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Flugzeugabsturz in der Ukraine
Russland muss "Destabilisierung seiner Nachbarschaft" einstellen

Der mutmaßliche Abschuss des Passagierflugzeugs in der Ukraine sei ein "furchtbares, tragisches Ereignis" innerhalb eines "grundsätzlichen strategischen Konflikts", sagte der CDU-Außenpolitiker Andreas Schockenhoff im Deutschlandfunk. Unabhängig von der Frage nach der Verantwortung dafür müsse Russland dringend die Destabilisierung der Region einstellen.

Andreas Schockenhoff im Gespräch mit Thielko Grieß |
    Andreas Schockenhoff, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
    Andreas Schockenhoff (picture alliance/ZB/Karlheinz Schindler)
    Es gehe jetzt darum, "grundsätzlich diese Art von Konfrontation im 21. Jahrhundert zu überwinden", sagte der CDU-Außenpolitiker Andreas Schockenhoff im Deutschlandfunk. Die Staaten der Europäischen Union wüssten, "dass wir unsere Interessen - Frieden und Stabilität, aber auch ökonomische und politische Interessen - nur durch eine immer engere Zusammenarbeit durchsetzen können". Der russische Präsident Wladimir Putin jedoch verfolge "einen alten Nullsummenkurs", so Schockenhoff, der Mitglied im Auswärtigen Ausschuss im Bundestag ist.
    100 Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges und 70 Jahre nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs sage Putin, "die Ukraine gehört entweder zum Westen oder zu Russland". Und wenn diese sich nicht "ganz dem hegemonialen Diktats" Moskaus unterwerfe, werde Russland die Ukraine destabilisieren, um die Eingliederung in westliche Strukturen zu verhindern. "Wie gefährlich dieses Nullsummendenken ist, zeigt sich an dieser Krise."
    Schockenhoff betonte, dies sei keine diplomatische Stellungnahme, sondern der Versuch, das "furchtbare, tragische Ereignis" des Flugzeugabsturzes "in einen größeren Zusammenhang einzuordnen". Es genüge nicht, nur die Verantwortlichen des Abschusses zur Rechenschaft zu ziehen. "Sondern Frieden und Stabilität bekommen wir erst, wenn Russland bereit ist, die Destabilisierung seiner Nachbarschaft einzustellen."

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: Möglich ist es ja, dass die Bordbildschirme angezeigt haben, über welchem Gebiet das Flugzeug gerade unterwegs war, dass sie die Karte der Ukraine gezeigt haben. Und wenig später ist der Konflikt von der Ukraine vom Boden des Landes zu dieser Maschine und ihren Passagieren hinaufgestiegen, auf zehn Kilometer Höhe, mit tödlichen Konsequenzen. 298 Menschen starben beim Absturz der Maschine der Malaysia Airlines vorgestern Nachmittag. Die Frage ist noch immer: Wer hat die Maschine abgeschossen, ist sie überhaupt abgeschossen worden, das alles ist nach wie vor nicht geklärt.
    Am späten Abend hat die deutsche Kanzlerin Angela Merkel mit Barack Obama telefoniert, es ging um diesen Absturz, beide haben danach gefordert, das, was wir schon wissen, nämlich eine neutrale, objektive Untersuchung der Absturzstelle und der Absturzursache. Das alles zeigt: Die deutsche Politik ist bei der Lösungssuche nach wie vor mittendrin und daran beteiligt. Am Telefon begrüße ich einen Außenpolitiker im Deutschen Bundestag, Andreas Schockenhoff, CDU. Guten Morgen!
    Andreas Schockenhoff: Guten Morgen, Herr Grieß!
    Grieß: Herr Schockenhoff, wir haben beide Argumentationsketten gehört, sowohl aus Russland als auch aus den Vereinigten Staaten. Welcher schließen Sie sich an?
    Schockenhoff: Ich glaube, wir müssen sehen, dass es sich um einen grundsätzlichen strategischen Konflikt handelt, ohne jetzt einer genauen Untersuchung vorzugreifen. Auch wenn natürlich alle Indizien darauf verweisen, dass aus ostukrainischem Gebiet mit russischen Waffensystemen das malaysische Flugzeug abgeschossen wurde, geht es jetzt darum, grundsätzlich diese Art von Konfrontation im 21. Jahrhundert zu überwinden. In der Europäischen Union wissen wir, dass wir unsere Interessen - Frieden und Stabilität, aber auch ökonomische und politische Interessen - nur durch eine immer engere Zusammenarbeit durchsetzen können. Aber Putin verfolgt einen alten Nullsummenkurs, 100 Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, 70 Jahre nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs sagt er, die Ukraine gehört entweder zum Westen oder zu Russland. Und wenn sie sich nicht wie auch Moldau oder Georgien ganz dem hegemonialen Diktat Russlands unterwirft wie beispielsweise Weißrussland, dann wird Russland die Ukraine destabilisieren, um die Eingliederung in westliche Strukturen zu verhindern. Wie gefährlich dieses Nullsummendenken ist, zeigt sich an dieser Krise.
    Instabilität lässt sich nicht auf ein Land begrenzen
    Grieß: Das war, Herr Schockenhoff, eine diplomatische Stellungnahme, so ähnlich fällt sie aus seit Beginn der Ukraine-Krise. Geholfen hat es aber bislang wenig.
    Schockenhoff: Nein, es ist keine diplomatische Stellungnahme, sondern ich habe versucht, dieses furchtbare, tragische Ereignis in einen größeren Zusammenhang einzuordnen. Und es genügt eben nicht, nur die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, wenn die Abschussursachen genau aufgeklärt sind, sondern Frieden und Stabilität bekommen wir erst, wenn Russland bereit ist, die Destabilisierung seiner Nachbarschaft einzustellen. Ein solches Ereignis kann sonst immer wieder passieren. Destabilität, Instabilität können im 21. Jahrhundert nicht mehr auf ein einzelnes Land oder eine Region begrenzt bleiben, sondern sind eine globale Gefährdung des Friedens. Deswegen hat Obama völlig recht, wie das vorher eingeblendet wurde, dass er sagt, Russland muss eine strategische Entscheidung treffen. Es kann nicht sein, dass Russland sagt, wenn die Ukraine nicht bereit ist zu uns zu gehören, dann werden wir dafür sorgen, dass sie ein gescheiterter Staat wird. Es geht darum, dass ständig schwere Waffen, Kämpfer ins Land gebracht werden, dass die prorussischen Separatisten ausgebildet werden, dass russische Geheimdienstleute, Spezialkräfte an ihrer Seite in der Ostukraine kämpfen. Und deswegen ist diese Situation brandgefährlich, ein solcher Zwischenfall kann jederzeit wieder passieren, wenn Putin nicht endlich sieht, dass nur gemeinsam die Verantwortung für Stabilität wahrgenommen werden kann.
    Grieß: Anfang der Woche, Herr Schockenhoff, hat die Europäische Union Sanktionen verschärft, noch einmal verschärft. Jetzt hat sich Ihr Parteifreund Norbert Röttgen, außenpolitischer Sprecher der Unionsbundestagsfraktion, zu Wort gemeldet in der "Welt am Sonntag", die morgen erscheint. Er sagt - Zitat -, er fürchte, dass weitergehende wirtschaftliche Sanktionen sich nicht mehr verhindern ließen. Sehen Sie das ähnlich?
    Schockenhoff: Ich sehe das genauso. Wir sind bisher auch vielleicht nicht im gleichen Tempo, aber in der Zielrichtung zusammen gewesen mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Aber die EU besteht aus 28 Staaten, die ganz unterschiedliche Interessen, auch unterschiedlich intensive Wirtschaftsbeziehungen mit Russland haben. Deshalb ist es unendlich schwer, die Europäische Union zusammenzuhalten. Das Schlimmste aber wäre, in dieser Situation uneinig aufzutreten. Also brauchen wir in Europa leider immer etwas Zeit, bis wir alle 28 an Bord haben. Aber Putin reagiert auf Druck und Putin wird sehr genau verfolgen, ob es die Europäische Union ernst meint. Die ...
    Russland ist ohnehin in einer wirtschaftlich prekären Situation
    Grieß: Die Bundesregierung wird also versuchen - entschuldigen Sie, Herr Schockenhoff, ich muss noch ein paar Fragen stellen! -, die übrigen 27 EU-Mitglieder hinter sich zu scharen, um eine Verschärfung der Sanktionen zu erreichen?
    Schockenhoff: Ja, im russischen Staatsfernsehen wird 24 Stunden am Tag gesagt, der Westen ist dekadent und uneinig. Deswegen müssen wir klarmachen, was wir wollen, und wir müssen vor allem dann klarmachen, dass wir auch tun, was wir sagen. Deshalb muss man diese Zeit aufwenden, um die Europäische Union einheitlich zusammenzubringen.
    Grieß: Und was kommt infrage? Bislang waren es Kontensperrungen, zuletzt hieß es, die europäische Investitionsbank werde keine Projekte mehr fördern in Russland, jetzt muss es irgendwie schärfer aussehen. Aber wie?
    Schockenhoff: Ganz entscheidend sind auch Restriktionen für den Zahlungsverkehr, das geht in die richtige Richtung. Schon heute handelt Putin vor allem gegen die Interessen des russischen Volks, weil Russland ohnehin in einer prekären wirtschaftlichen Situation ist, schon heute durch einen dramatischen Kapitalabfluss durch ausbleibende Investitionen am Rande einer Rezession steht. Deswegen ist es Putins eigenes Interesse, die Zusammenarbeit mit Europa nicht aufs Spiel zu setzen, deswegen sind Sanktionen im Zahlungsverkehr, aber auch gegen Schlüsselindustrien etwa in der Energieförderung das, was ihn bewegen könnte.
    Waffenruhe für den Nachschub genutzt
    Grieß: Und nun gehört ja zu den Ermittlungen der Absturzursache auch, dass man zunächst einmal in alle Richtungen ermittelt. Es ist überhaupt nicht ausgeschlossen, dass auch die ukrainische Armee möglicherweise den falschen Knopf gedrückt haben könnte!
    Schockenhoff: Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass man in alle Richtungen schaut und keine Vorverurteilungen macht, sonst wäre das Ergebnis nicht glaubwürdig. Dass aber der Abschuss aus einem Gebiet erfolgte, das von Separatisten kontrolliert wurde, das kann man mit hoher Sicherheit sagen. Vor allem wissen wir, dass die letzte Waffenruhe genutzt wurde, um aus Russland schweres Material, Panzerartillerie, Boden-Luft-Raketen in die Ukraine zu bringen, dass die Separatisten von russischen Spezialisten trainiert werden, dass sie auch in der Ukraine an ihrer Seite kämpfen. Also, das ist ...
    Grieß: Woher wissen Sie das?
    Schockenhoff: Das wissen wir einerseits durch Geheimdienste, es gibt Telefongespräche, die abgehört wurden, es gibt Bilder, die Bewegungen zeigen, wir wissen es aber auch von Russland selbst. Denn die russische Regierung bestreitet es auf der einen Seite, auf der anderen Seite zeichnet sie aber Geheimdienstleute und Spezialkräfte für ihren Einsatz in der Ukraine aus. Es ist genau dieses Doppelspiel, das wir ja sehen sollen, damit Russland uns zeigt, wie es mit der Ukraine, mit dem Westen spielen kann, das so zynisch ist und das zu dieser Strategie der Destabilisierung gehört.
    Der Geduldsfaden wird allmählich dünner
    Grieß: Nun ist es aber ja nicht unbedingt so - jedenfalls bezweifeln das viele Beobachter -, dass in Moskau etwas angeordnet wird und im Osten der Ukraine wird es von den Separatisten ausgeführt. Hat Putin möglicherweise die Kontrolle verloren über die Separatisten und ist demnach die russische Führung nicht so schuldig an diesem Unglück, wie Sie es zumindest jetzt nahelegen?
    Schockenhoff: Ich möchte jetzt nicht spekulieren, das wäre falsch. Auf jeden Fall gelangen die schweren Waffen, die hoch komplex sind und die nur von ausgebildeten Leuten bedient werden können, mit Wissen Russlands und unter Billigung Russlands in die Ostukraine, werden die Kämpfer, die dort tätig sind, in Russland, in Rostow am Don und in anderen Lagern ausgebildet. Das sind ja Dinge, die Russland auch nicht bestreitet. Und diese Form der Einmischung in den innerukrainischen Konflikt macht Russland auf jeden Fall zur Konfliktpartei, destabilisiert das Nachbarland. Das ist die erklärte Ansage Putins, ihr kommt entweder in die Eurasische Zollunion, ihr kommt zu uns und wendet euch von der Europäischen Union ab, oder ihr werdet ein gescheiterter Staat! Diese Alternative ist 19. Jahrhundert und diese Alternative wird langfristig vor allem Russland selbst isolieren und dem russischen Volk schaden.
    Grieß: Sagt Andreas Schockenhoff, Außenpolitiker von der CDU, Mitglied des Deutschen Bundestages. Wir haben gehört, der Geduldsfaden mit Moskau, mit der Politik Wladimir Putins wird langsam dünner. Herr Schockenhoff, danke schön für das Gespräch heute Morgen!
    Schockenhoff: Bitte, Herr Grieß, auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.