Martin Winkelheide: Herr Pyritz, wenn wir zunächst einmal zurückschauen: Welche Maßnahmen gibt es grundsätzlich, um die körperliche und psychische Gesundheit von Piloten zu überprüfen, auch bereits vor dem Absturz der Germanwings-Maschine?
Lennart Pyritz: Eine kurze Vorbemerkung: Der Autor des Beitrags, Jörg Siedenburg, ist Fliegerarzt im Medizinischen Dienst einer großen Deutschen Fluggesellschaft. Im Beitrag wird klar gestellt, dass er darin seine persönliche Meinung als flugmedizinischer Experte äußert.
Zur Gesundheit der Piloten gilt grundsätzlich und weltweit: Piloten dürfen nur mit gültigem Tauglichkeits-Zeugnis fliegen. Da gibt es etwa Vorschriften zur Sehkraft, zum Herz-Kreislauf-System und auch zu psychiatrischen Diagnosen. Schon während ihres Einstellungstests werden die meisten kommerziellen Piloten auch von Psychologen untersucht, die allerdings vorrangig standardisierte Tests zu Persönlichkeit und Intelligenz durchführen, nicht zu psychischen Störungen.
Dann gibt es turnusmäßige Untersuchungen zur Tauglichkeit durch Fliegerärzte – zum Beispiel alle 12 Monate. Und Piloten sind dazu verpflichtet, den Rat ihrer Fliegerärzte einzuholen, wenn sie eine Operation haben, Medikamente einnehmen oder Gesundheitsstörungen auftreten – dazu zählen auch psychische Erkrankungen.
Winkelheide: Wo gibt es da Lücken, die jetzt insbesondere nach dem Absturz der Germanwings-Maschine diskutiert werden?
"Immer nur eine Momentaufnahme des Gesundheitszustandes"
Pyritz: Die routinemäßigen Flugtauglichkeits-Untersuchungen zeigen immer nur eine Momentaufnahme des Gesundheitszustandes. Natürlich können zwischen diesen turnusmäßigen Tests gesundheitliche und psychische Probleme auftreten. Die sollen Piloten wie gesagt beim Fliegerarzt melden. Eine Garantie dafür gibt es aber nicht.
Im März 2015 hat die französischen Flugunfall-Untersuchungsbehörde, kurz BEA, ihren Abschlussbericht zum Absturz der Germanwings-Maschine vorgelegt. Demnach hatte der Co-Pilot nach der letzten Verlängerung seines Tauglichkeits-Zeugnisses mehrere Ärzte und Psychiater aufgesucht, die ihm Medikamente verschrieben und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt haben.
Er hat aber keinen Fliegerarzt kontaktiert. Und die Diagnosen der anderen Ärzte wurden auch nicht weiter geleitet an den Arbeitgeber oder die Behörden, sodass von dieser Seite keine Maßnahmen ergriffen werden konnten.
Winkelheide: Welche Änderungen in der Kontrolle der psychischen Gesundheit wurden nach dem Germanwings-Absturz empfohlen? Und von welcher Seite?
Pyritz: Ein großer Aspekt ist eben der Austausch von Gesundheitsdaten der Piloten. In vielen Ländern wurden turnusmäßige Untersuchungsberichte zur Tauglichkeit bereits vor dem Unglück vollständig an die Genehmigungs-Behörden übermittelt. Deutschland hat das mit Hinweis auf den hohen Stellenwert der ärztlichen Schweigepflicht zunächst abgelehnt. Hier wurde nur das Tauglichkeits-Zeugnis und nicht der komplette Untersuchungsbericht übermittelt. Vor ein paar Wochen wurde in Deutschland nun festgelegt, dass die vollständigen Unterlagen in nicht-pseudonymisierter Form ans Luftfahrt-Bundesamt weiter gegeben werden.
Die "Europäische Agentur für Flugsicherheit", kurz EASA, empfiehlt außerdem ein zentrales, europäisches Datenregister für flugmedizinische Daten.
Der Untersuchungsbericht der BEA wirft auch auf, dass von Land zu Land unterschiedlich abgewägt wird zwischen ärztlicher Schweigepflicht und der Gefahr für die öffentliche Sicherheit. In Deutschland gebe es da keine klaren Richtlinien für Ärzte, die von Piloten aufgesucht werden.
Winkelheide: Welche Maßnahmen werden darüber hinaus noch diskutiert?
"Bewusstsein für psychische Störungen verstärken"
Pyritz: Die "Aerospace Medical Association", eine große internationale Organisation für Sicherheit und Gesundheit im Luftverkehr, hat dafür plädiert, dass das Bewusstsein für psychische Störungen verstärkt wird, auch bei Fluggesellschaften und Ärzten. Außerdem fordert sie "sichere Zonen", in denen Piloten psychische Probleme melden können, ohne Strafen oder Stigmatisierung zu erfahren.
Darüber hinaus hat die EASA zufällige Stichproben auf Alkohol, Drogen und Medikamente bei Piloten empfohlen. Ein entsprechendes Gesetz wurde im Frühjahr im Deutschen Bundestag beschlossen.
Die BEA empfiehlt außerdem, einen möglichen Verlust der Fluglizenz durch Versicherungen abzupuffern, damit sich kranke Piloten einem Arzt offenbaren.
Winkelheide: Wie werden die Maßnahmen im aktuellen Bericht eingeordnet?
Pyritz: Da wird zunächst auf Einschätzungen der BEA und der "Aerospace Medical Association" verwiesen. Demnach seien regelmäßige, umfangreiche Screenings auf seltene psychische Krankheiten bei Piloten wenig geeignet, einzelne Fälle tatsächlich aufzudecken. Stichprobenartige Alkohol- und Drogentests sollen offenbar auch nur bedingt geeignet sein, um die Flugsicherheit zu erhöhen, schreibt Jörg Siedenburg mit Verweis auf eine US-amerikanische Studie aus dem Jahr 1997. Aber einfache Fragemethoden könnten in die Tauglichkeitsuntersuchungen integriert werden, um häufige und leicht zu diagnostizierende psychische Störungen zu erkennen.
Einheitlich gefordert werden spezielle Anlaufstellen für Piloten mit psychischen Problemen. Diese Anlaufstellen könnten sich an bestehenden Alkohol-Peer-Programmen der Airlines orientieren. Da werden sowohl die Piloten als auch deren Umfeld unterstützt. Dabei kommt es laut Siedenburg besonders auf Offenheit und Vertrauen an. Angst vor Lizenzverlust, finanziellen oder sozialen Folgen könnte Piloten von vornherein abschrecken, psychische Probleme zu offenbaren.
Dasselbe Problem bestehe auch bei der ärztlichen Schweigepflicht. Eine zu starke Lockerung könne dazu führen, dass Betroffene ihre Krankheit verbergen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.