Der folgende Beitrag enthält Beschreibungen sexualisierter Gewalthandlungen, die belastend und retraumatisierend sein können.
In den Wettkampfpausen kommt plötzlich ein vermeintlich vertrauliches Gespräch zwischen zwei Männern aus den Boxen auf dem Turniergelände:
„Du, das Mädel, das bei mir trainiert, ist hier auch am Start. Ihr Guter hat sie bei der letzten Vielseitigkeit ins Wasser gesetzt. Da hatte ich endlich mal die volle Durchsicht auf ihren Hammer-Arsch“
„Ich weiß genau, wen du meinst. Die muss aber noch ein bisschen reifen, bevor sie zu dir ins Bett klettern kann.“
„Die wird nächstes Jahr 17, da kann man schon mal einen Versuch starten“.
Dann heißt es ‚Oh, das Mikro war ja noch auf‘, das Gespräch endet.
„Ich weiß genau, wen du meinst. Die muss aber noch ein bisschen reifen, bevor sie zu dir ins Bett klettern kann.“
„Die wird nächstes Jahr 17, da kann man schon mal einen Versuch starten“.
Dann heißt es ‚Oh, das Mikro war ja noch auf‘, das Gespräch endet.
Reaktion bei den Zuschauenden: Einige hören gar nicht hin, sind ins Gespräch vertieft. Andere gucken irritiert, wieder anderen steht die Betroffenheit ins Gesicht geschrieben. Und es gibt auch die, die amüsiert schmunzeln, als seien solche Unterhaltungen normal.
Inszenierung soll verstören
Dann kommt Soenke Lauterbach auf den Turnierplatz. Der Generalsekretär der deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) erklärt, das Gespräch war eine inszenierte Einspielung vom Band: „Aber der Dialog ist echt. Solche widerlichen Unterhaltungen finden tatsächlich statt. Sie können sie hören, am Rand eines Turnierplatzes, an einer Reithalle, an der Theke. Das sind nicht einfach nur blöde Sprüche. Das ist sexualisierte Gewalt. Und viel zu oft folgen solchen Sprüchen auch Taten.“
Es folgt der Hinweis ans Publikum, einzuschreiten, wenn sie solche sexistischen Sprüche hören. Und Lauterbach informiert über den Betroffenenrat der FN. Der Zusammenschluss von Betroffenen sexualisierter Gewalt im Pferdesport will unter anderem das Thema in der Pferdewelt bekannter machen. Bei einer Pressekonferenz stellen sich die fünf aktiven Mitglieder offiziell vor.
Es sind vier Frauen und ein Mann. Eine weitere Betroffene sitzt im Raum, möchte anonym bleiben.
Gewalterfahrungen öffentlich machen
Wie einige seiner Mitstreiterinnen, hat sich auch Constantin Stark entschlossen, seine Geschichte öffentlich zu machen. Ein von ihm autorisierter Text, von einem Schauspieler nachgesprochen, wird eingespielt. Die Zuhörenden erfahren: Es war sein Reitlehrer, der Constantin Stark schwere sexuelle Gewalt angetan hat. Die schlimmste Situation sei auf einem Turnier passiert, klingt es aus dem Lautsprecher im Raum. Bei der Übernachtung habe er im Bett des Reitlehrers schlafen sollen. Er habe sich gewehrt, doch der Mann wurde immer aggressiver:
„Ich hörte auf, mich zu wehren, ich konnte schlicht nicht mehr. Daraufhin drang er anal in mich ein. Warum habe ich nichts gesagt und mich anderen geöffnet? Zu diesem Zeitpunkt gab es innerhalb meiner Familie eine sehr schwierige Situation. Dazu kamen die Pferde. Ich wollte das Umfeld im Stall nicht verlieren. Ich hatte Angst, dass man mir nicht glaubt. Und ich war auch abhängig von dem Täter.“
Angst, dass nicht geglaubt wird
Die Erfahrung, dass ihr nicht geglaubt wurde, musste auch Gitta Schwarz machen. Die sexuelle Gewalt durch ihren Reitlehrer liegt mehr als 30 Jahre zurück. Schon vor knapp zwei Jahren hat sie erstmals öffentlich darüber gesprochen, damals gelesen von Schauspielerin Martina Gedeck:
„Als ich es meinem Vater erzählte, kam der Moment, wo ich den kompletten Glauben an alles verloren habe. Er sagte, das bilde ich mir alles nur ein. Das könne nicht sein. Der ist Oberstleutnant, das macht der nicht. Doch nicht er. Der weiß doch, was sich gehört. Wieso denkst du dir denn so was aus?“
Eine Weile sei sie noch weiter geritten, dann zusammengebrochen und habe aufgehört. Das Liebste sei ihr genommen worden, berichtet Gitta Schwarz. Der Geruch der Pferde ist für sie immer noch schwer zu ertragen, triggert, ruft alte Erinnerungen wach.
Sie engagiert sich im Betroffenenrat, um die FN in Prävention und Aufarbeitung zu beraten und in der Pferdewelt für das Thema sexualisierte Gewalt zu sensibilisieren: „Tatsächlich möchte ich dazu ermutigen, dass Zivilcourage entsteht, dass die Menschen hinsehen, es für möglich halten und die Geschichten, die geschehen, einfach aus diesem Schatten des Schweigens zu holen. Weil ich glaube, darüber nicht zu sprechen, hilft am Ende nur den Tätern. Darüber zu reden hilft den Betroffenen.“
Gemeinschaft gibt Kraft
Die Gewissheit, mit den erlebten Erfahrungen nicht allein zu sein, gibt den Mitgliedern des Betroffenenrates sichtbar Stärke und Kraft. Sie sprechen von großer Erleichterung und der positiven Stimmung, ‚endlich passiert was‘, als sie vor anderthalb Jahren dem Aufruf des Verbandes folgen, sich zu melden.
„Ich selbst bin Betroffener und wollte damit einfach erreichen, eine Stimme zu schaffen für andere Betroffene und denen da auch in gewisser Art und Weise einen Weg zu zeigen, wie man es machen kann und vor allem auch was zu verändern. Wir brauchen ein gestärktes Bewusstsein für das Thema“, sagt Constantin Stark und betont die große Bedeutung für alle Mitglieder, gemeinsam etwas aufzubauen.
"Risikofaktor Pferd"
Die Deutsche Reiterliche Vereinigung weiß, dass die Liebe zum Pferd ein großer Risikofaktor für sexuelle Übergriffe ist. Täter setzen das Tier als Druckmittel ein, drohen etwa das Pferd zu verkaufen. In der Vergangenheit waren immer wieder Fälle im Reitsport bekannt geworden.
Um diese zu sanktionieren, habe die FN das Regelwerk permanent angepasst, betont Generalsekretär Soenke Lauterbach. Gab es eine andere Möglichkeit? „Also natürlich hat man immer eine Wahl. Die Wahl ist nix tun. Das wollten wir nicht. Insofern kann ich auch sagen, das war alternativlos, dass wir so einen Rat gründen“.
Dessen Mitglieder sind Vorreiter*innen in dem was sie tun. Der Betroffenenrat ist der erste in einem deutschen Sportverband. Von der Zusammenarbeit erhofft sich die FN laut Soenke Lauterbach: „Der unbequeme Mahner zu sein, der mit dem rostigen Nagel auch mal bohrt bei uns und sagt Ihr seid hier noch nicht sensibel genug, ihr müsst hier mehr tun. Und auf der anderen Seite soll er für uns Berater und Impulsgeber sein.
Leider bringen ja die Mitglieder des Betroffenenrates eine echte Expertise mit aus dem, was sie erleiden mussten. Sie können uns viel besser helfen, unsere Maßnahmen zu verbessern.“
Leider bringen ja die Mitglieder des Betroffenenrates eine echte Expertise mit aus dem, was sie erleiden mussten. Sie können uns viel besser helfen, unsere Maßnahmen zu verbessern.“
Mit 50.000 Euro im Jahr unterstützt die FN den Betroffenenrat und sendet auch damit ein Signal an andere Verbände.
Hier gibt es Hilfsangebote für Betroffene von sexualisierter Gewalt:
Hilfetelefon sexueller Missbrauch
https://www.hilfe-telefon-missbrauch.online
https://www.hilfe-telefon-missbrauch.online
Anlauf gegen Gewalt
https://www.anlauf-gegen-gewalt.org
https://www.anlauf-gegen-gewalt.org