Deutschland übernimmt ab dem 1. Juli für ein halbes Jahr den Vorsitz im Rat der Europäischen Union. Vor dem EU-Gipfel verteidigte Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Regierungserklärung auch den deutsch-französischen Vorschlag für ein 500-Milliarden-Euro-Programm zum Wiederaufbau in der Coronakrise.
Florian Hahn (CSU), Obmann der Unions-Bundestagsfraktion im Europaausschuss des Deutschen Bundestages, sagte im Deutschlandfunk, es gehe nun darum, aus der Krise rauszukommen. Es sei deshalb wichtig, Impulse zu setzen, um die Märkte wieder in Bewegung zu bringen. Man müsse Massenarbeitslosigkeit verhindern.
Das Interview im Wortlaut:
Christoph Heinemann: Herr Hahn, wird die deutsche eine Ratspräsidentschaft der Schulden?
Florian Hahn: Nein. Diese Ratspräsidentschaft wird eine Ratspräsidentschaft der Krisenbewältigung – einer der größten Krisen, die wir in der Nachkriegszeit überhaupt erlebt haben, und vor allem einer Krise, die wir nicht selbst verschuldet haben, sondern die bedingt ist durch einen Virus, der uns alle heimgesucht hat.
Heinemann: Frau Merkel und Herr Macron planen mit 500 Milliarden Euro, die EU-Kommissionspräsidentin mit 750 Milliarden, das Europäische Parlament mit zwei Billionen. Die deutschen EU-Beiträge sollen um 40 Prozent erhöht werden. Die EZB-Anleiheprogramme sollen auf rund 1200 Milliarden Euro aufgestockt werden. Und jetzt haben wir noch nicht gesprochen über den Nachtragshaushalt von 220 Milliarden Euro. Wer soll das bezahlen?
Hahn: Das sind gewaltige Summen, das ist gar keine Frage. Aber es geht jetzt wirklich darum, tatsächlich aus dieser Krise rauszukommen, deren Folgen wir ja noch gar nicht richtig erleben, die erst noch kommen werden. Deswegen ist es jetzt wichtig, tatsächlich Impulse zu setzen, die dazu führen, dass wir die Märkte wieder anfachen können, dass tatsächlich wieder Bewegung kommt, dass wir aus diesem Stillstand rauskommen. Es gilt zu verhindern, dass wir Massenarbeitslosigkeit sonst bekommen. Es gilt zu verhindern, dass wir Failing States in Europa haben. Deswegen ist das in einem europäischen Kontext, diese Aufwendungen sind notwendig.
"Es geht auch um die Zukunft meiner Kinder"
Heinemann: Warum belasten Sie die junge Generation, die diese Zeche zahlen muss?
Hahn: Na ja. Es geht ja um die Zukunft dieser jungen Generation. Es geht um die Zukunft auch meiner Kinder. Deswegen müssen wir jetzt Dinge anpacken, damit diese Zukunft tatsächlich gesichert ist.
Heinemann: Indem Sie Ihren Kindern Schuldenberge hinterlassen?
Hahn: Dazu gehört auch, dass wir Europa am Laufen halten, dass wir dafür sorgen, dass wir jetzt nicht wirtschaftlich komplett abstürzen.
Heinemann: Herr Hahn, die Rückzahlungen sollen erst im übernächsten Sieben-Jahres-Haushaltsplan beginnen, also erst ab 2028. Wir wollen hören, was der Europapolitiker Daniel Caspary von der CDU heute Früh bei uns im Deutschlandfunk dazu gesagt hat.
O-Ton Daniel Caspary: "Es muss aus meiner Sicht sichergestellt sein, dass die gleichen Staats- und Regierungschefs und das gleiche Europäische Parlament und die gleiche Europäische Kommission, die entscheiden, wie diese Gelder ausgegeben werden – das müssen die gleichen sein, die bitte auch entscheiden und sicherstellen, dass diese Gelder am Ende auch zurückgezahlt werden können, und zwar nicht erst ab 2028, sondern aus meiner Sicht auch schon ein, zwei, drei Jahre früher."
"Im jetzigen Haushalt mit der Rückzahlung beginnen"
Heinemann: Aus Ihrer Sicht auch?
Hahn: Daniel Caspary hat hier absolut recht. Ich halte es für nicht besonders vertrauenswürdig auch, wenn wir die Rückzahlung in die Zukunft, wenn diese ganzen Staatschefs aller Voraussicht nach gar nicht mehr in Amt und Würden sind, verschieben, sondern im jetzigen Haushalt muss mit der Rückzahlung schon begonnen werden.
Heinemann: Werden Sie Ihre Zustimmung daran koppeln?
Hahn: Wir werden das sehen, wie sich jetzt die Diskussion entwickelt. Ich bin da sehr gespannt. Aber das ist auf jeden Fall eine Forderung der Union und die werden wir natürlich auch tatkräftig vorantreiben.
Heinemann: Wie wollen Sie die skeptischen EU-Regierungen überzeugen?
Hahn: Ich glaube, dass alle 27 Regierungen gleiche Interessen verbinden, und das ist, einmal Europa zusammenzuhalten und zweitens tatsächlich klug mit der aktuellen Krise umzugehen und zu überlegen, wie wir gemeinsam rauskommen. Das muss miteinander diskutiert werden und verhandelt werden, aber ich glaube, es sind sich alle klar, dass wir das nur können, wenn wir auch wirklich investieren, wenn wir dafür sorgen, dass der Motor nicht komplett abstirbt.
"Wir gehören schon auch zu den Sparsamen"
Heinemann: Warum gibt es in der EU nur vier sparsame, also 23 nicht sparsame Regierungen?
Hahn: Na ja, das würde ich so nicht sagen. Gerade Deutschland hat in den letzten Jahren gespart. Wir hatten ausgeglichene Haushalte. Wir gehören schon auch zu den Sparsamen. Aber wir sind auch bereit zu sagen, jetzt müssen wir Ländern helfen, die wie wir auch ohne eigenes Verschulden in große Probleme gekommen sind, und da geht es jetzt darum zu überlegen, wie das am besten organisiert wird, ob das über Schulden passiert, über Kredite etc. Das müssen wir miteinander diskutieren. Ich bin aber guten Mutes, dass wir da zu einem guten Kompromiss kommen werden.
Heinemann: Das eigene Verschulden ist ja durchaus fraglich. Wieso koppelt man Finanzhilfen nicht an strikte Reformauflagen?
Hahn: Das eigene Verschulden bei Corona steht, glaube ich, nicht zur Frage. Das ist ja die Außergewöhnlichkeit dieser Krise. Wir haben das alle nicht kommen sehen und jetzt gilt es, solidarisch zu sein auch mit den Ländern, die davon besonders hart getroffen worden sind, wie beispielsweise unser EU-Partner Italien oder Spanien. Das ist auf der einen Seite.
Auf der anderen Seite müssen wir dafür sorgen, dass die Gelder, die uns zur Verfügung gestellt werden, tatsächlich auch richtig ausgegeben werden, und hier treten wir auch dafür ein, dass es hier ganz klare Vereinbarungen gibt, dass wir hier nicht nur einfach Haushaltszuschüsse leisten, sondern dass das tatsächlich auch in die Bewältigung der Krise führt.
"Freien Binnenmarkt kräftig unterstützen"
Heinemann: Deutschland hat eine geringere Wohneigentumsquote, verglichen mit Italien und Spanien. Das durchschnittliche Privatvermögen in Frankreich und Spanien ist höher als in Deutschland. Französinnen und Franzosen gehen früher in Rente als die Menschen in Deutschland. Was antworten Sie jenen, die fragen, wieso müssen wir diesen Staaten helfen?
Hahn: Na ja, weil wir natürlich unglaublich profitieren von der Europäischen Union, von einem gemeinsamen Binnenmarkt. Wir sind ja keine nationale Ökonomie, die autark ist und von sich selbst leben kann. Unser Wohlstand kommt in der Hauptsache, zu 60 Prozent aller Exporte aus der Europäischen Union. Deswegen haben wir ein großes Interesse, dass diese Länder nicht ins Bodenlose fallen, sondern dass wir das zusammenhalten und diesen freien Binnenmarkt kräftig unterstützen.
Heinemann: Aber noch mal zu diesem Thema. Emmanuel Macron hat gerade die Erhöhung des Renteneintrittsalters zurückgenommen. Spanien hat gerade ein an Bedingungen gekoppeltes Grundeinkommen, diesen Ingreso Minimo Vital beschlossen. Offenbar ist ja in beiden Ländern noch Geld übrig.
Union: "Gegen Vergemeinschaftung der Sozialsysteme in Europa"
Hahn: Das sind genau die Gründe, warum wir uns als Union immer gegen eine Vergemeinschaftung der Sozialsysteme in Europa gestellt haben, weil wir diese Unterschiede sehen, sie auch nicht gutheißen. Da muss man auch aufpassen und natürlich muss man, wenn so viel Geld auf den Tisch gelegt wird, das auch als Druckmittel nehmen, tatsächlich Reformen, die in vielen Ländern dringend notwendig sind, zu motivieren, diese endlich anzupacken.
Heinemann: Statt der Vergemeinschaftung der Sozialsysteme befürworten Sie jetzt die Vergemeinschaftung von Schulden.
Hahn: Nein, das tun wir exakt nicht, denn die Deutschen sind da für ihren Anteil haftbar, aber nicht für die Gesamtschulden, die aufgenommen werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.