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Fördergelder für Kohle-Regionen
"Aus ökonomischer Sicht ist es rausgeschmissenes Geld"

Die Strukturhilfen für Kohleländer über 40 Milliarden Euro seien ein großes Wahlgeschenk an einzelne Bundesländer im Osten, sagte der Wirtschaftswissenschaftler Reint Gropp im Dlf. Er kritisierte die Investitionen als ökonomischen Fehler und bezeichnete sie als Planwirtschaft.

Reint Gropp im Gespräch mit Philipp May |
Ein riesiger Braunkohlebagger steht in einem Tagebau nahe Proschim.
"Grundsätzlich habe ich Probleme damit, wenn der Staat entscheidet, wo investiert wird", sagte Wirtschaftswissenschaftler Reint Gropp (Imago / Jürgen Heinrich)
Philipp May: Auf die deutschen Braunkohle-Regionen – das ist klar – wartet ein riesiger Strukturwandel. Heute will das Kabinett die Eckpunkte eines Fördergesetzes beschließen, wonach die von der Energiewende betroffenen Regionen in den nächsten Jahrzehnten 40 Milliarden Euro zusätzlich vom Bund erhalten sollen, um neue hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen. Über das Ziel sind sich alle einig, doch über das Wie wurde von allen Seiten lange gerungen.
40 Milliarden Euro Fördergelder sollen in die Kohle-Regionen fließen, in den nächsten 18 Jahren. So soll der Strukturwandel bewältigt werden. Viel Geld und die Frage stellt sich: Ist das auch gut investiertes Geld? – Reint Gropp, der Chef des Leibnitz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, hat Anfang März für Aufsehen gesorgt mit seiner Studie, wonach die Politik sich beim Aufbau Ost auf die Städte konzentrieren soll. Die Förderung des ländlichen Raums solle man dagegen lassen. Das sorgte für selten einmütige Schnappatmung bei allen ostdeutschen Politikern, von Linkspartei bis CDU. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer befand beispielsweise, die Vorschläge des Wirtschaftswissenschaftlers seien nicht mehr als Gebrabbel. Also brabbeln wir jetzt mit ihm. Guten Morgen, Reint Gropp!
Reint Gropp: Guten Morgen, Herr May.
May: Ich zitiere noch mal den Beitrag meiner Kollegin Barbara Schmidt-Mattern. "Neue Arbeitsplätze in den Braunkohle-Revieren schaffen, die Wirtschaft vor Ort modernisieren, Bahnstrecken ausbauen, Forschung und Behörden vor Ort ansiedeln." Das will die Bundesregierung mit den 40 Milliarden. Ist das rausgeschmissenes Geld?
Gropp: Es ist nicht rausgeschmissenes Geld, wenn man annimmt, dass es hier um politische Ziele geht. Wenn man verhindern will, dass bei den anstehenden Landtagswahlen in Ostdeutschland die AfD stärkste Partei wird, dann kann man das erklären. Das ist eine politische Entscheidung. Aber aus ökonomischer Sicht ist es sicherlich eher rausgeschmissenes Geld, ja.
May: Also ist es eine sehr teure Wahlkampfhilfe sozusagen?
Gropp: Ich würde sagen, es ist ein sehr, sehr, sehr großes Wahlgeschenk an einzelne Bundesländer im Osten – ganz genau.
"Das ist Planwirtschaft"
May: Aber wenn wir zum Beispiel mal die Verkehrswende nehmen. Die meisten Experten gehen davon aus, dass die Zukunft dem Elektroauto gehört. Kann es da nicht gerade sinnvoll sein, genau dort, wo demnächst Kohle-Arbeitsplätze wegfallen, zum Beispiel massiv in Batteriezell-Fertigung zu investieren?
Gropp: Grundsätzlich habe ich Probleme damit, wenn der Staat entscheidet, wo investiert wird. Das ist Planwirtschaft und ich glaube, gerade im Osten sollten wir verstanden haben, dass das oft nicht besonders gut funktioniert. Insofern sollten wir schon den Markt und den Herstellern überlassen, wo sie investieren wollen, wo sie ihre Fabriken aufbauen wollen. Grundsätzlich ist es natürlich auch so, dass Deutschland durchaus Infrastruktur-Investitionen braucht, aber vielleicht nun gerade nicht in den Gegenden, wo wir erwarten können, dass in den nächsten zehn Jahren die Bevölkerung weiter schrumpft, sondern eher dort, wo in den nächsten zehn, 20 Jahren die Bevölkerung wächst.
May: Aber braucht nicht die Marktwirtschaft hin und wieder auch mal einen Impuls vom Staat? Gerade beim Verkehr ist es doch augenscheinlich, dass die Autoindustrie sich schwertut mit dem Wandel.
Gropp: Ja, gut! Sicherlich braucht es einen Impuls. Allerdings hat das wahrscheinlich eher weniger mit dem Braunkohle-Ausstieg zu tun. Da sollte man drüber nachdenken, wo man da investiert, wo man da Infrastrukturen schaffen will, und das ist dann nicht unbedingt in der Lausitz oder im Braunkohle-Revier in Nordrhein-Westfalen, sondern wahrscheinlich woanders, und da sind dann die Erträge, die Sie daraus erwirtschaften, der Ertrag, den Sie bekommen für jeden Euro Investition, deutlich höher woanders als in diesen Regionen, wo auf absehbare Zeit wenig Bevölkerungswachstum sein wird.
May: Das heißt im Umkehrschluss, Sie würden dann lieber gleich in ganzen Landstrichen im Osten, zum Beispiel in der Lausitz, das Licht ausknipsen?
Gropp: Licht ausknipsen ist vielleicht der falsche Ansatz. Das ist nicht der Punkt. Ich glaube, man muss sich überlegen, was da tatsächlich besonders erfolgreich sein kann. Ich bin nicht davon überzeugt, dass Elektromobilität in der Lausitz genau der richtige Weg wäre, sondern vielleicht andere Dinge. Und es ist schon, wie viele sagen, auch viele in der Politik sagen, ein Gießkannenprinzip: Ich gieße überall und hoffe mal, dass irgendwo ein paar Pflänzchen wachsen. Das ist natürlich einfach sehr teuer. Ich kann mir auch vorstellen, dass die 40 Milliarden wahrscheinlich im nächsten Jahr zum Beispiel deutlich niedriger gewesen wären, einfach deshalb, weil keine Wahlen anstehen und weil der Fiskus weniger Geld zur Verfügung hat. Wenn das die Bestimmungsfaktoren dafür sind, wo wir investieren und wieviel, dann halte ich das für ineffizient.
May: Ich verstehe, Sie wollen nicht so viel investieren und nicht mit der Gießkanne. Aber das Licht in den Landstrichen wollen Sie auch nicht ausknipsen. Wie wollen Sie denn die Pflänzchen zum Wachsen bringen in diesen Regionen, die ja unbestreitbar einen großen Strukturwandel zu bewältigen haben?
Gropp: Sie müssen ja verstehen, dass allein schon der Ansatz ein planwirtschaftlicher ist: Ich schließe irgendwelche Kohlekraftwerke. Stattdessen wäre es wahrscheinlich besser gewesen, man hätte sich auf Preise und Märkte konzentriert, man hätte den Preis für CO2-Ausstoß erhöht.
May: Stichwort CO2-Steuer.
Gropp: Genau, CO2-Steuer, Emissionshandel. Solche Mechanismen zu stärken, wäre sicherlich sehr viel besser gewesen, wäre sehr viel effizienter gewesen und würde wahrscheinlich auch verhindern, dass die Energiepreise, wie jetzt wahrscheinlich zu erwarten ist, deutlich steigen werden.
"Können nicht erwarten, dass der Braunkohle-Kumpel im neuen Forschungsinstitut arbeitet"
May: Das mag ja sein. Aber der Strukturwandel wäre dann ja trotzdem gekommen, siehe Steinkohle-Regionen. Da ist es ja auch kein planwirtschaftlicher Ansatz gewesen, sondern das hat sich irgendwann nicht mehr rentiert und am Ende sind die Landschaften in Nordrhein-Westfalen verblüht.
Gropp: Natürlich! Aber ich meine, die sind ja nun nicht verblüht, weil wir da nicht ausreichend subventioniert hätten – Stichwort Kohlepfennig und so weiter. Das Problem ist, dass wir auch mit den größten Investitionen in irgendwelche Infrastruktur-Bereiche in solchen Regionen relativ wenig erreichen können, was neue Arbeitsplätze angeht. Im Übrigen sind natürlich das auch völlig andere Arbeitsplätze. Sie können ja nicht erwarten, dass jetzt der Braunkohle-Kumpel bei dem neuen Forschungsinstitut arbeitet. Das heißt, der Strukturwandel wird trotzdem stattfinden, jetzt kostet er nur mehr.
May: Warum kann man nicht trotzdem sagen, man investiert in die Länder, gerade wenn man sieht, welche Probleme die Städte haben? Stichwort steigende Mieten, all diese Probleme, Stichwort immer vollerer Verkehr, dass man gerade sagt, man investiert in die Länder, um auch die Städte zu entlasten.
Gropp: Aber Sie sagen es ja. Steigende Mieten, immer dichterer Verkehr, man sollte in Infrastruktur in den Städten investieren, um die Mieten zu reduzieren in den Städten. Man sollte Gegenden freigeben für neue Wohnungen. Man sollte in entsprechende öffentliche Verkehrsmittel investieren. Das wären sinnvolle Investitionen, nicht unbedingt jetzt eine Bahnlinie dort zu bauen, wo am Ende niemand damit fährt.
May: Aber das heißt im Umkehrschluss, dass Investitionen in strukturschwache Gebiete grundsätzlich immer falsch sind und sich nur politisch rechtfertigen lassen?
Gropp: Das ist eine politische Entscheidung und ich kann auch nachvollziehen, warum man das im Moment macht. Man hat große Angst davor, dass die AfD stärkste Partei wird in Ostdeutschland, und das halte ich auch nicht für wünschenswert. Allerdings ist es aus ökonomischer Sicht einfach ein Fehler, und wir machen das im Moment zum Teil auch einfach deshalb, weil wir das Geld haben. Aber vielleicht wäre es sinnvoller gewesen, dort zu investieren, wo der Ertrag der Investitionen höher ist, und nicht, wo er am niedrigsten ist.
May: Und wo wäre er am höchsten? In den Städten dann?
Gropp: Ich möchte jetzt wegkommen von dem Wort Stadt. Es gibt in Ostdeutschland sowieso relativ wenig Ballungsräume, wie Sie ja wissen. Es gibt am Ende ja nur Berlin, Halle, Leipzig, Dresden und noch einige andere, aber es ist relativ dünner besiedelt als der Westen. Da sollte man schon versuchen zu investieren, um dort attraktiver zu werden für die neue Wirtschaft, und die neue Wirtschaft wird nicht getrieben sein von staatlichen Entscheidungen, sondern die wird getrieben sein von den Entscheidungen einzelner Unternehmer, von Startups, von solchen Menschen, die etwas bewegen wollen, und diese Menschen muss man überhaupt erst mal in den Osten bekommen. Berlin ist da erfolgreich gewesen. Wir müssen aber sehen, dass wir auch in anderen Regionen erfolgreicher sind. Da geht es nicht nur um Leipzig, sondern da geht es um Leipzig, Halle, Delitzsch und andere umliegende Gemeinden. Das wäre tatsächlich eine sinnvolle Infrastruktur-Investition.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.