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Flussdelfin in Gefahr

Zoologie.- Noch hat der rosarote Flussdelfin im Amazonasgebiet eine tragfähige Population. Das ist bei den Delfinen des Ganges, des Indus und des Jangtse-Flusses nicht mehr der Fall. Doch nun gerät auch das südamerikanische Flusssäugetier in Gefahr.

Von Gudrun Fischer |
    Mitten im brasilianischen Amazonasgebiet: Touristen stehen auf einem Steg bei einem Restaurant in Novo Airão am Rio Negro. Sie füttern fünf Flussdelfine mit Fisch, den sie bei der Restaurantbesitzerin gekauft haben. Die über zwei Meter großen, grau-rosa gesprenkelten Delphine recken sich bis zur Rückenflosse aus dem Wasser und sperren ihre langen Schnäbel auf. Auch Priscilla da Costa Santos, Chefin des Nationalparks am Rio Negro, steht auf dem Steg.

    "Bisher gab es keine Regeln. Sie fütterten den Flussdelfin mit gefrorenem Fisch. Das ist jetzt verboten! Es gab hier auch keine Schutzvorrichtung."

    Nun ließ die Behörde Absperrbänder aufs Wasser legen, Boote müssen während der Fütterung auf Abstand bleiben, damit die Tiere nicht verletzt werden. Vor Millionen Jahren wanderte der rosa Flussdelfin über den Pazifik in das Amazonasgebiet ein. Weil die Anden sich erhoben und der Amazonas nicht mehr zum Pazifik, sondern in die entgegengesetzte Richtung zum Atlantik floss, war dem Delphin der Rückweg verschlossen. Über Jahrtausende entwickelte er daher im halbjährlich überschwemmten Urwald eine flexible Halswirbelsäule und bewegliche Schultern. Damit jagt er wendig zwischen den Ästen und Baumstämmen nach Fisch. Erforscht wird der Flussdelfin seit 20 Jahren von der Biologin Vera Ferreira da Silva am Amazonasinstitut INPA in Manaus.

    "Sein wissenschaftlicher Name ist Inia geoffrensis. Er hält sich nicht wie die Meeresdelfine in großen Gruppen auf und er kommuniziert auch nicht so viel. Seine Töne klingen wie Pfeifen und Klicks. Er macht "ih", ih", oder "trrrrr". Diese Geräusche kommen aus dem Blasloch, seiner Nase. Unter Wasser klingt es, als würde er stark husten. Außerdem sendet er Ultraschall aus, ein Echolot. In diesem Punkt gleicht er den Meeresdelfinen und auch den Fledermäusen."

    Als Vera Ferreira da Silva mit ihrer Forschungsarbeit über die Biologie und das Sozialverhalten der rosa Flussdelfine begann, war kaum etwas über sie bekannt.

    "Zu Beginn unserer Forschungsarbeit befestigten wir auf 56 Tieren Kurzwellen-Sender. Die Sender funkten Bewegungsdaten an unsere Forschungsstation. Damit haben wir beobachtet, wo sich welche Flussdelfine aufhielten und ob die Tiere feste Gruppen bildeten."

    Es kam heraus, dass die Amazonasflussdelfine alleine leben und sich in den Seen und Flüssen des Amazonasgebiets in einem eng umrissenen Heimatgebiet bewegen. Die Weibchen werden mit sieben Jahren geschlechtsreif. Doch eine Geburt, die unter Wasser stattfindet, konnte noch nie beobachtet werden. Gleich nach der Geburt schubsen andere Weibchen das Kleine an die Wasseroberfläche, damit es dort atmet. Sannie Muniz Brum, eine junge Biologin, die bei Vera Ferreira da Silva gerade ihre Masterarbeit über die Flussdelfine beendet, lebte fast zwei Jahre im Naturschutzgebiet Mamirauá, 800 Kilometer flussaufwärts von Manaus. Dort sind inzwischen 500 rosa Flussdelfine markiert. Sannie Muniz Brum:

    "Flussdelfine spielen oft miteinander. Das ist ein bekanntes Verhalten für Tiere aus der Ordnung der Wale. Doch dann erkannten wir, dass nur die Männchen spielen, und dass es sich um Balzverhalten handelt. Wenn das rosa Flussdelfinweibchen fruchtbar ist, lässt es nur ein einziges Männchen an sich heran. Daher besteht große Konkurrenz zwischen den Männchen. Bei ihren Balzspielen schmeißen sie manchmal mit Wasserpflanzen um sich. Ich habe sie auch Holzstücke werfen sehen, die im Wasser trieben. Sie spucken sogar Kugeln, die sie aus Schlamm formen, in die Luft. Die besten männlichen Spieler bekommen den meisten Nachwuchs. Das konnten wir mit Gen-Tests nachweisen."

    Einmal im Jahr fängt Sanni Muniz Brum die markierten Tiere mit Netzen, vermisst sie, untersucht sie mit Ultraschall und gibt sie ins Wasser zurück. Die entnommenen Milch- und Blutproben prüft sie auf Krankheiten und Hormonstatus. In den letzten Jahren fehlten mehr und mehr markierte Tiere.

    "Schon seit dem Jahr 2000 erreichen uns Berichte von Totfunden. Und nun haben wir erfahren, dass mit dem Flussdelfin als Köder Piracatinga gefischt wird, ein teurer Fisch, der nach Kolumbien verkauft wird. Wir vermuten, dass allein in unserem kleinen Forschungsgebiet pro Jahr 600 Tiere getötet werden, das ist nur ein Bruchteil des gesamten Amazonasgebiets. Früher hatte der rosa Flussdelfin eine gesunde Population, er wurde bewundert und gefürchtet und nie gefangen."

    Das Amazonasgebiet ist zu groß, um die genaue Flussdelfinpopulation zu bestimmen. Damit die Population nicht weiter abnimmt, sind Vorsorgemaßnahmen erforderlich. Nationalparkchefin Priscilla da Costa Santos hofft, dass der nachhaltige Delfin-Tourismus der Bevölkerung den Wert der Tiere bewusst macht.