Folgen der Corona-Pandemie
In der Krise zeigt sich die soziale Ungleichheit beim Wohnen

Die eigenen vier Wände: sie können Traum sein – oder Albtraum. Das wird noch deutlicher angesichts der geltenden Ausgangsbeschränkungen. Wer viel verdient, hat Glück – lebt auf großem Raum, mit Garten, Terrasse. Wer wenig verdient, lebt auf engem, dunklen Raum. Verschärft die Coronakrise die soziale Frage Wohnen?

Von Sina Fröhndrich |
    Mietwohnungen in München
    Wer hat mehr Platz in seiner Wohnung? (dpa - picture alliance / Sven Simon)
    Eigentum verpflichtet - und Eigentum verschafft auch Platz. Wer gut verdient, wer etwas besitzt, wohnt großzügiger und meist auch schöner. Wer dagegen wenig verdient, bewohnt eher dunklen und kleinen Raum – und mietet auch eher. Diese Annahmen liegen nahe – doch was sagt die Statistik dazu?
    Coronavirus
    Alle Beiträge zum Thema Coronavirus (imago / Science Photo Library)
    "Der Zusammenhang zwischen Lebenszufriedenheit und der Wohnsituation ist in vielen Studien gut dokumentiert", sagte Claus Michelsen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung gegenüber dem Deutschlandfunk. "Die Wohnqualität ist in Schichten mit geringen Einkommen deutlich niedriger als bei Haushalten mit überdurchschnittlichen Einkommen." Wer wenig verdiene, weiche daher häufiger in den öffentlichen Raum aus – was durch die Corona-Maßnahmen allerdings erschwert wird.
    Sonnenuntergang im Bankenviertel von Frankfurt, in der Mitte die Commerzbank, vorne die Paulskirche.
    Ende eines rasanten Wachstums im Immobilienmarkt
    Die Immobilienpreise sind in den vergangenen Jahren rasant gestiegen. Mit der Coronakrise drohen Mietausfälle und Verzögerungen auf den Baustellen. Ökonomen sehen daher eine Wende auf dem Markt.
    Wer besitzt, hat Garten, wer mietet, hat maximal einen Balkon
    Auch der Immobilienökonom Pekka Sagner vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln hat sich die entsprechenden Daten angesehen. Demnach hat immerhin die Mehrheit in Deutschland Zugang zu einem Balkon oder einer Terrasse – es sind mehr als vier Fünftel.
    Allerdings: Einen eigenen Garten haben zwar 90 Prozent aller Eigentümer und Eigentümerinnen, unter Mietenden sind es aber deutlich weniger mit 40 Prozent. Pekka Sagner hat Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) aus dem Jahr 2018 ausgewertet.
    Grafik: Wer hat einen Garten im Vergleich Eigentümer / Mieter
    Grafik: Wer hat einen Garten im Vergleich Eigentümer / Mieter (Deutschlandradio / Sozio-oekonomisches Panel / Andrea Kampmann)
    Auch bei Balkonen sieht es ähnlich aus: Dreiviertel aller Mietwohnungen haben einen Balkon, bei Eigentum sind es 90 Prozent. "Diese Differenzen zwischen Mietern und Eigentümern sind auf die bewohnten Wohnungstypen zurückzuführen", erklärte Pekka Sagner gegenüber dem Dlf. Mieter wohnen typischerweise in Mehrfamilienhäusern, Eigentümer in freistehenden Ein- oder Zweifamilienhäusern oder Reihenhäusern.
    Grafik: Wer hat einen Balkon oder eine Terasse im Vergleich Eigentümer / Mieter
    Grafik: Wer hat einen Balkon oder eine Terasse im Vergleich Eigentümer / Mieter (Deutschlandradio / Sozio-oekonomisches Panel / Andrea Kampmann)
    Doch der Ökonom weist auch darauf hin: Ob Garten oder Balkon vorhanden seien, hänge auch vom Wohnort ab. In den Großstädten haben nur rund 35 Prozent der Einwohner Zugang zu einem eigenen Garten, in den kleineren Gemeinden seien es bis zu 90 Prozent.
    Raten für Immobilienkredite aussetzen
    Wer die Kreditrate für das Haus oder die Wohnung in der Coronakrise nicht mehr leisten kann, hat das Recht die Zahlungen aufzuschieben. Immobilienbesitzer sollten möglichst früh mit ihrer Bank in Kontakt treten.
    Stadtmenschen wohnen kleiner - und können zudem nicht mehr alle urbanen Vorteile nutzen
    Auch beim Platz in den Wohnungen gibt es erhebliche Unterschiede, sagt Claus Michelsen vom DIW. Es zeige sich, wer ein Eigenheim besitze – und das seien typischerweise die oberen Einkommensgruppen – der habe auch mehr Fläche zur Verfügung. "Dort stehen jedem Mitglied einer Familie rund 34 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung - bei Mieterfamilien sind dies durchschnittlich zehn Quadratmeter weniger." Das bleibe in Coronazeiten nicht folgenlos: "Wer privat über größeren Freiraum genießt, dem schlägt die derzeitige Krise auch weniger auf das Gemüt", so Michelsen.
    Grafik: Einkommen im Verhältnis zur Quadratmeterzahl
    Einkommen im Verhältnis zur Quadratmeterzahl* (Deutschlandradio / Statista / Andrea Kampmann)
    Er sieht in der Wohnsituation ein Problem für die Chancengerechtigkeit: Fehlende Möglichkeiten, sich aus dem Weg zu gehen, kein Zugang zu öffentlichen Flächen, Freizeiteinrichtungen und Bildungsangeboten beeinflussten die Lebenszufriedenheit, aber auch die Gesundheit der betroffenen Haushalte.
    Eine ältere Dame mit Mundschutz sitzt alleine auf einem Bett. Auch in Bogota, Kolumbien werden alle älteren Menschen ab 70 Jahren gebeten, ihr Haus nicht zu verlassen. 18. März 2020
    Strategien gegen Angst und Einsamkeit
    Das Coronavirus fordert in Deutschland auch eine Abkehr von bisher ganz selbstverständlichen Dingen des gemeinsamen Lebens – mit Folgen für die Psyche. Tipps gegen die Angst und die Einsamkeit.
    Auch zwischen Stadt und Land tun sich Unterschiede auf: Stadtmenschen wohnen kleiner und zahlen mehr für den Quadratmeter. Dies werde normalerweise in Kauf genommen – weil Arbeits- und Studienplätze nah und das Freizeitangebot hoch seien. Doch das, was Städte normalerweise beliebt mache, werde durch die Coronakrise obsolet, sagt der Immobilienökonom Sagner: "Eine Vielzahl der Umzüge geschieht berufsbedingt, die Nähe zum Arbeitsplatz ist somit ein entscheidendes Kriterium bei der Wohnungswahl - in der Coronakrise ist diese Distanz für viele Personen irrelevant geworden. Auch das Nutzen beliebter Freizeitangebote muss im Moment ausbleiben."
    Mieterbund: Wohnungslose sind die Verlierer
    Balkon oder nicht Balkon, große oder kleine Wohnung – für Wohnungslose ist das ein Luxusproblem. Darauf weist der deutsche Mieterbund hin. "Die Coronakrise macht sehr eindrücklich klar, wie wichtig ein angemessenes Dach über dem Kopf ist", erklärte Jutta Hartmann vom Mieterbund gegenüber dem Dlf. "Wohnen ist essentiell. Menschen, die kein angemessenes Dach über dem Kopf haben, in Sammelunterkünften leben müssen oder von Räumungen bedroht sind, leiden besonders." Denn sie seien dem Virus noch hilfloser ausgesetzt, als all jene, die sich gesichert ins Private zurückziehen können.
    Obdachlose, die Letzten auf der Straße
    Viele Notunterkünfte sind wegen der Corona-Pandemie geschlossen. Auf den Straßen gibt es kaum noch Menschen – also auch viel weniger Spenden. Gleichzeitig ist der politische Wille, den Menschen zu helfen, so groß wie lange nicht mehr.

    *Anmerkung der Redaktion: An dieser Stelle haben wir die Grafik aktualisiert, weil in der vorigen Fassung eine falsche Zahl für eine der fünf Kategorien angegeben war.