Archiv

Folgen der Causa Edathy
"Dieser Vertrauensbruch ist schwer zu kitten"

Die SPD habe im Fall Edathy das Vertrauen des Koalitionspartners schwer verletzt, sagte der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte im Deutschlandfunk. Die Partei müsse nun dringend klären, wie sie es wieder herstellen könne. Denn jeder werde sich nun überlegen, wen er noch einweihen könne.

Karl-Rudolf Korte im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: Möglicherweise sind die Folgen der Edathy-Affäre auf die Große Koalition noch nicht vorbei. Wir ordnen das ein mit Professor Karl-Rudolf Korte. Er ist Politikwissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen. Guten Tag, Herr Korte!
    Karl-Rudolf Korte: Tag, Frau Engels!
    Engels: Ich geb den O-Ton von Herrn Seehofer noch mal wieder: "Jetzt stellen sich viele Fragen an die SPD zu den Widersprüchlichkeiten ihres Tuns.". Welche Frage muss die SPD am dringlichsten beantworten?
    Korte: Ja, wie sie das Vertrauen wiederherstellt zum Koalitionspartner, denn Koalitionen kommen nicht nur zustande, weil man sich über Themen einigt, sondern weil man sich wechselseitig tiefstes Vertrauen zubilligt, dass Vier-Augen-Gespräche eben auch geheim bleiben und nicht weitertransportiert werden. Das setzt Integrität in den Partner oder Glauben in die Integrität des Partners voraus, und das ist eigentlich auch das, was eine Koalition zusammenhält. Und das ist im Moment brüchig. Denn ich glaube, dass zwischen den Parteivorsitzenden das zu hundert Prozent gilt, aber auf den Ebenen darunter offenbar nicht.
    "Es gibt ja verschiedene Empörungsangebote in diesem Themenkomplex"
    Engels: Wir haben es gerade aus Bamberg gehört, in der CSU läuft man sich warm gegen Fraktionschef Oppermann. Das war derjenige, der diesen Informationsfluss überhaupt bekannt gemacht hat. Kann er sich im Amt halten?
    Korte: Das werden die nächsten Tage zeigen, ob noch die ein oder andere Information darüber klarer herauskommt, denn es gibt ja verschiedene Empörungsangebote in diesem Themenkomplex, in dem viele miteinander verwoben sind. Oppermann selbst ist ja kein Amtsträger, kann also keine Dienstgeheimnisse … auch rechtlich gegenüber anderen belangt werden, dass er Dienstgeheimnisse weitergegeben hat, aber das klingt wie stille Post. Warum hat er sich veranlasst gesehen, so zu agieren, wie er agiert hat? Das ist, glaube ich, aus Sicht des Koalitionspartners klarer für den Koalitionspartner herauszuarbeiten. Ich glaube nicht, dass er sich im Moment einfach zurücklehnt und damit zufriedengibt.
    Thomas Oppermann, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion
    Thomas Oppermann steht in der Kritik (dpa / Karlheinz Schindler)
    "Es gibt so eine Grammatik der Skandale"
    Engels: Oppermann sagt heute in der "Süddeutschen Zeitung", er habe seine Erklärung mit Friedrich abgestimmt, hat folglich vielleicht doch der Minister Friedrich unterschätzt, welches die Folgen für ihn sein könnten und kann man daraus nun wirklich Oppermann einen Strick drehen, der ja dann nur aus Parteiusancen zurücktreten müsste und nicht, wie Sie zu Recht sagen, aufgrund einer konkreten Verfehlung?
    Korte: Ja, also wenn das sich bewahrheitet, dass beide eine geradezu abgestimmte Erklärung dazu abgegeben haben, dann ist die Empörung im Prinzip unbegründet, dann müssten andere Aspekte ins Spiel kommen, dass er noch andere informiert hat, von denen wir es vielleicht nicht wissen. Aber sollte diese Erklärung im Detail abgestimmt sein, müsste das eigentlich für beide Seiten auch so akzeptabel sein. Und dann sehe ich keinen weiteren Konsequenzen. Es ist oft so, dass es Kollateralfolgen gibt, sachfremde Konsequenzen, die dazu führen, dass Einzelne zurücktreten, die am Ende vielleicht mit der Sache nichts zu tun haben. Es gibt so eine Grammatik der Skandale, am Ende geht es nie mehr um den Skandal selbst, sondern um weitere Dinge, die damit zusammenhängen, in der Regel um die Kommunikation dieser Skandale. Und so kann das durchaus sein und passt auch in die Geschichte der Skandale, dass einer zurücktritt, und ja, die Ursache oder der Urgrund, hier der Vorsitzende des NSU-Ausschusses, Edathy, dann in Vergessenheit gerät.
    Engels: Das heißt, es könnte passieren, um das Koalitionsklima zu retten, dass jemand von der SPD zum Bauernopfer werden muss?
    Korte: Nein, das wäre eine Konsequenz, die sicherlich im Moment parteitagsgestützt - das ist auch so eine Eigendynamik, die so ein kleiner Parteitag hat - man heute fordert. Ich sehe im Moment hier nicht die Notwendigkeit, eher wenn andere Informationen noch klarer werden, noch weitere Gespräche, die vielleicht Herr Oppermann dazu geführt hat und dann eine Konsequenz sich daraus erwachsen könnte. Also ich sehe im Moment, wenn das stimmt, abgestimmte Erklärungen abgegeben zu haben, nicht die Notwendigkeit.
    "Eine Bruchlinie der Koalition getroffen"
    Engels: Nun ist es ja so - Sie haben eben auch von Kollateralschäden gesprochen -, dass auch die grundsätzliche Frage dahinter jetzt viele interessiert. Kann man davon ausgehen, dass es üblich ist, unter Politikern auch schon mal Informationen, vielleicht unter Verletzung eines Dienstgeheimnisses, auszutauschen im Vertrauen auf volle Vertraulichkeit, es darf halt nur nicht auffliegen?
    Korte: Das ist der Kernbestand für die Arbeitsfähigkeit von Partnern, auch in Koalitionen. Da werden Informationen weitergegeben unter der Maßgabe der Vertraulichkeit. Wenn das gebrochen wird, arbeitet man nicht mehr zusammen oder antizipiert das für jede weitere Stunde, die auf einen zukommt. Und insofern ist hier eine Bruchlinie der Koalition getroffen worden, jeder weitere wird sich jetzt überlegen, wen er noch einweihen kann, weil offenbar es Mechanismen gibt, etwas weiterzutragen. Das ist eine doch tiefere Verletzung, ein Vertrauensbruch, der nicht einfach zu kitten ist, weil man im Bewusstsein der letzten Tage damit rechnen muss, dass all das, was ich jetzt sage, doch nicht vertraulich bleibt. Also es geht nicht um die alltägliche Naivität, dass in Berlin ganz viel rauskommt - manches soll ja auch rauskommen, je geheimer man es auch etikettiert -, aber in den Vier-Augen-Konstellationen in der Regel nicht, da gilt diese Regel, und dieser Vertrauensbruch ist schwer zu kitten.
    Engels: Bruchlinien sagen Sie, heißt, die Halbwertzeit einer Großen Koalition hat sich verkürzt?
    Korte: Nein, solange praktisch vertrauensbildende Maßnahmen jetzt noch mal gestartet werden, man kann nicht schon wieder eine Klausurtagung ansetzen, aber die Parteivorsitzenden müssen dieses Thema aufarbeiten, neues Vertrauen aufarbeiten auf der Ebene darunter und letztlich auch das Kabinettsprinzip stärken.
    Engels: Karl-Rudolf Korte, Politikwissenschaftler von der Universität Duisburg-Essen. Wir ordneten mit ihm die Entwicklungen nach dem Rücktritt Friedrichs ein. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Mittag!
    Korte: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.