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Sexualisierte Gewalt
Betroffene können wieder Anträge auf Unterstützung stellen

Der Deutsche Olympischen Sportbund unterstützt Betroffene von sexualisierter Gewalt im Sport wieder mit Sachleistungen. 20 Monate nach einer entsprechenden Ankündigung ist jetzt der Vertrag dazu zwischen DOSB und dem zuständigen Bundesfamilienministerium unterschrieben.

Von Andrea Schültke | 24.07.2022
Das Logo des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) ist am 16.03.2015 in Frankfurt/Main (Hessen) vor dem Beginn einer Pressekonferenz zu sehen. (Aufnahme mit Zoomeffekt)
Der Deutsche Olympische Sportbund unterstützt Betroffene von sexualisierter Gewalt weiterhin (picture alliance / dpa / Christoph Schmidt)
Für Betroffene von sexualisierter Gewalt eine wichtige Nachricht: Sie können jetzt wieder Anträge auf Unterstützung stellen: „Man muss sich vorstellen, dass dieses ergänzende Hilfesystem tatsächlich das letzte Hilfesystem ist, was überhaupt greift, wenn alle anderen Leistungsträger nicht mehr zahlen, wenn Therapien ausgelaufen sind und man sich dadurch tatsächlich in einer Notlage befindet“, beschreibt Nadine Dobler von „Anlauf gegen Gewalt“, der ersten unabhängigen Anlaufstelle in Deutschland für Betroffene von Gewalt im Leistungssport.
Die ehemalige Fußballerin hat selbst als Kind sexualisierte Gewalt im Sport erfahren. Sie weiß wie wichtig es für Betroffene ist, dass der DOSB seine Unterstützung zugesagt hat: „Für alle Anträge, die ab dem 2.10.2021 eingegangen sind oder jetzt natürlich noch eingehen werden“, nennt Christina Gassner die Eckpunkte der Vereinbarung zwischen DOSB und Familienministerium. Gassner ist Geschäftsführerin der Deutschen Sportjugend unter dem Dach des Deutschen Olympischen Sportbundes. Das Thema Gewalt im Sport gehört zu ihrem Aufgabenbereich.
Sachleistungen zur Unterstützung Betroffener
Maximal 10.000 Euro für Sachleistungen pro Person können Betroffene bekommen. Für viele eine wichtige Unterstützung, denn zum Teil leiden Betroffene sexualisierter Gewalt so sehr unter den Folgen der Taten, dass sie arbeitsunfähig sind. Bis 2016 hatte sich der DOSB schon einmal im Hilfesystem engagiert, dann aber die Zahlungen eingestellt. Vier Jahre später überraschte die damalige DOSB Vizepräsidentin Petra Tzschoppe dann mit diesem Satz: „Wir werden uns an diesem Fonds wieder beteiligen.“
Passiert ist lange nichts. Recherchen des Deutschlandfunks ergaben: Erst ein halbes Jahr nach der Ankündigung der Vizepräsidentin hat das DOSB-Präsidium den entsprechenden Beschluss verabschiedet. Weitere sechs Monate später gab es eine Vereinbarung des Familienministeriums mit dem Sportdachverband über die Anträge, die seit 2016 eingegangen waren. 24 sind das nach Angaben des Ministeriums. Die seien in Bearbeitung.
Versprechen zunächst nicht gehalten
Und jetzt, nach fast zwei Jahren ist nun endlich auch der Kern des großen Versprechens schriftlich fixiert: Es soll auch Geld geben für Anträge, die neu gestellt werden. Nadine Dobler war bei der Ankündigung vor knapp zwei Jahren im Saal und hat das Prozedere der Umsetzung seitdem intensiv verfolgt: „Erst mal werte ich das positiv, dass es jetzt endlich soweit ist. Was man natürlich jetzt aus Betroffenensicht nach dieser großen Ankündigung sehr kritisieren muss, ist, dass es wahnsinnig lange gedauert hat. Wenn man so eine große Ankündigung macht, dann hätte das eigentlich so sein müssen, dass man auch gleich in Handlung gehen kann. Und das ist irgendwie gar nicht so gewesen nach meiner Ansicht, sondern kommt jetzt ins Rollen. Und zwei Jahre sind eine echt lange Zeit“.
Nach Ansicht von Nadine Dobler war die Ankündigung im Oktober vor zwei Jahren gut gemeint, aber schlecht vorbereitet. „Wir bedauern das zutiefst, dass dieser Eindruck entstanden ist, aber hoffen jetzt durch eine sehr klare Kommunikation auch da neue Meilensteine setzen zu können“. Auf die Frage, was in der ursprünglichen Kommunikation schiefgelaufen ist, will Christina Gassner von der deutschen Sportjugend nicht eingehen.
Enttäuschte Hoffnungen
Dabei hatte gerade das für enttäuschte Hoffnungen und Verärgerung bei Betroffenen gesorgt, und das Misstrauen in die Institution weiter verstärkt. 400.000 Euro aus der Stiftung deutscher Sport stellt der DOSB jetzt zur Verfügung, für Anträge, die bis zum 31.12.2023 eingehen. Danach soll laut Familienministerium ein neues Entschädigungsrecht in Kraft treten, das die Unterstützung Betroffener sexualisierter Gewalt in Deutschland neu regelt.
„Das Bundesfamilienministerium und der DOSB werden sicherstellen, dass auch über dieses Datum hinaus dort Hilfe geleistet wird, wo sie gebraucht wird", so eine Sprecherin des Ministeriums auf Anfrage des DLF. Der Fonds sexueller Missbrauch nimmt die Anträge entgegen. Von dort gehen sie weiter zu einer „Task Force“. So nennt Christina Gassner die Gruppe beim DOSB die anonymisierten Unterlagen prüft.
Kein Zweifel an Glaubwürdigkeit
„Das sind Geschichten, die geschildert werden, die wahnsinnig berührend sind und wahnsinnig schrecklich sind. Da gibt es für uns keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit und Glaubhaftigkeit. Für uns geht es hauptsächlich darum, das in den Kontext organisierter Sport einzuordnen.“
Um die 40 Betroffene sexualisierter Gewalt im Sport können jetzt eine einmalige Unterstützung bekommen. Mit generellen Entschädigungszahlungen hat die jetzt geschlossene Vereinbarung nichts zu tun. Diese Diskussion wird bisher in den Kirchen geführt, im Sport hat sie noch gar nicht begonnen. Das DOSB-Aufarbeitungsprojekt schließt „Wiedergutmachung“ bisher aus: “Ich glaube, das hat man im Kontext der Kirchen gesehen, dass man das nicht vom Tisch wischen kann. Das wird sich nicht durchhalten lassen. Das hat sich in anderen Bereichen nicht durchhalten lassen, das wird auch im Sport anders kommen“, so Kerstin Claus, die neue Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung im Deutschlandfunk-Sportgespräch.
Viele Diskussionen sind noch zu führen. Mit der jetzt unterschriebenen Vereinbarung, dass Betroffene aus dem Sport nun wieder Anträge auf Sachleistungen stellen können, ist es eine weniger - nach fast zwei Jahren des Wartens und vielen enttäuschten Hoffnungen der Betroffenen.
Hilfe für Opfer sexuellen Missbrauchs gibt es beim "Hilfetelefon sexueller Missbrauch" und bei "Anlauf gegen Gewalt".