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Flusskreuzfahrt
Unterwegs auf dem Moskau-Wolga-Kanal

Vorbei an Brücken, Schleusen und viel Grün: 128 Kilometer lang ist der Moskau-Wolga-Kanal, der die Moskwa mit dem längsten Fluss Europas verbindet. Eine Fahrt mit dem Flusskreuzer "Michail Bulgakow", der seine ersten Meter einst auf der Elbe zurücklegte.

Von Thielko Grieß |
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    Unterwegs auf dem Moskau-Wolga-Kanal mit dem Flusskreuzer "Michail Bulgakow" (Thielko Griess)
    Die Bordlautsprecher sollen gute Laune verbreiten, die warme Sonne über dem nördlichen Moskauer Flusshafen tut das ihre. Die "Michail Bulgakow" der Reederei "Mosturflot" strahlt in hellem Weiß. Hellblaue Streifen ziehen sich an ihren vier Decks entlang. Der Bug läuft spitz zu, als würde sie gleich mit einem Lächeln ablegen.
    Alle Passagiere sind in Bord, viele stehen an der Reling und beobachten, wie die Schrauben das 125 Meter lange Schiff in langsame Fahrt versetzen, zuerst Meter um Meter weg vom Kai, hin zur Mitte des Hafens. Und dann zwar nicht mit voller, aber mit ordentlich Kraft voraus. Auf dem Sonnendeck haben es sich Sergej, Marina und Jewgenij schon gemütlich gemacht. Die drei Freunde strahlen eine Ruhe aus, die sagen will: Wie schön, dass wir uns jetzt tagelang um nichts mehr zu kümmern brauchen.
    "Wie die Engländer sagen: Ein Fluss bedeutet Gesundheit. Deshalb wählen wir immer wieder den Fluss. Die Luft ist frisch, die Natur. Wir fahren seit 2009 auf verschiedenen Schiffen. Aber dieses hier ist besser, von höherer Qualität. Die Schiffe sind besser geworden, sie werden modernisiert, und auch der Service ist besser geworden. Wir fahren manchmal drei Mal im Jahr, im Frühling, Sommer und Herbst - ganz wie unsere Stimmung ist und das Wetter."
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    Blick vom Kreuzfahrtschiff auf die Uferpromenade (Thilko Griess)
    Moskaus Außenbezirke gleiten vorüber
    Aus den Lautsprechern meldet sich ab und zu eine Frauenstimme, die den Passagieren erläutert, woran sie gerade vorbei fahren. Marina, die mit sommerlich-leichter Bluse und Sonnenbrille gleich neben Sergej sitzt, gefällt es.
    "Wir werden sehr gut darüber informiert, wie alles gebaut wurde, womit und weshalb es begonnen hat, wie die Schleusen gebaut wurden, wie die Motorschiffe in Auftrag gegeben wurden - das ist interessant!"
    Die 3.000 PS-starken Motoren lassen mit ihrem tiefen Brummen das ganze Schiff gleichmäßig schwingen. Wo der Hafen endet, beginnt der Moskau-Wolga-Kanal. Die Verbindung zwischen der russischen Hauptstadt und dem längsten Fluss Europas ist gut 80 Jahre alt, gebaut noch vor dem Zweiten Weltkrieg in der Stalin-Zeit von Gulag-Häftlingen.
    Moskaus Außenbezirke gleiten vorüber, hohe Wohnhäuser, Einkaufszentren, unterbrochen von breiten Verkehrstraßen und Brücken. Je länger und weiter wir durch das Wasser gleiten, desto weniger Beton ist an Land zu sehen und desto mehr Grün. Wie sich Moskau wandelt, so wandeln sich seine Ufer, erzählt einer, der schon Dutzende solcher Reisen geleitet hat: Kreuzfahrtdirektor Wladislaw Chassikow.
    Gestiegene Zahl privater Landhäuser und Jachtklubs an den Ufern
    "In den vergangenen 20 Jahren haben sich die Ufer im Moskauer Umland sehr stark verändert. Eine große Zahl privater Landhäuser und Jachtklubs ist entstanden. Zu Zeiten der Sowjetunion und gleich danach gab es so etwas gar nicht. Jetzt haben alles Moskauer bebaut, alle Ufer von hier bis nach Kaljasin."
    Und Kaljasin ist von Moskau schon rund 200 Kilometer entfernt. Direktor Chassikow teilt sich mit dem Kapitän die Verantwortung für das Schiff, fast 300 Passagiere und die rund 100-köpfige Besatzung. Er ist ein gemütlicher, humorvoller Mensch, der seine Leute gut im Griff hat. Er kennt längst nicht nur russische Flüsse, sondern begleitet russische Touristen auch auf den Flüssen Asiens und Europas, auch Deutschlands.
    "Wir fahren auf den Flüssen Rhein, Elbe und Main. Unsere Kreuzfahrten beginnen wir vor allem in Köln und lieben es, wenn die Kölner Plätze zu Weihnachten geschmückt sind, wenn alle deutschen Städte so geschmückt sind."
    Wenn Weihnachten ist, dann ist der Kanal zur Wolga und sie selbst im russischen Winter voller Eis und nicht befahrbar, aber nun ist ja gerade Sommer und Eis klirrt höchstens in Getränkegläsern.
    Flusskreuzer machte seine ersten Meter auf der Elbe
    Der Flusskreuzer "Michail Bulgakow", auf dem Chassikow nun die nächsten Tage verbringen wird, ist vor 40 Jahren, im Jahr 1978, seine ersten Meter ausgerechnet auf der Elbe gefahren. Der Direktor erzählt die Geschichte des Kreuzers, die auch eine Geschichte der Zusammenarbeit im Ostblock ist: Dies wurde aus der Tschechoslowakei zugeliefert, jenes aus der Sowjetunion, dann zusammengebaut in der DDR.
    "Das Motorschiff 'Bulgakow' ist in der Werft Boizenburg an der Elbe gebaut worden, in der Deutschen Demokratischen Republik. Es trug den Namen 'W. I. Lenin', Wladimir Iljitsch Lenin. Gebaut wurde es für den Fluss Dnjepr in der Ukraine, und seine erste Fahrt als Passagierschiff begann in Kiew. Bis Mitte der 90er Jahre fuhr es dort, wurde mal nach dem ukrainischen Dichter Maxim Rilskij umbenannt. Und 2010, als es schon in Russland fuhr, wurde dann die Entscheidung getroffen, das Schiff einer Generalüberholung zu unterziehen und in Michail Bulgakow umzubenennen."
    Während er spricht, sitzt der Kreuzfahrtdirektor ganz gemütlich auf einem Sofa neben einer Vitrine, in der ein Porträt und Geschirr zu sehen sind, das der Moskauer Dramatiker benutzt haben soll.
    Steuermann kennt jede Schraube und Niete
    Kaum Zeit zum Sitzen hat Alexej Baschirow, der Erste Steuermann. Er kennt auf diesem Schiff wohl fast jede Schraube und jede Niete. Und jede Herstellungsplakette, die von der DDR-Werft geblieben ist.
    "Diese Winde heißt Ankerspill. Wir sehen hier das Baujahr 1978. Und auch die Fabriknummer, das Gewicht und so weiter. Die Dokumentationsunterlagen sind alle auf Russisch. Ab und zu mit grammatikalischen Fehlern, aber wenn Du sie liest, verstehst Du, was für ein Wort eigentlich gemeint ist."
    Die Elbe-Werft in Boizenburg ist längst Geschichte, ging vor 20 Jahren in die Insolvenz.
    "Was die technische Ausstattung betrifft, zum Beispiel am Steuerstand, ist fast alles unverändert geblieben. Nur Radaranlagen wurden seit der Sowjetzeit ausgewechselt. UKW-Funkanlagen, Pulte, das Steuer, das Querstrahlruder sind seit der Zeit geblieben, als das Schiff nach einem sowjetischen Entwurf in der DDR gebaut wurde."
    Ein Original-Lautstärkeregler stammt noch aus DDR-Zeiten
    Ein Original-Lautstärkeregler (Thielko Griess)
    Dagegen sind die Kajüten längst nicht mehr die alten. Sie sind modernisiert worden, ein Passagier im heutigen Russland hat viel mehr Platz für sich als ein Sowjetbürger, der auf dem Schiff den Dnjepr bereisen durfte.
    Vorbei an Dubna, Kaljasin, Myschkin, Uglitsch
    Es sind an diesem frühen Nachmittag zumeist ältere Damen und Herren, die sich auf die nächsten Tage an Bord einstimmen lassen. Wer seinen Kunstfertigkeiten freien Lauf lassen will, hat im "Meisterkurs" die Möglichkeit dazu. Und es stehen Exkursionen in den Städten, an denen die "Bulgakow" vorbeikommt, auf dem Programm: Dubna, Kaljasin, Myschkin, Uglitsch.
    Und zum entspannten Schaukeln auf der Wolga gehören täglich reichliches Frühstück, Mittag- und Abendessen. Und abends Musik. Oder eine Massage, die aber nur gegen Aufpreis.
    "Je mehr unsere Landsleute ins Ausland reisen, desto mehr steigen ihre Ansprüche", weiß Wladislaw Chassikow, der Kreuzfahrtdirektor. "Weil sie die Welt sehen. Und wir bemühen uns, dem, was sie dort gesehen haben, zu entsprechen. Aber für unsere Leute gibt es nur kleine Renten, sehr wenig Geld. Und nun steigen auch noch die Kurse von Euro und Dollar. Das heißt: weniger Möglichkeiten, ins Ausland zu reisen. Dementsprechend bereisen sie Russland."
    Ein gutes Drittel der Reisen, erzählt er, bezahlten deshalb die Kinder ihren Eltern.
    Passagiere genießen das Sonnendeck auf der "Michail Bulgakow"
    Das Schwimmbad auf dem Sonnendeck der "Michail Bulgakow" (Foto: Thielko Griess)
    Entspannen im Fahrtwind und bei brummende Motoren
    Das Sonnendeck hat sich inzwischen ein wenig gefüllt. Und bei einem jüngeren Pärchen, Danila und Nastja, das es sich auf zwei Liegen bequem gemacht hat, ist es umgekehrt: Diese Reise hat ihnen eine der Mütter geschenkt.
    "Unsere Arbeit ist mit großer körperlicher Belastung verbunden. Wir haben schon seit einigen Jahren keinen Urlaub mehr gehabt. Deswegen war das Hauptziel des Geschenks, uns Erholung zu ermöglichen. Hier, auf dem Schiff, trägt alles zu richtiger Entspannung bei. Ich versuche gerade, zu arbeiten, aber das gelingt mir schlecht. Wir testen vier Tage lang, wie das ist mit einer Kreuzfahrt, aber ich merke schon, dass wir uns wahrscheinlich noch eine Schifffahrt wünschen werden."
    Beim Brummen der Motoren und im Fahrtwind legt sich rasch eine beruhigende Reisestimmung über die "Michail Bulgakow". Als ich einige Stunden später von Bord gehe, bleibt mir im Kopf, was Steuermann Baschirow auf die Frage geantwortet hat, wie lange dieses Schiff eigentlich noch fahren könne:
    "Wenn Rumpf und Technik von Zeit zu Zeit erneuert werden, dann, denke ich, ewig."