"Es ist schwierig, seine eigene Stimme zu finden, es ist eine lange Reise. Erst lernt man, Musik zu machen, indem man die Musik Anderer spielt. Man musiziert mit Anderen, dann lernt man, alleine zu spielen. Dann gibt es da noch die Musikschule, das mochte ich überhaupt nicht. Und irgendwann habe ich alles hingeschmissen, um wirklich meine Stimme zu finden. Ein Prozess, durch den wohl jeder Künstler gehen muss."
Steve Waitt bearbeitet ein prominentes Feld der US-Musikgeschichte: In Anlehnung an die großen Songwriter der 70er-Jahre vermischt er Rock, Blues und Folk. Wenn er singt, erinnert er an Jackson Browne, Tom Petty, auch ein wenig an Coldplay oder an Art Garfunkel. Letzterem ähnelt er auch äußerlich: mittelgroß und schlank, die feinen Gesichtszüge werden gekrönt von einer rotblonden, krausen Haarpracht, die er vermutlich oft schneiden muss, um sie im Zaun zu halten. Aber mittlerweile sind das nur noch Eselsbrücken bei dem Versuch, sich einem Künstler zu nähern, dem der ganz große Erfolg noch versagt ist, der seine Stimme aber mittlerweile gefunden hat. Der Weg dahin war weit und abenteuerlich, voller Gefahren und guter Geschichten. Er begann vor rund 30 Jahren in Tuscon, Arizona, als Waitt Mitglied eines Knabenchors war.
"Seit meinem 12. Lebensjahr bin ich unterwegs. Ich bin mit einem Chor aus meiner Heimatstadt Tuscon getourt. Seitdem ich ein kleines Kind bin, singe ich, ich liebe Musik. Es war ein ziemlich guter Chor, wir sind durch die halbe Welt gefahren – wir waren in Deutschland und in Russland 1989, (2’20) wir haben Bach und Mozart gesungen, so wie die Wiener Sängerknaben, mit denen wir eine Patenschaft hatten. Wir waren aber auch die Botschafter von Levis, der Jeansfirma, und hatten alte Gesangstücke aus den Südwest-Staaten der USA im Programm. Jedenfalls habe ich festgestellt, dass es mir sehr gut gefällt, mit einer Gruppe von Musikern durch die Welt zu reisen…neue Ort kennenlernen und Menschen treffen und man hat einen Grund sie zu treffen. Man macht nicht nur ein Foto der schönen Kirche und kauft Souvenirs, man gibt etwas und man nimmt etwas, das ist toll. Und das habe ich seitdem eigentlich immer gemacht, während der Schule, der Ausbildung, ich hatte immer Bands, war immer unterwegs. Etwas anderes kann ich gar nicht."
Zeit im Knabenchor
Mit dem Teenager-Alter kam der Stimmbruch und damit war die Zeit im Knabenchor vorbei. Die Musik hat Waitt allerdings schon damals nicht aufgegeben, auch wenn er seinen Geschmack deutlich veränderte.
"Mitglied des Chores zu sein und klassisch Klavier zu spielen – das war nicht wirklich cool. In meiner Schule haben sie ganz schön auf mir rumgehackt. Im Chor selbst war immer alles ok, Musiker sind im tiefsten Innern ja ziemlich schräge Vögel – wir haben uns gut verstanden. Aber danach habe ich angefangen, Haschisch zu rauchen, zu trinken, Led Zeppelin zu hören, ich wollte ein Rock’n’Roll Leben und Keyboards spielen wie Ray Charles. Dann kam Grunge, ich war Nirvana-Fan, Anfang der 90er habe ich in einer Grungeband gesungen. Danach interessierten mich verrückter Jazz und experimentelle Musik und dann erst habe ich die großen Songwriter entdeckt: Tom Waits, Bob Dylan. Ich habe festgestellt, welche Kraft in Texten und guten Lieder steckt. Das ist die Richtung, die ich damals eingeschlagen habe."
Unterwegs zur eigenen Stimme
"Ich habe entweder im Chor oder als Solist in einer Band gesungen, aber dass ich beides getan habe, nämlich Spielen und Singen, das ist erst passiert als ich so um die 19 war."
Den typischen Singer/Songwriter zeichnet ja aus, dass er sich selbst begleitet beim Spielen. Im Laufe seiner ausgiebigen Wanderjahre hat Steve Waitt diesen Prozess internalisiert und perfektioniert. Auf der Bühne sieht man ihn an verschiedenen Keyboards, vor allem am E-Piano. Wenn er komponiert, nimmt er gerne auch die Gitarre zur Hand.
"Ich mag es auch, auf der Gitarre zu komponieren, es gibt mir andere Ideen, vor allem rhythmisch. Ich bin nicht so gut auf der Gitarre und das hat durchaus Vorteile: es ist ein anderer Blickwinkel, es fühlt sich so an, als ob ich diese Akkorde neu erfinden würde…ich spiele rum und bin inspiriert. Am Klavier kenne ich jede Note, jede Akkordfolge, jede Möglichkeit. Da ist es manchmal schwierig, mit etwas Neuem zu kommen – man erinnert sich ja sofort an all das, was man schon kennt."
Studierter Musikethnologe
Steve Waitt hat sich nicht nur praktisch mit verschiedenen Instrumenten und Musikstilen befasst, sondern auch theoretisch. Er hat Musikethnologie studiert, ist in Kuba und Mittelamerika gewesen und hat dort die Rolle der Musik bei zeremoniellen Anlässen, bei Hochzeiten, Beerdigungen und Gottesdiensten untersucht.
"Die Liveperformance ist das, was mich interessiert. Wenn eine Gemeinschaft zusammen kommt und gemeinsam musiziert. Diese Tradition ist tot in den USA, außerhalb der Kirche jedenfalls. Aber ich bin ja nie in die Kirche gegangen, das war nicht mein Ding. Wenn alle zusammen singen ist das sehr kraftvoll, diese Erfahrung ist einzigartig. Wenn das Publikum aktiver Teil von dem wird, was passiert – dann ist alles Energie und Klang und die Energie fließt von der Band zum Publikum und wieder zurück…das hat mich sehr fasziniert und ich habe immer versucht, meine eigene Stimme darin zu finden. Es hat gedauert bis ich Mitte 20 war. Ich habe irgendwann alle meine Bands geschmissen und bin allein losgezogen, um wirklich diese eigene Stimme zu finden. Ich denke, dass jeder Künstler diese Phase durchlebt, diese Reise, die dir zeigt, was dich einzigartig macht. Außerdem musst du lernen, dass so gut es geht umsetzen. Das ist die einzige Chance, in der Musikwelt zu überleben."
Mit dem Wohnwagen in San Francisco
Auf der Reise zu seiner eigenen Stimme machte Steve Waitt nach Mittelamerika in San Francisco halt. An der Golden Gate Bridge stellte er seinen Wohnwagen ab und erkundete mit seinen Keyboards und seinem Hund die Musikszene. Er war kurz in Austin, Texas, wo ihn vor allem die Bluesszene inspirierte. Schließlich verschlug es ihn nach New Orleans.
"Eine großartige Stadt, ich hatte mich verliebt. Natürlich in die Musikszene, aber auch in die Frauen und das Leben im Allgemeinen. Damals, es waren ungefähr vier Jahre, habe ich immer nur allein gespielt oder ich habe andere Musiker mit dem Klavier begleitet, aber ich hatte keine eigene Band. Mein Hauptengagement war im Kelsto Club. Er gehörte Gennifer Flowers und ihrem Mann. Sie war damals sehr bekannt für einen Skandal mit Bill Clinton, sie hatte eine Affäre in den 1970ern als er noch Gouverneur von Arkansas war. Sie hat auch fürs Playboy Magazin posiert, ein Pinup-Mädchen. Sie war berühmt und verrucht, in New Orleans lässt sich das sehr gut miteinander vereinbaren. Die Öffentlichkeit hat sie für ihre eigene Gesangskarriere genutzt. Sie sang also ihre Songs und vorher konnte ich eine Stunde machen, was ich wollte. Sie und ihr Mann - das sind echte Typen - aber unglaublich freundlich dabei. Sie war ein Mädchen aus den Südstaaten und hat immer Stephen zu mir gesagt, so hat sie mit allen geredet und irgendwie mochte sie mich und das, was ich machte, am Klavier und Gesang. Ich habe ein paar Cover gespielt von Leuten wie Billy Joel, Fats Waller und dann meine eigenen Songs zum Besten gegeben."
Coyote – das war ein Song, den Steve Waitt in Gedenken an den Hurricane 'Katrina' geschrieben hat, der 2005 die Stadt New Orleans verwüstete. Waitt hatte schon kurz zuvor die Stadt in Richtung New York verlassen.
"Ich habe viel zu viel getrunken und viele meine Freunde hatten Drogenprobleme. Ich hatte Angst, dass mir das auch passiert. New Orleans ist eine sehr verführerische Stadt…es ist gesellschaftlich kein Problem, wenn man dauernd betrunken oder sonst wie benebelt ist. Ich hatte einen Freund, der eine Überdosis Heroin genommen hat, also beschloss ich, es in New York zu probieren…für ein Jahr. Und genau in dem Sommer hat der Hurricane Katrina die Stadt zerstört, ich bin also nie zurückgekehrt."
Angekommen in New York
Auf seiner Reise zum musikalischen Selbst ist Steve Waitt inzwischen in New York angekommen. Der Pianist, Sänger und Komponist lobt die Stadt in den höchsten Tönen: überall in den USA könne man großartige Musiker und Musikstile finden, aber in New York würden sich alle versammeln: egal ob Indierock, Blues oder Jazz, ob Singer Songwriter, Klassik oder Folk - alles sei im Überfluss und stets von den besten Musiker bei freiem Eintritt zu goutieren. Es sei auch das Kontrastprogramm zu New Orleans. New York ist der Big Apple über den man sagt: ‚wenn du es hier schaffst, kannst du es überall schaffen’. New Orleans heißt auch ‚The big easy’, was nichts anderes bedeutet als: wenn du es hier nicht schaffst, solltest du es auch woanders nicht probieren, dann brauchst du gar nicht erst weg zu gehen.
"New York ist Adrenalin pur, es ist eine ganze andere Stimmung, der man sich nicht entziehen kann. Du musst dich bewegen und dein Herz auf den Tisch werfen und alles versuchen, um der beste Künstler sein, den es gibt…oder die Stadt macht die fertig und spukt dich irgendwo wieder aus."
Mittlerweile ist Steve Waitt 41 Jahre alt und managt von New York aus seine Karriere, wo er mit seiner Freundin und seinem Hund lebt. Auch stilistisch ist er angekommen: bei einer ausgewogenen Mischung aus Folk, Jazz, Singer Songwriter-Idiom und Rock, bei der sich die subtil-warmen Klänge seines E-Pianos mit Schlagzeug, Bass, Gitarre und natürlich seinem Gesang verbinden. Manchmal klingt das opulent, dann wiederum eher spartanisch. Manchmal durchzieht eine Folkanmutung die Songs, dann wiederum entstehen poppige Texturen. Ein fruchtbarer musikalischer Boden für seine einfühlsame Geschichten über die großen Themen des Lebens: die Liebe und den Tod.
"Die Straße des Lebens ist zuweilen ein einsamer Ort. Ich fühle mich nicht immer so, aber wenn ich in einer reflektiven Stimmung bin, dann gibt es diese Traurigkeit. Und dann schreibe ich oft meine Songs. Meine Schwester ist vor einiger Zeit an Krebs gestorben, dazu gibt es ein paar Songs. ‚Du brauchst nicht für mich zu beten, es ist alles in Ordnung. Ich werde aus dieser Welt verschwinden und Du wirst sehen – es ist alles in Ordnung’ heißt es in einem Lied. Aber: das Leben ist ja auch schön und ich hoffe, dass das auch zu hören ist."
Die jüngste CD ‘Stranger in a stranger land’ von Steve Waitt ist seiner inzwischen verstorbenen Schwester Amy gewidmet. Autobiographische Titel lassen sich auf der CD noch viele andere finden. Der Titel ‚Stranger’, Fremder, geht auf seine Zeit in Berlin zurück. Dort verbrachte Waitt im Jahre 2012 den ganzen Sommer.
"Ich bin zurückgekommen, weil ich meine Freunde vermisst habe, die Kultur, gute Witze, Humor, die Subtilität der Sprache, das kann man ja gar nicht immer übersetzen. Mein Deutsch ist leider schlecht und in Berlin will jeder englisch mit Dir sprechen, man wird nicht wirklich gezwungen, deutsch zu lernen. Die Stadt hat auch dieses Vorläufige, viele Leute kommen vor allem im Sommer - Touristen, Backpackers, Bohemiens, junge Leute, die experimentieren. Das ist toll, aber es ist auch etwas unbefriedigend auf die Dauer. Vor allem, wenn man selbst nicht mehr Anfang 20 ist. In New York kann man dagegen ein Künstler für den Rest seines Lebens sein. Und ich habe dort Freunde, die vielen Musiker, die ich kenne …es ist ein großartiger Ort zum Leben."
Immer auf Tour, immer ein Fremder
‘Stranger in stranger Land’ heißt die jüngste CD von Steve Waitt und seinem Quartett, einer klassischen besetzten Rockband mit Schlagzeug, Bass, Gitarre und Waitt als Sänger und Keyboarder. Es ist sein insgesamt fünftes Album, zwei davon werden vertrieben. Und es ist das erste Album, das er bei einer deutschen Plattenfirma veröffentlicht. Seit ein paar Jahren bemühe er sich darum, in Europa eine Fangemeinde aufzubauen, was auch damit zusammenhänge, dass der Markt hierzulande viel besser funktioniere.
"In den USA touren wir nicht mehr so viel. Es ist ein großes Land: Man fährt 12-15 Stunden, um dann vor 20-30 Leuten zu spielen. Der Markt für Live-Musik hat sich in den USA sehr verändert. Als ich ein Jugendlicher war sind wir immer zu den Shows gegangen, haben in die Lokalzeitung gesehen: wer kommt vorbei, wir haben die Bands ‚verfolgt’, das sehe ich heute nicht mehr so oft. Hier dagegen fährt man 2 Stunden zum nächsten Gig und in vier Stunden ist man in einem anderen Land, das ist cool. Und aus meiner Erfahrung kann ich auch sagen: die Leute hier mögen live Musik, sie gehen gerne raus. Die Gastfreundschaft ist größer, man wird anständig behandelt. In den USA kümmert einen das nicht – man fährt den ganzen Tag, kommt zum Auftrittsort…dann gibt es ein paar Getränketickets als Gage: ‚Wenn ihr spielen wollt, OK, wenn nicht, auch OK. Wir haben einen DJ.’ Dann du schläfst auf dem Boden bei irgendeinem Freund irgendwo in Iowa. Das ist nicht so ermutigend."
Steve Waitt und seine Band wird man in Zukunft noch häufiger in Deutschland erleben, das gerade war ein Mitschnitt des WDR-Rockpalastes, der im Frühjahr in Bonn entstanden ist. Auch seine CD ist hier durchweg auf positive Kritiken gestoßen und wurde als eine der gelungensten Singer/Songwriter Alben gefeiert. Gleichwohl bleibt der Mann nüchtern, denn selbst wenn eine Tour gut läuft, macht sie einen noch lange nicht reich.
"Ich habe keine Familie, ich habe nur einen Hund, aber der stellt sich zum Glück nicht so an, er isst fast alles. Meine Freundin kümmert sich gerade um ihn. Ich selbst brauche ja nicht viel, ich liebe es zu reisen und meine Musik zu spielen. So, wie ich es immer getan habe. Wenn ich noch erfolgreicher werden sollte, dann würde ich gerne noch eine Sängerin mitnehmen, für den Harmoniegesang. Derzeit übernimmt der Bassist diesen Part, aber er macht seinen Job auch sehr anständig. Und noch sind wir nicht so weit. Mit dieser Tour ließe sich jedenfalls keine Familie ernähren."
Steve Waitt ist ein musikalischer Weltenbummler, der seinen Sound gefunden hat, das große Publikum allerdings noch nicht. Und vielleicht will er es auch gar nicht, vielleicht ist er zufrieden mit seinem Status als reifer Geheimtipp der Branche, als Musiker, der sein Handwerk beherrscht und immer weiter daran feilt, seine Songs verbessern. Sympathisch, geradeheraus und auch schüchtern würde er zum Popstar sowieso nicht taugen. Etwas mehr Aufmerksamkeit hätte er aber doch verdient.
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