Der Satz, der den Politikwechsel markiert, ist keine zwei Sekunden lang: "Das andere geht jetzt erst mal vor." Diese 1,7 Sekunden markieren eine Wende: Angela Merkel kippt die schwarze Null - zumindest solange die Corona-Krise nicht gebannt ist und der Staat mit Milliardenbeträgen in die Vollen geht, um sowohl die Epidemie selbst zu bekämpfen als auch die Wirtschaft vor dem Absturz zu bewahren.
"Wir tun, was notwendig ist. Der Haushaltsausschuss hat schon eine Milliarde mehr freigegeben, um ins Gesundheitswesen zu investieren. Da werden wir nicht jeden Tag fragen, was bedeutet das jetzt für unser Defizit. Wir werden das, was notwendig ist, tun - und dann werden wir am Ende schauen, was das zu bedeuten hat für unseren Haushalt. Das andere geht jetzt erst mal vor."
Konjunkturspritzen gefordert
Bei diesem Abschied von der schwarzen Null kann sich Merkel sowohl auf die Schuldenbremse im Grundgesetz als auch auf den europäischen Stabilitätspakt beziehen. Beide erlauben es, in einer außergewöhnlichen Notfallsituation nicht nur die in Deutschland prall gefüllten Rücklagen in den Sozialversicherungen und die Reserven im Bundeshaushalt anzuzapfen, sondern notfalls auch neue Kredite aufzunehmen. Genau das - den Abschied von der schwarzen Null, hatten am Vormittag auch sieben führende deutsche Wirtschaftsforscher gefordert:
"Eine solche Ausnahmesituation ist nicht die Stunde der Regeln, sondern die Stunde der Politik", hatte etwa Michel Hüther, der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, gesagt und damit den Ton gesetzt: Der Staat muss zur Bekämpfung der Corona-Krise mehr tun als bisher angekündigt oder schon beschlossen wurde.
Bei Virus-Gegenmaßnahmen nicht aufs Geld schauen
Die Situation sei vergleichbar mit dem 'Whatever-It-Takes'-Auftritt des früheren EZB-Präsidenten Draghi im Juli 2012. Damals hatte Draghi mit seiner Rede in London die Finanzmärkte beruhigt, indem er versicherte, die EZB sei bereit, alles zu tun - 'Whatever It Takes' - um den Euro zu erhalten. Und deshalb mahnen die Ökonomen ausdrücklich, bei allen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus jetzt nicht aufs Geld zu schauen. Sonst werde nicht nur die Zahl der Erkrankungen noch viel größer, so der Ökonom Jens Südekum:
"Dann bekommen wir es morgen mit drastischeren Quarantänemaßnahmen zu tun und weitaus drastischeren ökonomischen Kosten zu tun als es heute der Fall wäre."
Kurzarbeitergeld und andere Sofortprogramme
Ausdrücklich begrüßen die Ökonomen , dass die Bundesregierung den Bezug von Kurzarbeitergeld vereinfachen will. Doch sie fordern weitere Sofort-Maßnahmen, so Peter Bofinger von der Uni Würzburg:
"Als eine einfache und schnell wirkende Lösung schlagen wir eine zinslose Stundung aller fälligen Vorauszahlungen bei der Einkommens-, Körperschafts- und Umsatzsteuer vor. Diese Stundung soll so lange gelten, bis die Virusinfektion in Deutschland flächendeckend abgeklungen ist."
Abbau des Soli vorziehen
Außerdem fordern Ökonomen, den für Anfang nächsten Jahrs geplanten teilweisen Abbau des Soli auf den ersten Juli vorzuziehen - eine Maßnahme, die noch am Wochenende am Nein von CDU und CSU gescheitert war. Als letztes Mittel käme für die Ökonomen auch ein Rettungsfonds in Frage. Dann könnte sich der Staat wie bei der Bankenkrise vor zehn Jahren an Unternehmen, die durch Corona in eine Schieflage gekommen sind, direkt beteiligen oder diese gar übernehmen.
Damit es so weit gar nicht erst kommt, schlagen die Ökonomen kurzfristig vor allem vor, den sogenannten Verlustrücktrag bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer auf als mehr als eine Million Euro auszuweiten: Wer jetzt Corona-bedingt Verluste macht, soll diese mit Gewinnen aus Vorjahr verrechnen können, sodass jetzt weniger Steuern zu zahlen sind. Auch eine zeitlich befristete Senkung der Einkommen- und Körperschaftsteuer um bis zu zehn Prozent wäre denkbar. Immer geht es den Wirtschaftsforschern darum, möglichst viel Liquidität in den Unternehmen zu belassen. Solche Maßnahmen will die Bundesregierung noch am Freitag verkünden, derzeit läuft die Abstimmung zwischen Wirtschaftsminister Altmaier und Finanzminister Scholz.