Wann kriegen wir wieder unser altes Leben zurück? Auch in Schleswig-Holstein stellen sich viele Menschen diese Frage. Erst recht jetzt, wo der Frühling losgeht. Viele Landwirte dürfte noch eine andere Frage beschäftigen: Wer hilft uns bei der Ernte?
In Schleswig-Holstein sollen auch Zugewanderte und Geflüchtete die Nöte der Bauern lindern. Das Schleswig-Holsteinische Innenministerium und die Arbeitsagentur haben die Regeln vereinfacht, damit Flüchtlinge schneller einen Job auf den Feldern übernehmen können. Für Martin Link, Geschäftsführer des Flüchtlingsrat Schleswig Holstein, ist das erst einmal eine gute Nachricht:
"Wir haben uns sehr gefreut, dass die Flüchtlinge und die Geflüchteten eben auch in den Fokus gekommen sind, dass sie Arbeit bekommen können über diesen Erntehilfsbedarf."
Neue Rechte auf Zeit
Trotzdem bereiten ihm die neuen Regeln Bauchschmerzen. Erst kürzlich warnte Link gemeinsam mit dem niedersächsischen Flüchtlingsrat davor, Asylsuchende plötzlich in der Krise als billige Arbeitskräfte zu entdecken. Ihnen jetzt Rechte zuzugestehen, die sie aber mit dem Ende der Krise schnell wieder verlieren würden: Wer jetzt bereit sei, einen Job in der Landwirtschaft zu übernehmen, sollte erst recht die Chance auf eine Bleibeperspektive bekommen. Doch das sähen die neuen Regeln nicht vor, sagt Link. Sie richteten sich vor allem an Flüchtlinge mit einer guten Bleibeperspektive.
Weitestgehend außen vor blieben alleine in Schleswig-Holstein rund 10.000 Geduldete. Also Personen, die kein Asyl erhalten und die trotzdem nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren können. "Das sind Menschen mit einem hohen Potenzial oder einer hohen Motivation, sich in Arbeit zu integrieren oder in Ausbildung zu integrieren."
Widersprüche aus dem Weg räumen
Auch bezweifelt Link, dass eine mögliche Tätigkeit als Saisonkraft am Ende auch wirklich in den Aufenthaltspapieren der geflüchteten Person erwähnt wird. Er fordert die Landesregierung auf, Widersprüche aus dem Weg zu räumen. "Ihnen wird der Zugang zum Arbeitsmarkt verbaut und gleichzeitig wirft man ihnen vor, dass sie nur in der sozialen Hängematte liegen."
Das Schleswig-Holsteinische Innenministerium gleicht in diesen Tagen einem Geisterhaus. Auch hier sind die meisten Mitarbeiter im Homeoffice. Nur ein paar Dutzend harren aus in dem nüchternen Backsteinbau an der Kieler Förde. Darunter auch Innenstaatssekretär Torsten Geerdts.
Vor seinem Büro hängt eine Tafel mit den "Leitlinien der Flüchtlings- und Integrationspolitik in Schleswig-Holstein. Ein Punkt lautet "Integration lohnt sich". Ein anderer "Gleiche Chancen für alle". Torsten Geerdts sieht in dem neuen Erlass seines Hauses nicht nur eine gute Unterstützung für die Bauern.
"Ich glaube, das wäre auch ein gutes Zeichen insgesamt, dass wir die Menschen, die zugewandert sind, doch dann brauchen."
Doch der CDU-Politiker räumt auch ein, dass die Regelung nur ein erster Schritt sein kann: "Das Thema war zunächst sehr umstritten. Es gab einige Leute, die gesagt haben, wir wollen dieses Zeichen überhaupt nicht setzen. Andere, die gesagt haben, lasst uns die Türen komplett öffnen, und das ist jetzt erst einmal der Kompromiss."
Auch andere Branchen für Geflüchtete öffnen
Schleswig-Holsteins Innenstaatssekretär hofft darauf, dass Geflüchtete nicht nur leichter Erntehelfer werden. Sondern dass sie auch in anderen Bereichen des Arbeitsmarkts Fuß fassen und dadurch eine dauerhafte Bleibeperspektive erhalten können.
Geerdts verweist auf die bereits 2018 diskutierte Idee des Spurwechsels. Die baden-württembergische Landesregierung sei dabei, hierzu eine neue Bundesratsinitiative anzustoßen. Die könnte auch von der in Kiel regierenden Jamaika-Koalition unterstützt werden.
"Dass wir den Menschen, die zu uns gekommen sind und wo wir merken, Mensch, die sind vielleicht im falschen System, nämlich im System der Asylbewerber gelandet. Aber sie gehören in ein System der Zuwanderung hinein. Dass wir denen die Chance geben, einmalig wechseln zu können."
Verhaltene Erwartungen bei den Bauern
Auch der Deutsche Bauerverband hat in den letzten Wochen dafür getrommelt, den Weg für Geflüchtete als Erntehelfer zu vereinfachen. Doch die Erwartungen an die zuletzt getroffenen Lockerungen klingen zurückhaltend. Das zahlenmäßig größere inländische Potenzial liege bei Studenten und Kurzarbeitern, heißt es vom Bauernverband aus Berlin.
Auch Herbert Brücker sieht nur begrenzt Chancen, dass Geflüchtete jetzt die personellen Engpässe der Landwirte lindern. Brücker leitet am Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung den Bereich Migration, Integration und Internationale Arbeitsmarktforschung. Er verweist auf die landwirtschaftlichen Erfahrungen und Fähigkeiten, die viele Saisonkräfte aus Rumänien und der Ukraine bisher mit nach Deutschland gebracht hätten.
"Und man kann auch nicht einfach Arbeitskräfte von einem Job zu dem anderen hinübertransportieren, das wissen wir aus anderen Erfahrungen mit Langzeitarbeitslosen, das funktioniert nicht so ganz einfach."
Der Großteil der knapp 1,8 Millionen Schutzsuchenden in Deutschland dürfe schon heute nach drei Monaten arbeiten. Die eigentliche Herausforderung sieht er darin, sie auch in landwirtschaftliche Jobs zu vermitteln. Doch auch Brücker glaubt, dass das Angebot eines Spurwechsels an die etwa 200.000 Geduldeten in Deutschland eine Chance für die Landwirtschaft sein könnte.
"Man könnte ähnlich argumentieren für Gesundheitsberufe oder andere systemrelevante Berufe: Wenn ihr dort erwerbstätig seid, dann setzen wir erstmal die Abschiebung aus und geben euch eine befristete Aufenthaltserlaubnis. Das wäre sehr attraktiv und würde die juristische Position dieser Menschen verbessern."
"Ich halte das für ein völlig falsches Signal"
Wie hart das Leben ohne feste Bleibeperspektive ist, hat Aminata Touré viele Jahre selbst erfahren. Ihre Eltern stammen aus Mali, Touré wurde 1992 in einer Flüchtlingsunterkunft in Neumünster geboren. Heute ist sie Vizepräsidentin des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Und Flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen.
"Ich halte es für ein völlig falsches Signal, zu sagen, dass Geflüchtete oder Asylbewerberinnen jetzt einspringen sollen dort, wo wir jetzt als Gesellschaft quasi einen Bedarf sehen. Das habe ich für immer falsch gehalten und das halte ich in der derzeitigen Situation auch für falsch."
Aminata Touré hofft, dass eine neue Bundesratsinitiative zum Spurwechsel eine Chance hat. Allen Menschen müssten alle Jobs offenstehen fordert sie. Die jetzt erlassenen Regelungen für Geflüchtete als Erntehelfer können da nur ein Anfang sein.