Die neue polnische Regierung war noch kaum im Amt, da machte sie die ersten Drohgebärden gegen die vorherigen Amtsinhaber. Regierungssprecherin Elzbieta Witek erklärte:
"Wenn Sie meine private Meinung hören wollen: Schauen Sie sich die Untersuchungen zum Smolensk-Unglück an, für die der damalige Ministerpräsident Donald Tusk verantwortlich war. Wir wissen heute noch nichts über die Ursachen. Wenn wir den Zustand des polnischen Staates hinnehmen, wie unsere Vorgänger ihn hinterlassen haben, dann würde ich sagen: Das Staatstribunal wäre hier das Richtige."
Donald Tusk sollte also angeklagt werden, fragte der Journalist? "Ja", antwortete Elzbieta Witek. Ähnlich äußerten sich andere Politiker der rechtskonservativen Regierungspartei PiS.
Tusk im Visier der rechtskonservativen Regierung
Die Liste der Vorwürfe gegen den heutigen EU-Ratspräsidenten Tusk ist lang - gerade im Zusammenhang mit dem Flugzeugabsturz im russischen Smolensk. Die damalige Regierung habe den Flug schlampig organisiert, so PiS-Politiker. Sie habe dann die Untersuchung des Unglücks völlig unnötig Russland überlassen, statt auf einer internationalen Untersuchung zu bestehen. Und sie habe schließlich die These der russischen Ermittler übernommen, wonach vor allem die Piloten Schuld an dem Unglück hätten.
Der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski folgerte daraus über die Opfer des Flugzeugunglücks:
"Sie wurden verraten, das wissen wir sicher. Unabhängig davon, welche Unglücksursachen letztendlich festgestellt werden. Um es mit dem Dichterwort zu sagen: Der Morgen graute, und sie wurden verraten."
Für Jaroslaw Kaczynski hat diese Diagnose besondere Bedeutung. Bei jenem Unglück vor knapp sechs Jahren kam sein Zwillingsbruder um, der damalige Präsident Lech Kaczynski.
Heute ist Jaroslaw Kaczynski der mächtigste Mann in Polen. Für Beobachter war es also nur eine Frage der Zeit, bis das Smolensk-Unglück wieder zum Thema wird.
Neue Kommission zur Untersuchung des Absturzes
In der vergangenen Woche hat Verteidigungsminister Antoni Macierewicz eine Kommission einberufen, die neue Untersuchungen anstellen soll. Schon früher hatten Macierewicz und Kaczynski erklärt, dass sie bei dem Flugzeugabsturz von einem Attentat Russlands ausgehen.
Auch strafrechtliche Ermittlungen gibt es bereits. Nicht - oder noch nicht - gegen den Ex-Ministerpräsidenten Tusk, dafür aber gegen seinen damals engsten Vertrauten Tomasz Arabski und weitere Mitarbeiter von Tusks damaliger Kanzlei. Ein Warschauer Gericht hat gerade eine Privatklage zugelassen, nachdem die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen eingestellt hatte.
Die Klage stammt von Angehörigen der Opfer. Sie werden von Anwalt Stefan Hambura vertreten, der seit Jahren mit PiS-nahen Kreisen in Polen verbunden ist:
"Mit dem Tag, an dem das Gericht die Anklage zuließ, hat die echte Suche nach den Ursachen der Smolensk-Katastrophe begonnen. Jetzt muss alles aufgeklärt werden, auch wenn es schmerzt."
Der angeklagte Tomasz Arabski weist die Vorwürfe zurück. Er habe ein reines Gewissen, erklärte er in einem Interview. Der PiS warf er vor, die Katastrophe für politische Zwecke zu missbrauchen. So sieht es auch Marcin Kierwinski von Tusks rechtsliberaler Partei Bürgerplattform:
"Diese Katastrophe sollte die Polen eigentlich einen. Alle Parteien haben dem Absturz Mitglieder verloren. Verteidigungsminister Macierewicz versucht wieder einmal, die Attentatsthese zu beweisen, die er nicht beweisen kann. Nur diesmal macht er das als offizieller Vertreter des Staats. Und das wird Polen kompromittieren."
Dem stimmen auch einige der Angehörigen der in Smolensk Verstorbenen zu. Sie wünsche sich, dass die Toten ruhen können, sagt Izabella Sariusz-Skapska, die bei dem Unglück ihren Vater verloren hat:
"Die Menschen gehen verschieden mit dem Schmerz um. Aber ich kann nicht verstehen, warum manche Angehörigen unbedingt einen Nationalhelden in der Familie haben wollen. Die Gestorbenen waren Opfer einer Flugzeugkatastrophe, keine Helden."
Das sieht Jaroslaw Kaczynski anders, der immer wieder von den "in Smolensk Gefallenen" spricht. Fest steht: Die Arbeit der neuen Expertengruppe und das erste Gerichtsverfahren in der Sache werden Polen in Atem halten.