Archiv

Folgen des Klimawandels in Hessen
Dem Vogelsberg gehen die Vögel aus

Die Erderwärmung bringt das Ökosystem in den deutschen Mittelgebirgen durcheinander: Trockenheit lässt die Wälder absterben und milde Temperaturen wecken Nagetiere aus dem Winterschlaf. Ein Biologe in Hessen schlägt Alarm.

Von Ludger Fittkau |
Ein Meise sitzt auf einem Zweig.
Vor allem bestimmte Meisen-Arten sind im Vogelsberg vom Aussterben bedroht. (imago/Westend61)
Der Regen prasselt auf das Vordach über dem Eingang zur Ökologischen Forschungsstation Schlüchtern in Osthessen. Karl-Heinz Schmidt zieht sich die Mütze seines Anoraks tief ins Gesicht. Doch der Biologe freut sich über den ergiebigen Landregen. Denn ein wasserarmer Winter könnte das Sterben der umliegenden Wälder des Vogelsberges sowie des Spessarts beschleunigen:
"Wenn also dieses Regendefizit nicht aufgelöst wird in diesem Winter und das Jahr ähnlich warm wird wie 2018, dann werden wir ein flächenhaftes Absterben der Laubwälder und auch der Nadelwälder haben. Aber auch das ist ein Thema, das in der Öffentlichkeit nicht diskutiert wird."
Natürliche Feinde der Küken wachen früher auf
Nicht genug diskutiert werden aus Sicht des langjährigen Leiters der osthessischen Natur-Forschungsstation auch andere konkrete Folgen des Klimawandels für die Wälder der Mittelgebirge. So führten die zu milden Winter dazu, dass die natürlichen Feinde von Singvögeln wie etwa Siebenschläfer und Marder zu früh aus dem Winterschlaf erwachen und die Nistkästen und natürlichen Bruthöhlen etwa verschiedener Meisen-Arten plündern. Karl-Heinz Schmidt:
"Wir haben ein Problem, das sich einerseits mit der Klimaerwärmung darstellt und andererseits mit den Stickstoffeinträgen in die Ökosysteme. Was die Klimaerwärmung angeht, heißt das, dass die Vögel zum Beispiel gegenüber den 70er-Jahren eine Woche früher ihr Brutgeschäft beginnen, während der Siebenschläfer – auch ein Nistkastennutzer –, der in den 70er-Jahren erst dann erwachte, wenn die Vögel ausgeflogen waren, jetzt nicht sieben Tage früher, sondern sieben Wochen früher kommt."

Der Siebenschläfer sei zwar ein Vegetarier, aber wenn er Interesse an Nisthöhlen der Vögel zeige, fresse er Eier und Jungvögel auf, so der Biologe. Die Folge: Vor allem bestimmte Meisen-Arten sind im Vogelsberg vom Aussterben bedroht. Bereits seit den 1970er-Jahren beobachtet Karl-Heinz Schmidt mit vielen ehrenamtlichen Helfern in den osthessischen Wäldern die kontinuierliche Dezimierung des Vogelbestandes:
"Und aus diesen Untersuchungen geht hervor, dass zwei Drittel aller Vögel, die Anfang der 70er-Jahre in den Futterstellen gefangen wurden, heute verschwunden sind."
Vogelforscher Dr. Karl-Heinz Schmidt vor seinem Insektenhotel.
Der Vogelforscher Dr. Karl-Heinz Schmidt vor seinem Insektenhotel. (Ludger Fittkau)
Forderung nach weniger Trinkwasser für Frankfurt
Könnte das osthessische Mittelgebirge mit dem Namen "Vogelsberg" demnächst auch noch die verbliebenen Vogelarten verlieren? Nicht auszuschließen, wenn es mit dem Klimawandel so weitergeht, befürchtet nicht nur Karl-Heinz Schmidt. Auch die Schutzgemeinschaft Vogelsberg, ein Zusammenschluss von Umweltverbänden und Kommunen der Region, warnt etwa vor dem Austrocknen der noch vorhandenen Hochmoore auf dem alten Vulkan Vogelsberg. Eva Goldbach sitzt für die Grünen der Vogelsbergregion als Abgeordnete im hessischen Landtag:
"Wir haben hier im Vogelsberg sehr sensible Feuchtgebiete und Moore mit einer einzigartigen Artenvielfalt. Und wenn der Wasserspiegel dauerhaft sinkt, dann sind die gefährdet. Wenn Buchen und Eichen nicht mehr an das Grundwasser kommen, dann sterben die ab. Und diese Schäden sind irreversibel. Deswegen müssen wir diese Biotope hier erhalten."

Das bedeutet zum einen, dass die Entnahme von Trinkwasser aus dem Vulkan-Gebiet für die nahegelegene Metropole Frankfurt am Main künftig eingeschränkt werden müsse, fordern die Vogelsberggemeinden. Zum anderen müssen Baumschädlinge aktiv bekämpft werden, die erst durch die Klimaerwärmung in das Mittelgebirge vorgedrungen sind und dort nun zusätzlich die Laubbäume gefährden. Etwa die Raupen des Schwarmspinners, eines Nachtfalters, den es früher nur in wärmeren Regionen Europas gab. Er dringt nun aber aufgrund des Klimawandels in den Vogelsberg vor und gefährdet dort den Laubbaum-Bestand massiv, so der Biologe Karl-Heinz Schmidt.
Umgefallene, abgestorbene Bäume liegen im Wald.
Nicht nur der fehlende Regen sorgt für Baumsterben, auch Schädlinge aus wärmeren Regionen machen sich in deutschen Wäldern breit. (picture alliance / Arco Images / R. Schlepphorst)
"Ein Waldsterben wird forciert"
Karl-Heinz Schmidt: "In unseren Gebieten ist der Schwarmspinner erstmalig im Jahr 2003 – in dem warmen Jahr – aufgetaucht. Und seit der Zeit haben sich die Bestände hier verfünfzigfacht. Das heißt, wir müssen im nächsten Jahr mit einer Massenvermehrung rechnen, das heißt ein Kahlfraß. Und das wiederum heißt auch bei erhöhten Temperaturen, dass bestimmte Bäume diesen Kahlfraß einfach nicht überleben werden und damit ein Waldsterben forciert wird. Was im Normalfall nicht passiert, weil die Bäume neu austreiben, aber das geht nur, wenn genügend Feuchtigkeit im Boden ist."
Es regnet weiter auf das Vordach der Ökologischen Forschungsstation Schlüchtern. Das muss noch wochenlang so weitergehen, hofft Karl-Heinz Schmidt. Wenn nicht, könnte der Klimawandel die umliegenden Wälder schon im nächsten Sommer ruinieren. Dann ist der Vogelsberg nicht nur ohne Vögel, sondern auch ohne dichten, alten Baumbestand.