New York, Herbst 2015. Genau fünfzig Jahre, nachdem die Musik von Bob Dylan beim Newport Festival elektrisch wurde, kann sich der einschlägig Interessierte jetzt noch einmal detailliert mit der Zeit des amerikanischen Folk Music Revivals beschäftigen. Das Museum of the City of New York an der Upper East Side von Manhattan präsentiert noch bis in den Januar 2016 hinein "Folk City". Eine Ausstellung mit zahlreichen Artefakten und Dokumenten zum Thema, zusammengetragen vom Kurator und promovierten Stadthistoriker Stephen Petrus, der außerdem als Hauptautor verantwortlich zeichnet für eine gleichnamige Buchveröffentlichung. Eine Arbeit, die das Zeug zum Standardwerk hat.
"Es war eine Herausforderung, aber auch eine Überraschung für mich, das bislang noch niemand ein Buch geschrieben hatte, das das Thema des Folk Revivals in einen New Yorker Kontext stellt. Niemand hatte sich dem Thema bislang aus dieser Perspektive genähert."
Petrus und sein Co-Autor, der Geschichtsprofessor Ronald D. Cohen, legen mit ihrem Buch keine strenge wissenschaftliche Abhandlung vor. Sie lassen Szenarien der Vergangenheit neu auferstehen, mit einem lebendigen Text und zahlreichen Dokumenten, die belegen: Folk Music und New York gehörten lange eng zusammen, vor allem im Epizentrum der Szene, Greenwich Village. Einem intensiv romantisierten Ort der amerikanischen Kulturgeschichte. Ihm gilt das besondere Interesse der Autoren.
"Ich war immer an den Fifties und Sixties interessiert, insbesondere an alternativer Kultur und Ideen, die den Status quo herausforderten. Das brachte mich nach Greenwich Village, denn es war ein Ort, der Ideen förderte, die politische und kulturelle Konventionen anzweifelten, besonders zu dieser Zeit. Es gab dort diese besondere Strahlkraft."
Man fand Neues heraus im Zuge der Recherchen. Zum Beispiel, dass es zu Beginn der Folk-Bewegung im Village ethnische Konflikte gab zwischen der jungen Boheme und dem oft italienisch-stämmigen Bürgertum. Es gab Bestrebungen, die sonntäglichen Sanges-Zusammenkünfte im Washington Square Park mit Polizeigewalt zu unterbinden. Reale Konflikte, die mit Film- und Textmaterial dokumentiert sind. Petrus geht mit seiner Arbeit über den eindimensionalen Mythos vom Beatnik-Paradies Greenwich Village hinaus.
"I wanted to go beyond that romanticism, beyond that mythology, and do research and interviews, to really see what I could discover that was new in the book and in the exhibition There's a lot of fresh material in the book and in the exhibition that I think challenges our traditional understanding of the city and the Village in particular during that period."
Die Geschichte beginnt in den 30er Jahren. Das Jahrzehnt der Great Depression treibt Sänger aus ganz unterschiedlichen Landesteilen in die Stadt. Den Harvard-Abbrecher Pete Seeger aus New England, den ex-Sträfling Leadbelly aus den Südstaaten, Woody Guthrie aus Oklahoma. Er kommt 1940 nach New York und wird mehrere Jahrzehnte in der Stadt leben, anders als es das Klischee vom fahrenden Hobo suggeriert. Es sind Musiker, die eine Vision teilen: New York als Ort neuer künstlerischer und auch politischer Möglichkeiten.
Die Neuankömmlinge bringen auch das Land in die Stadt, Dialekte und regionale Tonfälle aus ganz Amerika. Die Musik-Aktivisten verbinden sich schon in den 40ger Jahren mit Autoren, Poeten und Schauspielern zu gemeinsamen Aktivitäten. Doch man wird peu a peu auch Teil des Musikgeschäfts, schließlich Opfer der Kommunistenjagd der McCarthy-Ära. Es ist eines der großen Themen des Buches: wie die amerikanische Linke "folk music" neu definiert, von einem eher kuriosen ländlichen Genre zu einem Träger aktueller politischer Botschaften. Stephen Petrus:
"Es gab diese Vorstellung – insbesondere bei Pete Seeger – dass Musik die Gesellschaft verändern kann, die Wahrnehmung erhöht, die Sensibilität erweitert, einen vielleicht sogar zum politischen Einsatz für soziale Gerechtigkeit motiviert. Viele glaubten damals daran. Heute blickt man vielleicht etwas zynisch darauf, betrachtet Musik eher als Entertainment für eine bessere Stimmungslage. Die Leute damals glaubten an einen transformativen Effekt von Musik."
Auch mit Bob Dylan beschäftigt sich "Folk City". Mit ihm wurde die Musik poetisiert und introvertiert. Seine Abtrünnigkeit erweiterte die Möglichkeiten der Musik – bis heute. Petrus erzählt auch diese Geschichte in seinem Buch. Mit der Schlussthese, dass das Folk Music Revival in New York nie wirklich starb, eher Perioden von Ebbe und Flut unterworfen war – bis zur Do-It-Yourself-Musikkultur der Gegenwart. Folk Music – das ist für die Autoren auch heute ein integraler Bestandteil der alternativen Kultur von New York. "Folk City" setzt ihr als wissenschaftlich fundierte Arbeit in Buch und Ausstellung ein unsentimentales und zeitloses Denkmal. Folk City forever.
"Es war Musik, die das Land verändert hat, einen Einfluss hatte auf das Leben von Menschen. Mit der Erkenntnis, dass dieses Land vielfältig ist, mit vielen verschiedenen kulturellen Traditionen, von Texas bis nach New England. Man lernt, die eigenen regionalen Bräuche zu schätzen, um dann weiter zu gehen in die Zukunft. Mit Hoffnung und Optimismus – aber auch mit einer realistischen Vorstellung der Möglichkeiten."
Hinweise zum Beitrag
Musik: Pete Seeger und Ani DiFranco. Which Side Are You On?
Buch: Stephen Petrus, Ronald D. Cohen: "Folk City – New York And The American Folk Music Revival." Foreword by Peter Yarrow, Oxford University Press, 320 Seiten, 39,95 Dollar.
Ausstellung: "Folk City" im Museum of the City of New York. Ausstellung noch bis 10. Januar 2016
Musik: Pete Seeger und Ani DiFranco. Which Side Are You On?
Buch: Stephen Petrus, Ronald D. Cohen: "Folk City – New York And The American Folk Music Revival." Foreword by Peter Yarrow, Oxford University Press, 320 Seiten, 39,95 Dollar.
Ausstellung: "Folk City" im Museum of the City of New York. Ausstellung noch bis 10. Januar 2016