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Folter in Ostukraine
"Erschreckend, wie groß der Hass geworden ist"

Nach den Recherchen des Deutschlandfunks über Folterungen im Kriegsgebiet der Ostukraine hofft der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler, auf ein gerichtliches Vorgehen. Im DLF sagte er, durch den Bericht sei eine neue Qualität entstanden. Man habe nun genaue Dokumentationen und Klarnamen, die dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag vorgelegt werden können.

Gernot Erler im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler
    Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (imago / EPD)
    "Ich in tief geschockt", sagte der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), im DLF. Ein konkreter Fall mit Einzelheiten sei etwas anderes, als Statistiken zu lesen. Das Problem sei immer die Beweislage gewesen. Man sei zwar seit Langem unterrichtet über Tötungen, Verschleppungen, Folter, Zwangsarbeit, Erniedrigungen, Scheinerschießungen, Vergewaltigungsdrohungen usw. Jetzt liege aber erstmals eine Dokumentation vor, die eventuell eine andere Qualität von gerichtlichem Vorgehen ermögliche, zumal auch Klarnamen genannt würden.
    Man müsse nun allerdings unterscheiden zwischen dem politischen Prozess, der vom zweiten Minsk-Abkommen geprägt sei, und solchen Vorgängen, die nicht straffrei bleiben dürften. "Ich finde schon auch wichtig, dass hier festgestellt wurde, dass russische Militärangehörige involviert sind in diese Verbrechen." Aber auch eine ukrainische Verantwortung gebe es - der Unterschied sei allerdings, dass in diesen Fällen Ermittlungen stattfänden.
    Ihm bereite Sorge, wie groß der Hass zwischen den Kontrahenten geworden sei. Es handele sich um Menschen aus demselben Kulturkreis, die bisher nachbarschaftlich sehr eng zusammengelebt haben. Daher müsse man alles tun, um eine politische Lösung der Ukraine-Krise zu finden, betonte Erler.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Vor den Nachrichten haben sie die Reportage vielleicht schon gehört. Falls nicht, bringe ich Sie kurz auf den Stand. Unsere Osteuropa-Korrespondentin Sabine Adler ist der Frage nachgegangen, wie systematisch prorussische Kräfte im Osten der Ukraine Folter anwenden, und hat das Thema anhand eines Einzelfalls geschildert. Nichtregierungsorganisationen haben rund 4000 Fälle dokumentiert. Die Dunkelziffer aber, die dürfte weit höher ausfallen.
    Mitgehört hat Gernot Erler, der Russland-Beauftragte der Bundesregierung von der SPD. Herr Erler, schönen guten Morgen.
    Gernot Erler: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Prorussische Kräfte foltern im Osten der Ukraine. 4000 Fälle sind jetzt dokumentiert. Wie bewerten Sie diese Erkenntnisse des Deutschlandfunks?
    Erler: Erst mal muss ich sagen, dass ich tief geschockt bin über das, was ich heute gehört habe hier - nicht weil es generell außerhalb meiner Kenntnisse über die Vorgänge in der Ostukraine liegt, sondern weil es konkret ist. Dieser Fall von dem Tierarzt Ryschtschenkow ist ja dann noch mal was ganz anderes, wenn man Einzelheiten aus dem Munde eines Betroffenen hört, als wenn man irgendwelche Statistiken über strafwürdiges Vorgehen zur Kenntnis nimmt. Und ich finde das wichtig, dass in dieser Konkretheit das bekannt wird.
    "Das Problem liegt da vor allen Dingen bei den Beweisen"
    Heckmann: Aber auch das Ausmaß dieser Folter scheint ja größer zu sein als bisher bekannt. 4000 Fälle sind dokumentiert, ich habe es gerade eben gesagt. Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir über Foltervorwürfe berichten im Osten der Ukraine. Die internationale Gemeinschaft, die ist aber offenbar nicht in der Lage, das zu unterbinden?
    Erler: Ja, das Problem liegt da vor allen Dingen bei den Beweisen, die natürlich ein gerichtliches Vorgehen braucht. Wir sind seit Langem unterrichtet über extralegale unstandrechtliche Tötungen, über Folterungen und Erniedrigungen von Gefangenen, über Scheinerschießungen, schwere körperliche Misshandlungen, Vergewaltigungsdrohungen, Zwangsarbeit und so weiter. Das sind leider Dinge, die immer wieder bekannt werden. Aber jetzt liegt offenbar erstmals eine Dokumentation vor, die möglicherweise dann doch eine andere Qualität von gerichtlichem Vorgehen möglich macht. Das ist das von Sabine Adler hier auch genannte Dokument "Surviving Hell", die Hölle überleben, mit den Zeugnissen von Opfern auf 80 Seiten niedergelegt, und soweit ich weiß, liegt das bereits dem IStGH, dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag vor, oder soll dort vorgelegt werden, und das würde dann die Chance auch von einer konkreten Untersuchung beziehungsweise auch Anklage möglich machen, weil dort Klarnamen genannt werden in diesem Dokument.
    Heckmann: Es ist ja schwierig, Herr Erler, sich ein Bild von der Lage im Osten der Ukraine zu machen. War es vor diesem Hintergrund ein Fehler, die Annexion der Krim faktisch hinzunehmen, denn so lange prorussische Kräfte dort das Sagen haben, wird sich daran ja nichts ändern?
    Erler: Das ist ja noch mal ein anderes Gebiet, die annektierte Krim, wo es vor allen Dingen Schwierigkeiten und Verbrechen gibt gegen Minderheiten, vor allen Dingen die Krimtatarische Minderheit. Dieser Bericht konzentriert sich hier ja vollständig auf die Ostukraine. Ich denke, wir müssen unterscheiden zwischen einem politischen Prozess, der ja geprägt ist von diesem zweiten Minsk-Abkommen vom Februar letzten Jahres, und solchen Vorgängen, die nicht straffrei bleiben dürfen, die absolut nicht hinnehmbar sind und bei denen hier die internationale Welt, aber auch die vor Ort Verantwortlichen in die Pflicht genommen werden müssen. Ich finde schon auch wichtig, dass hier festgestellt wurde, dass russische Militärangehörige involviert sind in diese Verbrechen, und da, muss man klar sagen, gibt es eine russische Verantwortung. Die gibt es zumindest politisch auch für alles, was in der Ostukraine passiert, weil wir ja alle wissen, welchen großen Einfluss das hat. Und ich finde auch gut, dass darauf hingewiesen worden ist eben in dem Bericht, dass es natürlich auch eine ukrainische Verantwortung gibt. Wir haben auch diese Meldungen von Menschenrechtsverletzungen durch vor allen Dingen diese Freiwilligen-Bataillone. Frau Adler hat das Bataillon Asow, was sich da besonders hervorgetan hat, genannt. Bloß ist offenbar der Unterschied, dass zumindest Ermittlungen da stattfinden.
    "Was dieser Krieg angerichtet hat, das sehen wir jetzt hier an diesen Berichten"
    Heckmann: Auch die ukrainische Regierung ist offenbar nicht ohne Fehl und Tadel. Foltervorwürfe treffen auch diese Seite. Sie haben es gerade zurecht erwähnt. Sollte der Westen aber nicht wenigstens hier in der Lage sein, auf seinen Partner einzuwirken, dass so was nicht passiert?
    Erler: Dass so was nicht passiert, ich glaube, das Wichtige ist, dass Straffreiheit vermieden wird und dass darauf gedrungen wird, dass auch Anklage erhoben wird in den Fällen, wo das möglich ist, wo entsprechende Belege oder noch besser Beweise vorgelegt werden. Da ist bestimmt dieser Bericht, den ich genannt habe, eine neue Qualität, die es bisher nicht gab, und das macht für alle die Chance größer, dass tatsächlich auch Exempel statuiert werden, dass tatsächlich Verurteilungen stattfinden. Aber ich will Ihnen sagen, mir macht noch etwas anderes im Hintergrund davon Sorge. Wenn man das liest oder wenn man sich das anhört, was Herrn Ryschtschenkow zum Beispiel passiert ist, dann wird ja eines deutlich, wie groß inzwischen der Hass hier zwischen den verschiedenen Kontrahenten geworden ist, und das ist wirklich erschreckend, denn es handelt sich ja hier um Menschen aus demselben Kulturkreis, aus derselben Geschichte, aus derselben Vergangenheit, die bisher nachbarschaftlich sehr, sehr eng zusammengelebt haben, die sich wechselseitig Brudervolk genannt haben. Und was dieser Krieg angerichtet hat, das sehen wir jetzt hier an diesen Berichten, und ich finde, das muss uns noch mal bestärken und auch ermutigen, alles zu tun, damit eine politische Lösung für diesen Konflikt gefunden ist, der auch dann einhergeht mit einer Beendigung dieser Verbrechen.
    Heckmann: Prorussische Kräfte setzen ihre Folterpraxis im Osten der Ukraine fort. Das war der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler. Und wenn Sie mehr über das Thema erfahren wollen, dann gehen Sie auf unsere Internetseite und hören Sie unseren "Hintergrund" hier im Deutschlandfunk ab 18:40 Uhr.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.