Komme ich sicher über die Straße? Habe ich barrierefreie Zugänge zum ÖPNV? Habe ich einen guten Arbeitsplatz, von dem ich gut leben kann in unserer Stadt? Und das meine ich, diese Ausgewogenheit der großen und kleinen Themen und sich auch darum kümmern, was die Menschen tagtäglich bewegt, das ist für mich "Gutes Regieren“.
van Laak: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk, mit Michael Müller, SPD, Regierender Bürgermeister von Berlin. Kommen wir zu einem Lieblingsthema – bestimmt auch von Ihnen, Herr Müller –, dem BER. Wir haben in den nächsten Tagen eine Aufsichtsratssitzung; vielen gehen davon aus, an diesem Tag wird der Nachfolger von Hartmut Mehdorn bestimmt. Ist das so?
Müller: Das kann sein. Das ist leider keine leichte Situation zwischen den drei Gesellschaftern – Bund, Berlin, Brandenburg –, wir drei müssen uns ja abstimmen, aufseiten der Bundesebene sind es auch noch mal zwei Ministerien – das Finanzministerium und das Verkehrsministerium. Also wir sind da, sagen wir mal, in der Schlussrunde, und insofern gibt es eine gute Chance, jetzt auch sehr schnell zu entscheiden: Wie geht es weiter in der Geschäftsführung, im Aufsichtsrat und in der Gesellschafterversammlung. Da hängt alles miteinander zusammen, aber man ist nicht direkt in allen Gremien drin – vielleicht dauert es auch noch ein paar Tage. Ich hoffe es geht schnell, weil wir auch hier eine Sicherheit haben für den BER, wie es personell weitergeht, damit auch der Baufortschritt endlich weiter voran geht.
van Laak: Ist es denn ein Verlust, dass Hartmut Mehdorn seinen Vertrag frühzeitig beendet?
Müller: Ja, ich habe es bedauert, weil ich natürlich auch sehe, wie über Herrn Mehdorn gesprochen wird. Und ich sehe auch, dass noch längst nicht alles in Ordnung ist auf dem Flughafen. Das ist sicherlich alles richtig. Ich sehe aber auch, dass wir dort inzwischen mit den Verantwortlichen vieles abarbeiten konnten an Problemen und einen ganz ordentlichen, verlässlichen Fahrplan haben für die nächsten zwei Jahre. Und insofern bin ich mit der Haltung in den Aufsichtsrat gegangen vor acht Wochen als neues Mitglied: Wir sollten nicht für neue Aufregung sorgen und schon wieder alles auf den Kopf stellen, sondern jetzt mal endlich die Leute in Ruhe weiter arbeiten lassen. Herr Mehdorn hat das anders entschieden und hat gesagt, er fühlt sich nicht mehr entsprechend getragen – zumindest von einem Teil der Gesellschafter. Das muss man zur Kenntnis nehmen, nun wird möglicherweise ein anderer Kopf dazu kommen, der dann aber auch – das ist mir sehr wichtig – diejenigen, die vor Ort ihren Job gut und ordentlich machen, unterstützt und nicht wieder alles auf Null stellt und von vorne anfängt.
Wir brauchen niemanden, der wieder alles besser weiß
van Laak: Was ist das denn für ein Kopf, der da kommen muss? Was braucht der für Fähigkeiten? Sollte der eher aus der politischen Szene kommen, eher vom Bau kommen? Sollte das ein ehemaliger Flughafenchef sein? Was brauchen wir im Moment am BER, um den schnell fertigzustellen?
Müller: Wir brauchen keinen neuen Oberbauleiter, wir brauchen niemanden, der wieder alles besser weiß, wir brauchen auch keinen neuen Flughafenmanager, weil das läuft. Wir haben ja in Tegel und in Schönefeld (alt) einen gut laufenden, funktionierenden Flughafenbetrieb – das ist ja toll, was da abgewickelt wird – und dieser Betrieb verdient ja auch das Geld mit für den Bau des neuen Flughafens. Wir haben eine gute Finanzvorständin und wir haben mit Herrn Marx, der ja von Siemens gekommen ist, jetzt da auch einen Bausachverständigen, der eben wirklich viele Bauprobleme in den letzten Monaten lösen konnte und jetzt einen guten Plan vorgelegt hat, wie es auch weitergeht zur Schlussfertigstellung des BER. Insofern möchte ich, dass die weiter ihren Job gut machen und dass dann möglicherweise jetzt nur jemand dazu kommt, der diese Unternehmensaktivitäten bündelt und auch nach außen vertritt. Das muss man ernst nehmen – inzwischen tagen zwei Untersuchungsausschüsse in Berlin und Brandenburg, die Finanzausschüsse und Bauausschüsse im Bundestag, es gibt Medieninteresse jeden Tag, öffentliche Veranstaltungen. Und wenn die drei Geschäftsführer, die jetzt an Bord sind, diese Kommunikationsaufgabe auch noch übernehmen sollten, dann bauen sie ja nicht mehr. Das will ich nicht. Ich will, dass die weiterbauen, das steht im Vordergrund. Nichts anderes ist wichtig, als dass dieser Flughafen fertig wird. Und dann brauchen wir vielleicht auch jemanden, der diese Kommunikation nach außen noch übernimmt.
van Laak: Ihr SPD-Kollege aus Brandenburg, Dietmar Woidke, der ist nicht in den Aufsichtsrat gegangen – Sie sind jetzt im Aufsichtsrat. Sie haben kritisiert, dass er nicht mit drin ist. Jetzt heißt es, Sie wollen nachziehen und sich ebenfalls zurückziehen, den Aufsichtsrat verlassen – ist das richtig?
Müller: Na, wollen ist so eine Sache – Sie haben es ja richtig dargestellt. Ich glaube, Politik bleibt in einer Verantwortung. Über Jahre hat die Politik das aktiv mit begleitet und nicht immer gut – da gibt es ja nichts drumrum zu reden. Und jetzt zu sagen: 'Na ja, nun, jetzt ziehen wir uns zurück', finde ich, ist ein schwieriger Weg. Es ist gut und richtig, wenn auch wieder andere Externe dazukommen aus der Wirtschaft, die den Aufsichtsrat dann mit begleitet. Es sind jetzt schon welche drin, es können gerne mehr sein, aber Politik bleibt in einer Verantwortung. Brandenburg hat es jetzt so entschieden, sie wollen nicht mehr auf Ministerebene oder Ministerpräsidentenebene vertreten sein – das muss ich zur Kenntnis nehmen. Und daraus folgt eigentlich, dass ich auch nicht einfaches Mitglied im Aufsichtsrat sein kann. Das hat gar nichts mit Eitelkeiten zu tun, sondern ich habe das ja in der einen Sitzung erlebt: Es dauert zehn Minuten, dann gucken alle Aufsichtsratsmitglieder mich an, als Ministerpräsidenten, als Regierenden Bürgermeister: 'Was willst du denn? Du musst es sagen und dann machen wir es so'. Also, entweder man wird dann Aufsichtsratsvorsitzender – was ich auch schwierig finde, ich bin neu in dem Gremium, da kann ich nicht alles wissen und nicht alles besser wissen – oder man muss dann auch raus gehen und die anderen es machen lassen. Einfaches Mitglied sein und dann jede Diskussion aber praktisch indirekt auch dadurch zu blockieren, das ist ein schwieriger Weg.
van Laak: Und wann ziehen Sie sich zurück?
Müller: Wie gesagt, das ist ja noch gar nicht letztendlich entschieden. Es hängt jetzt eben auch ab von der Frage der Geschäftsführung: Wer wird das sein? Wird es jemand sein, der dem Profil entspricht, wie ich es beschrieben habe oder doch noch mal etwas ganz anderes, weil der Bund vielleicht andere Überlegungen hat? Was folgt daraus für den Aufsichtsrat und für die Gesellschafterversammlung? Letztendlich ist es noch nicht entschieden, aber das kann dann auch in den nächsten Wochen stattfinden, wenn es so kommen soll.
van Laak: Nicht nur der Freitag wird interessant, die Aufsichtsratssitzung, auch der Donnerstag, da plant nämlich die Opposition im Abgeordnetenhaus, einen weiteren Untersuchungsausschuss zu beantragen – den zweiten dann in der Legislaturperiode – so soll es sein. Im ersten ging es um den BER, im zweiten soll es um den "Mini-BER“ gehen, so nennt es zumindest die Opposition, um die Sanierung der Lindenoper. Die soll aus dem Ruder gelaufen sein, heißt es, sollte ursprünglich 2013 wieder eröffnet werden, jetzt heißt es: Herbst 2017. Die Kosten ursprünglich 240 Millionen, jetzt sind wir bei 390 Millionen. Sie waren ja der zuständige Bausenator, Herr Müller, was ist da passiert?
Müller: Ja, das stimmt, die letzten drei Jahre von dieser Entstehungsgeschichte habe ich auch als Stadtentwicklungssenator mit begleitet und habe deswegen auch genauer hingeguckt, was da eigentlich los ist. Und die Opposition selbst sagt ja: Dieser Untersuchungsausschuss wird keine neuen Erkenntnisse zutage fördern, sondern soll eher dazu dienen, die Konsequenzen für die Zukunft zu formulieren, wie man anders und besser mit Bauprojekten umgeht. Und das ist auch meine Lehre. Zum einen kann immer etwas passieren, wofür keiner was kann. Es ist auch da so gewesen, dass ein Unternehmen pleitegegangen ist, dass auf einmal es dadurch eine Bauverzögerung gegeben hat, dass wir archäologische Funde hatten und dadurch nicht weiterbauen konnten, es kann einen harten Winter geben, wo man dann ein Vierteljahr nicht bauen kann und, und, und. So was kann passieren. Aber das Grundproblem ist eben oft, dass man sich nicht genügend Zeit nimmt in der Planungsphase und dass es politisch gesetzte Termine gibt, wann etwas fertig sein soll. Und wenn dann so was zusammenkommt, eben eine nicht ordentlich stattgefundene Planungsphase im Vorfeld des Baubeginns und dann Schwierigkeiten beim Bauen – was, wie gesagt, immer eintreten kann –, dann nimmt oft die Katastrophe seinen Lauf. Das sind dann herausragende große Projekte, die einen nicht schmücken, das weiß ich. Aber es gehört zur Wahrheit dazu, dass weit über 80 Prozent aller Investitionen bundesweit im Kostenrahmen und im Zeitrahmen sind und alles ordentlich auch fertiggestellt wird. Wir sehen dann eben, wie bei Elbphilharmonie oder beim BND oder dem Innenministerium, wie auch immer, auch mal bei Bundesbauten, dass etwas aus dem Ruder läuft. Das muss man in Ordnung bringen, aber trotzdem muss weiter investiert werden.
Mitunter fehlt ein entsprechender Kostenpuffer
van Laak: Sollte da die Politik ehrlicher sein und von vorneherein sagen: 'Das Projekt wird X Millionen vielleicht teurer' und das nicht von vorneherein runter rechnen? Das passiert doch auch, oder?
Müller: Nein, das passiert so gar nicht mehr. Das ist diese Unterstellung, es wird etwas "schöngerechnet“. Das ist gar nicht der Punkt, sondern mitunter fehlt ein entsprechender Kostenpuffer. Das hat jetzt das Abgeordnetenhaus schon anders beschlossen. In den letzten Jahren wird schon auch immer mit einem Budget gerechnet für Unvorhergesehenes, für einen Puffer, für eine Kostensteigerung, die ohnehin über eine längere Bauzeit entsteht. Also das ist, glaube ich, ganz entscheidend und dass man eben wirklich auch bei Projekten, die über mehrere Jahre oder sogar Legislaturperioden gehen, von Anfang an einen seriösen Zeitplan hat. Da, finde ich, ist eher Kritik anzusetzen, dass man mitunter zu ambitioniert sagt: 'Da ist ein Projekt, das muss noch in einer Legislatur fertig werden, das muss noch ein Senator machen' oder ein Bürgermeister oder ein Parlament will das noch gerne abschließen vor den nächsten Wahlen – das geht mitunter nicht. Manche Projekte – unser Humboldt-Forum –, die werden eben über sieben oder acht Jahre gebaut, und dann muss man auch die Kraft haben als Politiker zu sagen: 'Wenn ich neu gewählt bin, fange ich nicht wieder bei Null an, vorn an, um meinen eigenen Akzent zu setzen und um mich zu verwirklichen, sondern ich tue alles, damit das begonnene Vorhaben so seriös auch weiter und zu Ende geführt wird'.
van Laak: Und so machen wir das auch bei Olympia?
Müller: Ja, so machen wir das auch bei Olympia oder würden wir es auch bei Olympia machen. Das ist ja nicht sicher, ob wir nun den Zuschlag bekommen, aber wenn, ist das genau der Ansatz, nicht einen großen, gigantischen neuen Stadtteil planen und mit den Milliarden da um uns zu werfen, sondern eher sehr kleinteilig zu sagen: 'Zu unseren vorhandenen Sportstätten – das ist ja das Tolle in Berlin, wir haben schon so viel, wir müssen dann kein neues Olympiastadion und so was bauen –, was brauchen wir an Ergänzungen, auch für den Breitensport nach olympischen und paralympischen Spielen? Und die dann zu ertüchtigen in den Quartieren, in den Bezirken, sodass die Berlinerinnen und Berliner auch was davon haben'.
van Laak: Neben Berlin bewirbt sich ja auch Hamburg für die Spiele 2024 oder 2028. Ist das denn überhaupt der richtige Weg, der da gewählt worden ist, dass der Deutsche Olympische Sportbund da zwei Städte ins Rennen schickt und mehr oder weniger gegeneinander hetzt? Sollte man so etwas anders machen? In anderen Ländern wird es anders gelöst.
Müller: Wie soll ich mich jetzt darüber beklagen?
van Laak: Dürfen Sie nicht.
Müller: Es sind nun mal die Regeln, die der DOSB so verabredet hat, und sie treffen für Hamburg und Berlin gleichermaßen zu. Das ist ja kein Wettbewerbsvorteil oder -nachteil für den einen oder anderen – wir müssen damit umgehen. Der DOSB hat eben einfach sich überlegt, doch wieder international aufzutreten mit einer deutschen Bewerbung – darum geht es ja erst mal –, und dann kam die Schlussfolgerung: Wer könnte denn das sein? Wer kann Austragungsort sein? Die beiden Städte wurden angesprochen – Hamburg und Berlin – mit der Frage: 'Traut Ihr euch das zu? Wollt ihr das?'. Und wir haben beide gesagt: 'Ja, wir könnten das, wir wollen das, wir trauen es uns zu'. In der Phase sind wir jetzt und deswegen geben wir gute Konzepte ab – es ist ja noch keine kleinteilige Planung, es ist keine teure internationale Bewerbungsphase, sondern wir geben unsere Konzeptvorschläge ab. Der DOSB wird das bewerten und dann gucken wir, wer im Rennen bleibt.
van Laak: Also so eine gemeinsame Bewerbung könnte es da nicht geben?
Müller: Leider nicht.
van Laak: Dass Hamburg sagt: 'Wir machen alles mit den Wasser' und Berlin macht das andere.
Müller: Leider nicht. Also Olaf Scholz und ich, wir kennen uns so lange und mögen uns so sehr, ich glaube, wir beiden hätten da überhaupt kein Problem mit, auch gemeinsam Spiele auszurichten. Es ist leider nach den IOC-Richtlinien immer noch nicht möglich, dass es zwei Ausrichterstädte gibt. Es sind Kooperationen möglich, es ist möglich, auch bundesländerübergreifend etwas zu verabreden. Man kann den Segelwettbewerb nicht in Berlin machen, den kann man in Rostock machen oder mal einen Wettbewerb auch in Potsdam natürlich. Das geht alles, aber es geht leider im Moment noch nicht die Kooperation mit zwei Ausrichterstädten.
van Laak: Es gab ja jetzt das erste Bürgerforum zum Thema "Olympia“, da waren Sie auch dort. Es war schwer, eine konstruktive Diskussion zu führen bei diesem Bürgerforum, Störer versuchten die Veranstaltung zu sprengen. Wie schätzen Sie denn die Stimmung ein in der Stadt?
Müller: Na ja, bei neuen Projekten sind ja mitunter die Berlinerinnen und Berliner schwer begeisterungsfähig. Erst mal gibt es da eine Zurückhaltung: 'Muss das sein?', 'Brauchen wir das?', 'Können wir das?'. Und in aller Regel springt dann aber der Funke über und es gibt sogar sehr viel Begeisterungsfähigkeit. Und wenn man sich das anguckt, wie inzwischen auch große Sportveranstaltungen angenommen werden – und damit meine ich nicht nur die Fanmeile, sondern auch Berlinmarathon, ISTAF, Leichtathletik-WM –, das sind alles tolle Veranstaltungen, wo viele zehntausend Menschen mitfiebern. Also insofern glaube ich schon, dass auch nach berechtigten und skeptischen Nachfragen: 'Wie soll das laufen?', 'Warum wir?', 'Was hat die Stadt davon?', dass jetzt auch zunehmend diese Sportbegeisterung in den Vordergrund tritt.
van Laak: Kommen wir zu einem anderen Thema: Länderfinanzausgleich. Bund und Länder beraten ja derzeit über eine Neuordnung der Finanzbeziehungen. Bayern und Hessen haben Klage eingereicht gegen den Länderfinanzausgleich. Berlin ist ja der größte Nutznießer, hat im letzten Jahr 3,3 Milliarden Euro erhalten. Nun gibt es einige Länder – Geberländer –, die sympathisieren mit einem ganz anderen Modell: Berlin soll austreten aus dem Länderfinanzausgleich und künftig eben stärker vom Bund gefördert werden, weil es eben die Hauptstadt ist. Michael Müller, was halten Sie denn von diesem Modell?
Müller: Ja, das ist ja dann immer dieses Washington D.C. Modell oder irgendetwas, was sich daran orientiert. Das ist etwas – und da sind wir uns, glaube ich, parteiübergreifend auch einig in der Berliner Politik –, das ist etwas, was wir nicht weiterverfolgen werden. Natürlich erwarten wir, dass der Bund auch seinen Verpflichtungen seiner Hauptstadt gegenüber nachkommt. Wir übernehmen für viele Bundesländer und für die Bundesregierung eben auch Aufgaben hier, repräsentative, kulturelle, in der Wissenschaft, in der Sicherheit, und da erwarten wir schon auch, dass das auch entsprechend gewürdigt wird, auch finanziell gewürdigt wird. Aber wir sind ein Bundesland auch, mit 3,5 Millionen Einwohnern, wir wollen und können eigene Akzente setzen – im Übrigen auch eigene Sparanstrengungen. Das, was wir gemacht haben vor zehn Jahren mit dem Solidarpakt, wo von einem Tag auf den anderen Gehälter um zehn Prozent abgesenkt wurden, wo die Wohnungsbauförderung eingestellt wurde, wo es viele Kürzungen bis hin in die sozialen Bereiche gegeben hat, das haben mitunter andere Bundesländer noch nicht getan. Insofern glaube ich, wir können sehr selbstbewusst als Berlin, als Stadt Berlin sagen, als Land Berlin sagen: 'Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, wir machen sie auch weiter. Wir sind noch längst nicht übern Berg, aber wir haben uns Spielräume erarbeitet, die wir auch eigenverantwortlich einsetzen wollen'.
van Laak: Nun hatten die Länder ja längst schon vor, sich da eine gemeinsame Position zu erarbeiten gegenüber dem Bund – wo hakt es denn da?
Müller: Ja, das ist im Moment eine schwierige Situation, die ich Ihnen auch gar nicht hundertprozentig erklären kann. Jedes Bundesland muss ja eben auch eigenverantwortlich sehen, wie es mit seinem Finanzen umgeht und was man der eigenen Bevölkerung gegenüber auch zumuten kann, zumuten muss. Wir hatten ja schon einen sehr weitgehenden Abstimmungsprozess zwischen den Bundesländern und auch der Bundesebene Ende 2014. Das ist erst mal von ein, zwei größeren Ländern auch gestoppt worden, und ich kenne im Moment auch gar keine neuen Papiere/Konzepte. Wir wollen Mitte 2015 ja zu einem Ergebnis kommen, also wir werden jetzt auch auf der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz oder in anderen Zusammenhängen mit Sicherheit auch darüber noch mal reden: Wann und wie soll es überhaupt weitergehen? Die Wahlen sind dann auch ja in Hamburg, in Bremen gelaufen und insofern hoffe ich, dass wir dann auch wieder einen neuen Aufschlag machen können.
van Laak: Wie kommt es eigentlich, dass die Stimmen der Länderchefs – egal ob SPD oder CDU – in den letzten Jahren auf bundespolitischer Ebene nicht mehr so laut zu hören sind? Wir erinnern uns: Gerhard Schröder gab es, Oskar Lafontaine, die haben sich immer auch wieder zu Wort gemeldet. Mein Eindruck ist, Sie haben auch keine bundespolitischen Ambitionen oder sehe ich das falsch?
Müller: Ich bin jetzt acht Wochen im Amt …
van Laak: Okay.
Müller: Ich bin acht Wochen im Amt, vielleicht könnten wir noch ein paar Tage warten, um das zu entscheiden, ob ich bundespolitische Ambitionen habe. Aber ich glaube, dass auch die Einschätzung so nicht richtig ist. Zum Beispiel bei diesen Finanzfragen spielt Olaf Scholz eine ganz entscheidende Rolle, und die letzten Papiere hat er auch gemeinsam mit Wolfgang Schäuble erarbeitet. Also da gibt es auf unserer Länderseite einen erheblichen Einfluss oder wenn ich an Malu Dreyer denke, die in der Medienpolitik sich da auch sehr engagiert. Das sind nur einige Beispiele, wo auch Ministerpräsidenten den Takt vorgeben in inhaltlichen Diskussionen.
van Laak: Also das ist ein falscher Eindruck?
Müller: Ja, würde ich sagen, dass das ein falscher Eindruck ist. Wir haben auch eine Mehrheit bei den Ministerpräsidenten, also SPD-geführte Länder, und das ist auch im Bundesrat zu spüren, dass es da natürlich, wo es auch knallhart um Interessen geht, die SPD auch gemeinsame Positionen formuliert und mit führenden Köpfen das dann auch entsprechend durchsetzt.
van Laak: Meine letzte Frage, Herr Müller: Wie heißt der Regierende Bürgermeister, der vielleicht im Herbst 2017 den Hauptstadtflughafen BER eröffnet?
Müller: Na, ich hoffe natürlich, dass er Michael Müller heißt, ist doch klar. Ich habe das ja deutlich gemacht in den letzten Wochen, auch schon im Rahmen dieses parteiinternen Mitgliederentscheids, dass ich hier nicht antrete für drei Monate oder für ein Jahr, sondern dass mir viele Themen der Stadtpolitik sehr wichtig sind, die ich auch gerne über einen längeren Zeitraum begleite. Und ich bin jetzt, ich glaube, 32 Jahre Mitglied der SPD, mit vielen führenden Funktionen auch, und insofern glaube ich, dass da viele Themen sind, denen ich auch noch mal die eine oder andere gute Richtung geben kann, und das möchte ich auch gerne über die nächsten Wahlen hinaus machen.
van Laak: Vielen Dank.
Müller: Danke.