Seit bei der Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz mehr als 180 Menschen starben, stehen sowohl die offiziellen Warnsysteme als auch die Medienberichte vor und während des Hochwassers in der Kritik. Eine Auswertung der verschickten Warnmeldungen zeigt: Behörden und Institutionen haben zwar Warnungen an Medien weitergeleitet, aber jede vierte war fehlerhaft oder missverständlich.
- Welche Warnmeldungen wurden ausgewertet?
- Inwiefern waren die Meldungen mangelhaft?
- Welche Warnmeldungen kamen nicht bei den Medien an?
- Welche Warnmeldungen wurden gar nicht erst verschickt?
- Warum waren einige Handlungsanweisungen für Medien mangelhaft?
- Wie konnte es zu den mangelhaften Meldungen kommen?
Die Flutkatastrophe im Westen Deutschlands begann mit Starkregen am Mittwoch, 14. Juli. Von Mittwoch bis Freitag wurden in NRW und Rheinland-Pfalz 160 Warnmeldungen verschickt, die das zuständige Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) inzwischen online zugänglich gemacht hat. Von diesen Warnmeldungen kam die überwiegende Mehrheit aus NRW, dort wurden 144 Warnungen verschickt. In Rheinland-Pfalz waren es 16. Darin enthalten sind auch Meldungen, die Aktualisierungen oder Entwarnungen beinhalteten.
Deutschlandweit wird für Warnungen das sogenannte Modulare Warnsystem (MoWas) verwendet. Ob drohendes Unwetter, Chemieunfall oder Bombenfund: Wenn eine gefährliche Situation festgestellt wird, sollen Behörden und Institutionen ihre Informationen in das System einspeisen. Sie melden, wovor gewarnt wird, wie dringlich die Warnung ist (hoch, mittel oder niedrig) und in welchem Bereich sie gilt (lokal, regional, landes- oder bundesweit).
Außerdem enthält die Warnung konkrete Handlungsanweisungen, sodass Bürgerinnen und Bürger, die die Meldung lesen, wissen, wie sie sich verhalten sollten. Es gibt aber auch Anweisungen für Medien, die so erfahren, ob sie eine Meldung sofort im Wortlaut veröffentlichen müssen oder ob sie sie journalistisch aufbereiten dürfen.
Um eine Warnmeldung abzusetzen, muss ein digitales Formular ausgefüllt werden, und dabei passieren immer wieder Fehler. Das zeigen die ausgewerteten 160 Warnmeldungen: Ein Teil enthielt falsche Angaben, bei anderen fehlten Informationen - beides hat womöglich die Warnung der Bevölkerung verzögert.
40 der ausgewerteten 160 Meldungen wurden nicht so eingegeben oder ausgespielt wie eigentlich vorgesehen - und zwar so, dass dadurch keine, eine grob falsche oder eine verzögerte Warnung an die Bevölkerung verursacht worden sein könnte.
Anteil mangelhafter Warnmeldungen
20 der mangelhaften Meldungen warnten vor Hochwasser bzw. Überschwemmung, weitere 14 vor Starkregen. Vier bezogen sich auf den Ausfall des Notrufs und jeweils eine Meldung auf den Ausfall des Stromnetzes und des Telefonnetzes. Alle weiteren Meldungen waren entweder Aktualisierungen oder Entwarnungen der genannten Katastrophenfälle.
Manche Meldungen wurden gar nicht an Medien verschickt, andere gingen nicht an die lokalen und regionalen Medien, deren Verbreitungsgebiete von der Flut betroffen waren. Stattdessen wurden fast alle Meldungen an zwei Medienhäuser geschickt, die gar keine Warnfunktion übernehmen können, weil sie in NRW und Rheinland-Pfalz keine Medien haben und deshalb auf üblichem Weg nicht zu empfangen sind, nämlich an Radio Energy und die Madsack-Verlagsgruppe aus Hannover.
Warnstufen der mangelhaften Warnmeldungen
Andere Fehler betrafen die Warnstufe, die zum Teil widersprüchlich angegeben wurde. Bei einer Meldung mit mittlerer Dringlichkeit sind Medien beispielsweise nicht gezwungen, sofort eine so genannte "Amtliche Gefahrendurchsage" (hohe Dringlichkeit) im Programm zu verlesen. Zum Teil fand sich aber genau diese Anweisung in Warnmeldungen mit mittlerer Dringlichkeit. Widersprüchliche oder fehlende Handlungsanweisungen für Medien können eine schnelle Warnung verzögern.
In manchen Meldungen fanden sich auch kleinere Fehler. So fehlte in manchen Überschriften die Ortsangabe der betroffenen Region, die dann erst im laufenden Text zu finden war. Zum Teil gingen die Meldungen auch an einen zu großen Verteiler. Das heißt, einzelne Redaktionen erhielten in den betreffenden drei Tagen alle 160 Warnmeldungen. Das hat es womöglich erschwert, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.
Mängel in Warnmeldungen zur Flutkatastrophe
Im Kreis Trier-Saarburg kam zum Beispiel keine einzige Meldung bei relevanten Redaktionen an, obwohl dort 16 Warnungen abgesetzt wurden. Einige wurden mit der höchsten Dringlichkeitsstufe versandt. Das bedeutet, sie müssen sofort im Radio vermeldet werden, und im Fernsehen muss ein entsprechendes Laufband eingeblendet werden. Beides konnte der SWR nicht machen, weil die Meldungen ihn nicht erreichten.
Das liegt aber offenbar nicht an der zuständigen Leitstelle des Kreises Trier-Saarburg, sondern an einer falschen Voreinstellung in dem Programm, in dem die Warnmeldungen eingegeben werden. Die zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konnten laut Kreisverwaltung im Feld Medien zwar "lokal/regional" anklicken, aber nicht auswählen, an welche Sender die Meldung tatsächlich ging. Dass dort keine lokalen und regionalen Medien hinterlegt waren, sei nicht ersichtlich gewesen, teilte der Kreis auf Dlf-Anfrage mit. Es handele sich um eine Voreinstellung durch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), das das Warnportal betreibt.
Das BBK teilte auf Anfrage mit, dass es die Zuordnungen nach Rücksprache mit den Innenministerien der Länder festlegt, die für die Medien im Land zuständig seien. Bei einer solchen Einstellung erhalte der SWR lokale Meldungen nur dann, wenn die Leitstelle sie auch an landesweite Medien verschicke. Das hätten die Nutzer des Systems auch wissen sollen, heißt es beim BBK. In Trier war das offenbar nicht bekannt und soll jetzt korrigiert werden. Vorübergehend würden auch Meldungen von nur lokaler und regionaler Relevanz auch an den landesweiten Verteiler geschickt.
Auch der Kreis Unna teilte mit, dass die Empfänger der MoWas-Meldungen durch den Bund vorgegeben seien - diese Zuordnung solle jetzt noch einmal überprüft werden.
Der Landkreis Ahrweiler, der am stärksten von der Flut stark betroffen war, verschickte keine einzige Meldung über MoWas. Offenbar gingen einzelne Meldungen an die Katastrophenwarn-App Katwarn, aber keine an die zweite verbreitete Warn-App Nina, die ihre Meldungen über MoWas bezieht. Durch die fehlende Warnung über MoWas wurden auch Medien auf diesem Weg nicht informiert.
Der Landkreis konnte dazu auf Dlf-Anfrage keine Auskunft geben und verwies darauf, dass die Bewältigung der Katastrophenlage derzeit vorgehe. Es laufen Ermittlungen gegen den Landrat, dem vorgeworfen wird, zu spät gewarnt zu haben.
In Leverkusen verschickte die städtische Feuerwehr zwar Warnmeldungen, die vor allem an Warn-Apps gingen und darauf hinwiesen, man solle für weitere Informationen Medien nutzen. Diese Warnungen gingen aber über das System nicht an Medien. Die Stadt Leverkusen teilte auf Anfrage mit, die Medien seien außerhalb des Warnsystems durch "ausführliche Presseinformationen" informiert worden. Der Hinweis, bei Gefahr die Medien einzuschalten, sei ein Standardtextbaustein, heißt es bei der Stadt.
Auch im Kreis Soest gingen die Warnmeldungen über das offizielle System nicht an Medien. Der Kreis teilte allerdings auf Anfrage mit, das sei eine bewusste Entscheidung gewesen, "da es sich um ein örtliches Ereignis" gehandelt habe. Lokalradio und Lokalzeitung seien demnach per Anruf und Mail informiert worden. Außerdem sei abgesprochen, dass die zuständigen Reporter lokaler Medien über die Nina-Warn-App informiert würden und dann berichten könnten.
Hinzu kommt, dass vor allem viele lokale Medien gar nicht an das Warnsystem angeschlossen sind. In NRW gibt es 45 Lokalradios in Städten und Kreisen, von denen laut BBK aber nur zehn Sender Warnmeldungen über MoWas erhalten. In deren Verbreitungsgebiet leben rund 5,1 Millionen Menschen - etwas mehr als ein Viertel aller Einwohner von NRW.
NRW-Lokalradios, die an das Warnsystem MoWas angeschlossen sind
Das Mantelprogramm Radio NRW, das bei den Lokalradios für den größten Programmanteil verantwortlich ist, ist an MoWas zwar angeschlossen, bringt als landesweiter Sender allerdings vermutlich nicht alle lokalen Warnmeldungen. Schließlich gab es davon in NRW in drei Tagen mehr 140 Stück.
Eigentlich sollten Journalistinnen und Journalisten bei Medien, die diese Warnmeldungen bekommen, wissen, wie sie damit umzugehen haben. Formal müssten deswegen gar keine konkreten Handlungsanweisungen in den Warnmeldungen stehen, sie sind aber hilfreich für eine schnelle Verbreitung, zumal einzelne Redakteurinnen und Redakteure im Programm nur selten mit Warnungen zu tun bekommen.
Eine Meldung mit der höchsten Warnstufe muss zum Beispiel sofort ins Programm genommen werden - diese Hinweis findet sich allerdings teils auch in Meldungen mit mittlerer Dringlichkeit. Die Medien, die die Meldungen bekommen, bekommen die Warnstufe zum Teil gar nicht angezeigt, können einen Widerspruch zwischen Einstufung und Handlungsanweisung also nicht sofort erkennen.
Einen solchen Widerspruch gab es im Kreis Unna, der auf Anfrage mitteilte, dass die Meldungsvorlage immer die Medienanweisungen für die höchste Warnstufe enthielten. Das müsste bei niedriger eingestuften Warnmeldungen händisch geändert werden, was aber nicht immer passiert sei.
Rein technisch hat das Warnsystem MoWas funktioniert: Die eingegebenen Warnungen wurden weiter verbreitet. Trotzdem ist das System in der Bedienung kompliziert und funktioniert deswegen nicht immer wie geplant. Letztendlich sitzen in allen beteiligten Institutionen Menschen, die Entscheidungen treffen und Fehler machen.
Schuld daran sind auch problematische Voreinstellungen, die in den Leitstellen nicht erkannt werden oder nicht erkannt werden können, wenn es schnell gehen muss. Einige Leitstellen verschicken ihre Meldungen an Medien bewusst nicht über das System. Manche Medien erhielten gar keine Meldungen und konnten deswegen nicht warnen.