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Folgen des EU-Abkommens mit Ankara
"Das ist nur für Syrer, nicht für andere Flüchtlinge"

Merkel dürfe bei ihrem Türkei-Besuch nicht nur das Lager in Gaziantep besuchen, sondern müsse sich auch in der Umgebung umsehen. Dort würden sich die Flüchtlinge ohne jegliche Hilfe durchschlagen, sagte die Grünen-Europaabgeordnete Barbara Lochbihler im DLF. Der EU-Deal käme nur Syrern zugute. Andere Flüchtlinge versuchten jetzt, über Ägypten oder Libyen nach Europa zu gelangen.

Barbara Lochbihler im Gespräch mit Mario Dobovisek |
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    Mario Dobovisek: Und am Telefon begrüße ich Barbara Lochbihler, Außen- und Menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen im Europaparlament. Guten Tag, Frau Lochbihler!
    Barbara Lochbihler: Guten Tag!
    Dobovisek: Bundeskanzlerin Angela Merkel könne heute in Südostanatolien viel lernen, sagt unser Türkeikorrespondent am Ende seines Berichts. Welche sollten ihre wichtigsten Lehren heute sein?
    Lochbihler: Wenn sie wirklich ehrlich und mit offenen Augen in Gaziantep ist, dann sollte sie nicht nur dieses Lager anschauen, das die EU finanziert im Rahmen des EU-Türkei-Deals, sondern sie sollte sich umschauen und wird dann das sehen, was Sie eben gerade auch angesprochen haben, dass außerhalb dieser Lager für die Flüchtlinge in der Türkei es sehr schwer ist, sich durchzuschlagen.
    "Der EU-Deal - das ist nur für Syrer, nicht für andere Flüchtlinge"
    Es gibt keine soziale Unterstützung, es ist schwierig, Arbeit zu finden, die Schulen sind überfüllt, die Krankenhäuser auch. Sie muss sich eigentlich eingestehen, dass, wenn so eine Situation auch jetzt mit diesem EU-Türkei-Deal noch mehr Flüchtlinge dorthin abschiebt, dass das keine Lösung sein kann. Und sicher ist es richtig, die Türkei finanziell zu unterstützen, dass sie die vielen Flüchtlinge, die sie aufnimmt, auch weiter aufnehmen kann – sie haben ja über zwei Millionen Flüchtlinge in den Lagern dort an der syrischen Grenze untergebracht.
    Aber sie wird eben auch sehen, wenn sie die Augen aufmacht, dass es da viele Tausende von Menschen gibt, die ohne jegliche Hilfe dort in den Städten und Dörfern leben.
    Dobovisek: Gibt es sozusagen dank des Abkommens mit der Türkei jetzt gute Flüchtlingslager und schlechte?
    Lochbihler: Zuerst waren die Flüchtlingslager, die die Türkei eingerichtet hat schon sehr lange, sehr gut geführt und auch eine große Geste der Hilfsbereitschaft und der Nachbarschaftlichkeit, das mag ich nicht kleinreden. Aber dieser EU-Deal zum Beispiel hat ja vorgesehen, dass die EU die Türkei unterstützt, Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen. Das ist positiv, aber - Komma- das ist nur für Syrer, nicht für andere Flüchtlinge.
    Man schiebt aber gleichzeitig Menschen aus Irak, aus Afghanistan, aus dem Iran von Griechenland wieder zurück in die Türkei, und die werden dort als Schutzsuchende sein ohne jegliche Hilfe.
    Dobovisek: Wir geben der Türkei ja drei Milliarden Euro nur dafür, dass sich die Lebenssituation der Flüchtlinge verbessert. Das hat Angela Merkel gesagt, bevor sie losgeflogen ist. Kommt denn das sozusagen nur bei den Flüchtlingen an, die Sie angesprochen haben, also nur den Syrern?
    Syrische Frauen, die übrigens nach den Männern dran waren, warten am 04.03.2015 vor der Essensausgabe im Flüchtlingslager im türkischen Gaziantep. Die Syrer in der Türkei sind dem Bürgerkrieg entkommen, und ihr Gastland versucht nach Kräften, ihnen zu helfen. Trotzdem ist die Lage der Flüchtlinge hoffnungslos. Foto: Can Merey/dpa)(Zum Jahrestag des Beginns des Aufstands gegen
    Syrische Frauen warten im Flüchtlingslager in Gaziantep auf Essen. ( Foto: Can Merey/dpa) (picture alliance/dpa/Can Merey)
    Lochbihler: In diesen Lagern, die organisiert sind, sind unterschiedliche. Aber die, die zurückgeschoben werden, da soll diese Hilfe nur für die Syrer gelten. Ob die Hilfe ankommt? Nun, ich war in Gaziantep, 2014, da gab es noch nicht diese drei Milliarden, aber da hat man eigentlich gesehen, dass die Lager relativ gut organisiert sind. Die türkische Regierung hat sich eben überschätzt, oder unterschätzt, dass der Krieg so lange dauern wird.
    Ich denke, sehr wichtig, und das wird man auch nachhalten können und müssen, ist, dass alle Kinder in die Schule gehen und nach einem arabischen Curriculum auch ausgebildet werden, das qualifiziert, dass sie dann auch in eine weiterführende Schule übertreten können. Ich glaube, das ist sehr wichtig. Und das muss man natürlich auch nachhalten, und sicher wird man dann von türkischer Seite einfordern, zu sehen, wo ist das Geld hingegangen, in welche Initiativen. Und es kann auch für Flüchtlinge genutzt werden, die außerhalb dieser Lager sind.
    Dobovisek: Ist das die Hauptwirkung des Flüchtlingsabkommens, dass tatsächlich auch die Zahl der Flüchtlinge, die in Griechenland angekommen sind, drastisch zurückgegangen sind? Wir können uns ja mal zwei Zahlen angucken: 20.000 pro Woche – das war der Stand, bevor das Abkommen in Kraft getreten ist. Jetzt sind wir bei ungefähr 500 pro Woche. Ist das sozusagen der Erfolg?
    Die Zahlen sind nur kurzfristig erfolgreich
    Lochbihler: Ja, Erfolg insoweit, als die türkische Regierung jetzt wahrscheinlich noch intensiver die Grenzen kontrolliert. Nicht erfolgreich ist es, wenn Sie schauen, was jetzt die Flüchtlinge machen, die in der Türkei sind. Man sieht, dass sie sich aufmachen, mit Schleppern oder ohne, zum Beispiel nach Ägypten zu kommen oder nach Libyen zu kommen, weil die Situation für sie sich ja nicht verbessert.
    Und sie haben natürlich große Sorge, dass wenn sie dort bleiben, dass sie da keine Perspektive haben. Ihr Wollen und ihre Notwendigkeit, zum Beispiel auch die Familie oder Teile der Familie, die schon in Europa und in Deutschland sind, dass sie dann nachkommen, der ist ja ungebrochen. Und deshalb werden sie das nach wie vor suchen.
    Insofern, wenn Sie jetzt einfach diese Zahlen anschauen, dann können Sie ganz kurzfristig sagen, das ist erfolgreich. Aber nur, wenn das Ziel ist, einfach keine Flüchtlinge mehr aufzunehmen, ein Abschottungsprogramm der EU. Dann ist es aber auch nur kurzfristig erfolgreich, weil wir sehen ja die Mittelmeergrenze zum Beispiel, die wird jetzt wieder viel stärker frequentiert von den Schleppern und den Flüchtlingen.
    Dobovisek: Die Türkei übt Druck auf die EU aus. Es geht dabei vor allem um die Visafreiheit als Teil des Flüchtlingsabkommens. Bis Ende des Monats will sich die EU dazu erklären. Wird es Visaerleichterungen geben?
    "Da ist ja jetzt regelrechter Krieg gegen die Kurden"
    Lochbihler: Ich muss Ihnen sagen, grundsätzlich, auch ohne diesen EU-Türkei-Deal halte ich es für sehr sinnvoll, dass es Visaerleichterungen mit der Türkei gibt. Es gibt gerade bei uns sehr viele Mitbewohner, die in Deutschland leben und für die wäre das viel leichter, hin und her zu kommen. Das halte ich jetzt nicht für die falsche Politik.
    Dass man eher, und das halte ich für das Schwierigere, dass man die Türkei jetzt nicht mehr kritisiert für die Menschenrechtsverletzungen und die Rückschritte, die es auch im Friedensprozess mit den Kurden gibt. Da ist ja jetzt regelrechter Krieg gegen die Kurden. So etwas wird nicht mehr kritisiert oder nicht genügend kritisiert, und da ist die Europäische Union und Deutschland doch in einer sehr misslichen Situation.
    Dobovisek: Und genau das durften wir gerade erst in den vergangenen Tagen beobachten, als sich Erdogan in Rage redete, als er den Fortschrittsbericht zu den Beitrittsverhandlungen mit der EU erhielt. Seine Regierung hätte den Bericht bereits nach Brüssel zurückgeschickt, sagte er. Die EU brauche die Türkei mehr als die Türkei die EU. Ist das so, Frau Lochbihler? Braucht Brüssel Ankara mehr als umgekehrt?
    Lochbihler: Kritik an der Türkei ist aber notwendig
    Lochbihler: Bei diesen Beitrittsverhandlungen brauchen wir vor allem den Dialog, und da gibt es immer so eine große Aufgeregtheit auf türkischer Seite, wenn man Kritik anspricht. Die ist aber notwendig. Und das muss die EU auch weiterhin tun, und deshalb wird die Türkei sich nicht sofort abwenden oder überhaupt nicht abwenden von der EU.
    Es ist wichtig, dass wir die Rückschritte bei den Menschenrechten deutlich ansprechen. Heute ist ja zum Beispiel der Prozess gegen den Journalisten Dündar, der eben nachgewiesen hat, wie die Türkei auch Waffen an den sogenannten Islamischen Staat liefert. Wir wissen, dass die Justiz nicht unabhängig ist. Das sind alles dringende Themen, die muss man mit der türkischen Regierung ansprechen.
    Die spricht man auch an, auch wenn sie sich dann immer so aufgeregt zeigen, darf man sich da nicht beirren lassen. Das waren sie in der Vergangenheit auch. Und wenn es da Fortschritte einer Annäherung geben soll, dann muss die türkische Regierung ihre Politik da ändern.
    Dobovisek: Die Grünen-Politikerin Barbara Lochbihler bei uns im Deutschlandfunk-Interview. Ich danke Ihnen, Frau Lochbihler!
    Lochbihler: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.