Georg Ehring: Die Fluggesellschaft geht vermutlich zum großen Teil an die Lufthansa. Den meisten Beschäftigten werden gute Jobchancen bescheinigt. Doch die Inhaber von rund 100.000 Langstreckentickets bei Air Berlin gehen vermutlich fast leer aus. Fluggäste, die vor dem 15. August Tickets für die Langstrecke gekauft haben, können die nicht nutzen und bekommen auch ihr Geld wohl höchstens zum kleinen Teil zurück. Der Ärger der betroffenen Air-Berlin-Kunden ist groß und für Verbraucherschützer zeigt sich, dass Flugpassagiere nur unzureichend abgesichert sind. – Verbunden bin ich jetzt mit Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbandes. Guten Tag, Herr Müller.
Klaus Müller: Seien Sie gegrüßt!
Ehring: Herr Müller, wieso werden Langstreckenkunden mit älteren Tickets anders behandelt als andere?
"Politik und Flugbranche haben ihre Hausaufgaben nicht gemacht"
Müller: Weil hier die Politik und auch die Flugbranche seit Jahren ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Weil wir nicht wie bei Pauschalreisen zum Beispiel eine Insolvenzversicherung haben. Sprich: Der Kunde, der früh die Tickets schon bezahlt hat, bevor er eine Leistung bekommen hat, ist zurzeit der Depp. Er steht da ohne eine Leistung und verliert sein Geld, seine Urlaubsfreude. Das ist einfach nicht in Ordnung. Das ist Politik- und Marktversagen.
Ehring: Aber ist das nicht ein Einzelfall? Muss man für einen Einzelfall dann ein Gesetz machen?
Müller: Ich finde, 100.000 Einzelfälle sind schon eine ganze Menge. Bei Air Berlin haben wir jetzt gesehen, dass es eine dramatische Auswirkung haben kann. Wenn wir jetzt gerade in den Tagen unseren Blick nach Großbritannien schweifen lassen, sehen wir dort Monarch Airlines, die fünftgrößte Airline der Insel. Auch da sind nach aktuellen Berichten mehrere hunderttausend Flugpassagiere davon betroffen. Es kommt zum Glück nicht tagtäglich vor, aber wenn es vorkommt, geht es um viel Geld, großes Ärgernis, und die Lösung wäre so leicht.
Ehring: Wie soll das denn genau aussehen? Wie stellen Sie sich diese Insolvenzversicherung vor?
Müller: Das ist ganz leicht, weil wir vor einigen Jahren die Diskussion über sogenannte Pauschalreiseanbieter hatten, wo ich alles zusammen buche. Dort hat es mehrere Fälle gegeben, wo die Menschen dann tatsächlich auch nach einer Pleite am Urlaubsort festsaßen, und die Politik hat gesagt: Wir verpflichten alle Anbieter zu einer verpflichtenden Versicherung. Das heißt, jeder zahlt einen kleinen Beitrag, damit im Zweifelsfall alle wirklich geschützt sind. Das kann man entweder national mit einer Selbstverpflichtung der Fluggesellschaften machen, oder noch besser durch eine gesetzliche Regelung. Idealerweise wird das Thema natürlich auch europäisch angegangen, weil es nicht nur ein deutsches, sondern mindestens ein deutsches und britisches Problem ist.
"Verpflichten sich alle Fluglinien zu einer solchen Versicherung, dann ist auch der Kostenaufwand gering"
Ehring: Das heißt, eine nationale Lösung wäre auch möglich? Man muss da nicht einfach auf die EU verweisen?
Müller: Nein, man muss nicht so lange warten, bis sich alle darauf geeinigt haben. Es wäre überhaupt kein Problem, dass die neue Bundesregierung sagt: Wir laden alle Fluggesellschaften ein, und weil wir aus diesem Problem gelernt haben, weil es ja nicht nur schlecht für Air Berlin Kunden ist, sondern für die gesamte Reisebranche, verpflichten sich alle Fluglinien, eine solche Versicherung zur Verfügung zu stellen. Dann ist auch der Kostenaufwand gering. Und auch nach den Pauschalreisenden hat ja niemand wirklich Klage erhoben, sondern alle sind froh: ich bleibe nicht auf den Kosten sitzen, ich bin nicht der Dumme, wenn tatsächlich so eine Insolvenz passiert.
Ehring: Was schätzen Sie denn, um wieviel das die Tickets verteuern würde? Die Fluggesellschaften fliegen ja sehr stark über den Preis und werben die Kunden über den Preis.
"Ein Beitrag im geringen einstelligen Eurobereich"
Müller: Das ist richtig. Genau kann das natürlich seriös keiner abschätzen. Aber wenn wir mal sehen, was das bei den Pauschalreisen gebracht hat, wo es ja wirklich nicht nur um die Flugreise, sondern auch um Hotel und Ähnliches gegangen ist, dann sehen wir, dass es ein Beitrag im geringen einstelligen Eurobereich gewesen ist. Das ist überschaubar, wenn wirklich alle mitmachen müssen, weil glücklicherweise kommen Insolvenzen nicht regelmäßig und nicht häufig vor, und insofern ist es wirklich eine Absicherung für den Notfall.
Ehring: Was raten Sie denn Betroffenen, die jetzt eines von diesen 100.000 Langstreckentickets haben? Was können die noch machen?
Müller: Das ist jetzt richtig bitter, weil in dem Moment, wo man die Tickets zu einem frühen Zeitpunkt gekauft hat, gehen sie in die sogenannte Insolvenzmasse ein. Das heißt, wie alle anderen Werte des Unternehmens werden erst mal die Gläubiger bedient, und da sind die Flugreisenden diejenigen, die sich ganz, ganz weit hinten anstellen müssen. Das heißt, nach allem, was wir heute wissen, werden sie schlicht leer ausgehen. Das heißt, im Zweifelsfall kann ich abwarten, bis mich die Airline wirklich informiert, wie es jetzt genau aussieht. Aber es sieht so aus, dass ich jetzt tatsächlich der Dumme bin.
Ehring: Noch ganz kurz: Solange Ihre Vorschläge nicht durchgesetzt sind, muss ich mir meine Fluggesellschaft nach der Bonität aussuchen?
Müller: Das ist für den einzelnen Verbraucher leider kaum möglich, weil woher soll ich das wissen. Ich kann vielleicht Zeitung lesen, ich kann Rundfunk hören. Aber bin ich wirklich darüber objektiv informiert? – Nein, es ist für mich sehr, sehr schwer. Es ist natürlich ein Problem. Idealerweise buche ich kurzfristig, damit ich auch erst kurz vorher das Geld überweisen muss. Das ist aber bei Urlaubsflügen unrealistisch und darum ist das ein klassischer Fall, wo der einzelne Verbraucher wenig tun kann und wo die Politik, wo die Anbieter gefragt sind, eine Insolvenzversicherung abzuschließen, damit ich im Zweifelsfall meinen Urlaub genießen kann und nicht der Dumme bin.
Ehring: Klaus Müller war das, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbandes. Herzlichen Dank.
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