Ist Ihnen gestern die "Titanic"-reife Gestaltung der "taz"-Titelseite aufgefallen? Da stand quer über dem Foto eines menschenleeren Stadions: "Corona, du Hurensohn!"
Nun könnte man beklagen, dass die "taz" eine unbekannte Prostituierte diskriminiert hat, indem sie das fiese Virus zum Sohn eben dieser Unbekannten erklärte. Womit das Virus selbst das Schicksal von Dietmar Hopp teilen würde, dem Portemonnaie der TSG Hoffenheim, dem Bayern-Ultras bekanntlich die gleiche Abkunft nachgesagt haben - was der geniale Spruch "Hopp, du Sohn einer Mutter!:-)" plus Smiley, ersonnen von Eintracht-Frankfurt-Fans, nicht restlos vergessen machen konnte.
Dossier - Was man zum Coronavirus wissen muss
Wie gefährlich ist das Virus? Welche Rechte haben Verbraucher und Arbeitnehmer? Und welche Folgen hat das Virus für die Wirtschaft? Wir klären die relevanten Fragen.
Wie gefährlich ist das Virus? Welche Rechte haben Verbraucher und Arbeitnehmer? Und welche Folgen hat das Virus für die Wirtschaft? Wir klären die relevanten Fragen.
Aber im Zeichen von Covid-19 ist das jetzt alles nur noch rhetorisches Pillepalle. Denn das Virus sorgt im Fußball für das Ungeheuerliche: Das Spiel, wie wir es kannten, ist erst einmal aus. Genauer: Es wird ab sofort auch hierzulande stark zunehmend in seiner unheimlichsten Gestalt durchgeführt – nämlich als Geisterspiel. Ein Name, der nicht von ungefähr kommt.
Fernsehsender könnten Corona lockerer nehmen
Wenn etwa am Wochenende Dortmund gegen Schalke kickt, werden die Spieler ständig den Geistern jener Menschen begegnen, die sonst die 81.000 leeren Plätze einnähmen. "Corona, du Spielverderber" – wäre da bloß eine spießige Verniedlichung. Besser trifft es in der Tat: "Corona, du Hurensohn!"
Auf jeden Fall gilt: Wer Geisterspiele nicht grausamer findet als Scheidung und Enterbung, der ist kein echter Fußballfan. Sondern vermutlich ein Verantwortlicher von Sky, DAZN oder Eurosport – oder welche Sender auch immer gerade irgendwelche Fußball-Fernsehrechte ihr eigen nennen.
Die Fans brauchen ja auf jeden Fall stets frischen Stoff – und wenn nicht im Stadion, dann auf der Fernseh-Couch. Insofern dürfte in den Bezahlsendern, die Fußball live zeigen, die Ausbreitung von Corona lockerer genommen werden als im Gesundheitsministerium.
Oder etwa nicht? Kommt es vielleicht ganz anders, weil sich Fußball ohne Fans als Kaiser ohne Kleider entpuppt beziehungsweise als Salz ohne Suppe, das kein Mensch lange pur konsumiert? Sagen wir: Ausschließen kann man das heute noch nicht!
Dank Corona erfährt man also, worin eigentlich die Substanz der ganzen Nummer liegt. Und diese Prüfung beschränkt sich nicht notwendigerweise auf Fußball. Wie gern sähe man etwa den feschen Florian Silbereisen vor leeren Bänken die Kunst des Sülze-Laberns zelebrieren! Aber einen derart aufregendes Experiment trauen sich leider weder Silbereisen noch der MDR zu.
Geisterspiel-Lösung für "Hart aber fair"?
Die "Schlagerloverstory" am nächsten Samstag, die als "total verliebte Frühlingsshow" mit Howard Carpendale, Marianne Rosenberg und Daniela Katzenberger ein Hochamt verfeinerter Sinnlichkeit zu werden versprach, sie wurde - liebe Schlager-Freunde, lassen Sie Ihren Tränen freien Lauf - komplett abgesagt. Und auch der RBB, obwohl von keinem Silbereisen beglänzt, hat sämtliche hausinternen Veranstaltungen mit Publikum vorerst gestrichen.
Was jedoch "Hart aber fair" in der ARD angeht, die Sendung, ohne die das politische Deutschland orientierungslos dahin taumeln müsste, hoffen wir auf eine Geisterspiel-Lösung – ähnlich wie im Fußball. Nicht länger von emotionalem Publikum gegängelt, könnten die Diskutanten freimütig versuchen, einfach mal sachlich zu diskutieren – so, als wären sie plötzlich bei Phoenix. Was umso leichter gelänge, wenn jeder drei Meter Abstand von seinen Nebenpersonen einhalten müsste, um blöde Tröpfchen-Infektionen durch feucht-erregte Aussprache oder Aufschleudern von Schaum vor dem Mund auszuschließen.
Dschungelcamp: Slogan mit neuem Klang
Insgesamt lässt sich also sagen: Fürs Fernsehen ist Corona Fluch und Segen zugleich, es kommt ganz darauf an. Am stärksten profitieren und zu einer wahrhaft seriösen Versuchsstation für menschlichen Wahnsinn werden, das könnte am ehesten die nächste Staffel des "Dschungelcamp" von RTL. Denn so viel ist klar: Würde man neben Menschen auch ein paar virile Corona-Viren ins Camp schaffen, der Slogan der Sendung bekäme einen zutiefst glaubwürdigen, unwiderstehlich existenziellen Klang: "Ich bin ein Star, holt mich hier raus."