Fabian Elsäßer: Das Lied "I Wish the Wars Were All Over" könnte auch vor 50 Jahren geschrieben worden sein, weil es aktuell ist. Man hat derzeit den Eindruck, dass sich 50 Jahre nach der Friedensbewegung nichts geändert hat.
Joan Baez: Ich denke eher, da hat sich jede Menge verändert. Und zwar sehr. Einiges aber auch zum Nachteil. Andere Dinge sind auf dem gleichen Stand geblieben. Trotz der Bürgerrechtsbewegung in den Staaten, sind die Beziehungen zwischen den Rassen immer noch unterirdisch. Einfach nur furchtbar. Man muss aber auch anerkennen, dass wir einen weiten Weg hinter uns haben. Und dann muss man begreifen, dass Dinge sich ständig verändern. Zum Guten oder zum Schlechten. Man muss für sich selbst entscheiden, was richtig und was falsch ist. Und weiter machen.
Elsäßer: Diese konservative Rückwärtsbewegung, die wir gerade auch in Europa erleben, entmutigt Sie also nicht?
Baez: Nein, ich war nicht mutlos, als ich anfing, und ich bin es jetzt auch nicht. Als ich damals mit meinen Ideen auf die Straße ging, hatte ich schon ein ziemlich genaues Bild von der menschlichen Natur und den menschlichen Verhaltensweisen. Das menschliche Verhalten ist schlecht. Im Moment würde ich sogar behaupten: Es ist das Schlimmste, was ich bislang erlebt habe - in den USA, aber auch in Europa.
Trump ist gerade auf dem Weg, "das Jahr des Rüpels" zu etablieren. Jeder um ihn herum darf sich so schlecht benehmen, wie er will. Trump, geht es ausschließlich ums Geld. Er hat vor allem viele Erkrankungen. Ich glaube: Er ist kein gesunder Mann. Die Frage ist doch: Wie konnten wir den wählen? Es ist hart für mich, das zu begreifen. Wollen die Menschen einfach nur belogen werden? Das ist es auf jeden Fall, was er am besten kann: lügen. Lügen ist sein Programm.
"Ich bin absolut glücklich über die #MeToo-Kampagne"
Elsäßer: Ein anderes aktuelles Thema ist das Geschlechterverhältnis, denken Sie nur an die #MeToo-Bewegung. Sie waren schon sehr früh sehr erfolgreich, aber es kommt mir so vor, als ob ihre männlichen Kollegen immer mehr Beachtung bekommen haben. Dylan und sein Nobelpreis etwa. Fühlen Sie sich ausreichend gewertschätzt?
Baez: Ich denke, ja. Als ich noch jung war, hat es mich auch nie entmutigt, dass es zwischen Frau und Mann einen Unterschied gibt. Ich bin unglaublich schnell zum Star geworden. Mein Geschlecht war also kein Nachteil. Dagegen war es gerade in der Unterhaltungsbranche früher so, dass weibliche Ingenieure zum Beispiel kaum ein Chance bekamen - außer sie arbeiteten Tag und Nacht dafür. Ich - auf der anderen Seite des Mikrofons - war plötzlich ein Star. Aber ich hatte nie das Gefühl, dass ich für die Emanzipation der Frauen gekämpft habe.
Trotzdem bin ich absolut glücklich über die #MeToo-Kampagne. Das ist übrigens ein Geschenk, das Donald Trump uns gemacht hat. Wegen seines Verhaltens fangen die Frauen endlich an, über sexuelle Unterdrückung und Belästigung zu sprechen. Sie gehen an die Öffentlichkeit. Das ist außergewöhnlich. Was ich auch sehr gut finde, ist der Schülerprotest, den wir im Moment in den USA erleben, der von einer jungen Frau angeführt wird. Und sogar noch von einer Latina.
Elsäßer: Sie sprachen vor dem Interview davon, dass Sie in Würde altern möchten. Ihre Mutter war da doch ein gutes Beispiel. Möchten Sie wie sie gerne 100 Jahre alt werden?
Baez: Ich weiß nicht. Je näher das Alter heran rückt, desto weniger weiß ich, was ich darauf antworten soll. Meine Mutter war zum Beispiel 95, als sie mir sagte: Ich bleibe so lange am Leben, wie du mich auf der Bühne unterhältst. Als sie 99 war, sagte sie: So, ab jetzt habe ich keine Lust mehr auf Unterhaltung. Sie war bereit zum sterben. Drei Monate vor ihrem 100. Geburtstag - als alle dabei waren, ihre Feier zu planen - habe ich sie gefragt: Was wünscht du dir zum Geburtstag? Und sie antwortet: Tot umzufallen. Und das war genau das, was sie wollte. Sie wollte ihre 100 bekommen und dann sterben.
Elsäßer: Sie war, glaube ich, auch ein gutes Vorbild als starke Frau, als diese Rolle noch gar nicht richtig definiert war.
Baez: Ja, sie war immer eine unglaublich starke Frau. Aber gleichzeitig hat sie es gehasst, dass sie als Frau eines Professors repräsentieren musste. Sie hat das wirklich gehasst. Aber sie war bis zum Schluss eine starke Frau, mit einzigartigem Wesen.
"Wir haben ein Vagabundenleben gelebt"
Elsäßer: Noch einmal zu Dylan, dem Nobelpreisträger. Haben Sie einen Lieblingssong von ihm, oder einen, der Ihnen besonders wichtig ist?
Baez: Er ist wahrscheinlich die einzige Person, der Sie diese Fragen stellen könnten. Ich habe keinen speziellen Lieblingssong. Ich meine, er hat das Beste geschrieben, was die Musikwelt je hatte und immer noch hat. Ich freue mich auf jeden Auftritt, wo ich seine Lieder singen kann. Alles was er geschrieben hat, ist magisch.
Elsäßer: Warum haben Sie eigentlich immer mehr Lieder von anderen interpretiert als selbst zu komponieren? "Diamonds and Rust" zeigt ja, dass Sie selbst tolle Songs schreiben können.
Baez: Ich habe ganz, ganz lange nichts selbst geschrieben. Ich hatte auch die ersten zehn Jahre meiner Karriere gar nicht den Wunsch, zu schreiben, bis mich jemand fragte: Schreibst du auch eigene Songs? Und ab dann habe ich gedacht, ja das sollte ich mal versuchen. Und dann habe ich "Sweet Sir Galahad" geschrieben. Das war mein erster eigener Song.
Elsäßer: Was ich an Ihrer Biografie bemerkenswert finde, ist das rastlose Leben Ihrer Eltern. Sie sind oft umgezogen. Wie hat das Ihren Werdegang beeinflusst?
Baez: Es ist sicher hart für Kinder, wenn sie derart oft umziehen müssen. Wir waren immer die neuen Kids. Und wir sahen auch anders aus und vagabundierten immer herum. Mein Vater war katholisch, dann wurde er ein methodistischer Prediger und reiste durch die USA. Er lebte zuerst in Brooklyn und hat dann hauptsächlich gepredigt. Er wollte die Welt verbessern und war Physikprofessor. Er hat uns Orte wie Bagdad gezeigt und uns auf Reisen nach Mexiko mitgenommen. Wir haben ein Vagabundenleben gelebt. Inzwischen würde ich meinen: Wie auch immer, ich bin froh, dass wir das alles so gemacht haben.
Elsäßer: Wenn Sie Ihre Karriere mit einem einzigen Wort oder einem Gefühl beschreiben müssten, welches wäre das?
Baez: Mein Leben ist reich. Und das meine ich nicht im finanziellen Sinn.
Elsäßer: Für materielle Dinge haben Sie sich also nie interessiert?
Baez: Ich liebe materielle Dinge sehr. Aber nach Hollywood-Maßstäben bin ich eigentlich arm. Nach Einschätzung armer Leute bin ich vermögend. In der Tat liegt die Wahrheit wahrscheinlich in der Mitte. Man kann vielleicht sagen: Ich ziehe mich gut an und danach tue ich, was ich tue. Als Kind war es mir eigentlich immer egal, wie ich aussehe.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Joan Baez: Whistle Down the Wind
Erscheint am 2. März 2018 bei Concord Records
Erscheint am 2. März 2018 bei Concord Records