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Food Revolution 5.0
"Mehlwürmer schmecken wirklich! Man muss sich nur trauen"

In der Küche haben Designer zuletzt vor allem zur elektrischen Aus- und Aufrüstung beigetragen. Dass es auch anders geht, zeigt die Ausstellung "Food Revolution 5.0" am Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. Dort besinnt man sich auf uralte Praktiken und kombiniert sie mit neuen ressourcenschonenden Zukunftslösungen.

Claudia Banz im Corsogespräch mit Tanja Runow |
    Andrea Staudacher: "Andrea’s Future Food Lab". "Food Revolution 5.0 - Gestaltung für die Gesellschaft von morgen".
    Andrea Staudacher: "Andrea’s Future Food Lab". (Simon Staehli)
    Tanja Runow: Um kaum etwas wird in den letzten Jahren ja so viel Brimborium gemacht wie ums Essen. Kochshows bis zum Umfallen und zu jedem gekauften Würstchen ein halber Entwicklungsroman gratis an der Theke. Der Kult um gute Ernährung kennt keine Grenzen. Interessant wird es da, wo man sich eingestehen muss, dass auch die Havelländer Apfelschweine möglicherweise nicht für alle reichen. Und die Makrelen aus nachhaltigem Wildfang trotzdem irgendwie aus überfischten Meeren geangelt werden. Also muss das Thema Ernährung vielleicht doch noch mal auf den Tisch? Unter etwas anderen Vorzeichen? Das hat sich jetzt das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe vorgenommen mit einer neuen Schau, die heute startet und von Claudia Banz kuratiert wurde. Guten Tag nach Hamburg.
    Claudia Banz: Ja hallo. Schönen guten Tag.
    Runow: "Food Revolution 5.0" haben Sie Ihre Ausstellung genannt - "Gestaltung für die Gesellschaft von morgen". Was für eine Revolution schwebt Ihnen denn da vor?
    Banz: Ja, also dieses "5.0", das steht tatsächlich dafür, dass wir glauben, dass die Digitalisierung, die smarte Revolution eigentlich den Menschen immer mehr obsolet macht, das heißt, wir müssen da eigentlich ein bisschen gegensteuern und natürlich ganz besonders bei allem, was mit dem Thema Essen und Ernährung zu tun hat. "5.0" bedeutet für uns, dass man neue Technologien mit altem Kulturwissen rund um das Essen wieder verbindet.
    "Es geht um Ressourcenschonung"
    Runow: Ja also, statt des "Smart Fridge", den wir aus der industriellen Entwicklung kennen, präsentieren Sie jetzt den autarken Kühlschrank, und das ist ein ziemlich archaisches Gerät, was so ohne Elektrizität und nur mit so einem Eisblock auskommt.
    Banz: Die autarke Küche mit dem Eisschrank, das geht eigentlich auch auf altes Wissen zurück. Also das kennt man vielleicht noch von seinen Großeltern, die sprachen ja auch früher eher immer vom Eiskeller oder vom Eisschrank, und nicht vom Kühlschrank. Es gab diese großen Eisblöcke, die man dort hineingelegt hat. Und so funktioniert jetzt auch der moderne Eisschrank. In dieser autarken Küche wird mit Gas gekocht. Es gibt ja eine Art Waschbecken, was in ein Pflanzenbeet eingebettet ist. Also es geht auch hier um Ressourcenschonung.
    Runow: Das sind jetzt viele praktische Beispiele, die Sie genannt haben. Aber wenn ich Sie richtig verstehe, dann gehen Sie schon davon aus, dass wir auch unsere Ernährungsgewohnheiten ein bisschen verändern sollten in den nächsten Jahren.
    Banz: Ja, also Sie haben ja vorher auch schon erwähnt, die Apfelschweine reichen vielleicht nicht für alle oder die Makrele aus den überfischten Gewässern. Also wir müssen schon überlegen, wir brauchen alternative Nahrungsquellen und da gibt es ja glücklicherweise eigentlich schon ganz gute Möglichkeiten, Stichwort Alge, Stichwort Insekten. Das sind natürlich Dinge, die jetzt, ich sag mal, hier im westlichen Kulturkreis noch nicht so verbreitet sind, beziehungsweise mit Ekel behaftet sind.
    "Insekten schmecken tatsächlich gut"
    Runow: Genau.
    Banz: Viele Designer beschäftigen sich aber damit. Und da kommen ziemlich spannende Sachen bei raus, weil Insekten schmecken tatsächlich gut, es gibt ein Projekt, das steht vielleicht ziemlich gut.
    Runow: Das heißt, Sie haben das schon probiert, ja?
    Banz: Ja. Ich habe das schon probiert und ich kann das nur weiterempfehlen.
    Runow: Was haben Sie gegessen?
    Banz: Also, wir haben Insekten gegessen.
    Runow: Welche denn?
    Banz: Wir haben Heuschrecken gegessen. Und wir haben jetzt auch Mehlwürmer gegessen und, ja, das kann man bei uns in der Ausstellung auch ein bisschen probieren. Insektenschokolade, wir zeigen auch eine Algenfarm, also das ist auch immer mehr im Kommen.
    Runow: Jetzt ist aber manches, was uns logisch, vernünftig erscheint, in der Praxis eben ein bisschen unappetitlich, wie Sie schon gesagt haben. Welche Rolle können denn da Designer spielen, um uns da vielleicht aufgeschlossener zu machen und die Dinge anders zu präsentieren? Nehmen wir mal die Gerichte aus Mehlwurmpaste zum Beispiel.
    Banz: Wir lassen uns ja ziemlich schnell eigentlich konditionieren und eigentlich - das finde ich das Spannende, auch an diesen Designprojekten - sie könnten helfen, also dass wir uns umkonditionieren in Bezug auf dieses Thema Insekten. Es gibt eine Designerin, die hat sich selbst einen 3D-Drucker gebastelt und hat die Mehlwürmer zu einer Art von Paste verarbeitet.
    Runow: Was für eine eklige Vorstellung aber.
    Banz: Ja, aber es schmeckt wirklich.
    Runow: Man darf nicht dran denken.
    Banz: Nein. Man muss sich trauen. Und sie hat dann, um uns selbst zu überlisten, hat sie gesagt, okay ich bringe das in eine uns vertraute Form und sie hat daraus einen Hasen gedruckt. Und den Hasen kennen wir, also das sieht aus wie ein Osterhase, ein Schokohase, aber tatsächlich ist er aus Mehlwurmpaste.
    Algenmaske zur Nahrungsaufnahme
    Runow: Es hat was sehr Spielerisches, wie Sie das präsentieren. Und neben diesen sehr bodenständigen Beispielen gab es auch welche, die wirklich skurril waren: Mir ist so ein Essgeschirr in Erinnerung, das einen durch seine Form zwingt, möglichst langsam zu essen, oder so eine Inhalationsmaske, die wie so eine riesige Alge aussieht. Das ist auch nicht immer alles todernst gemeint, oder?
    Banz: Ja und nein. Also wir zeigen auch ein ziemlich spekulatives Design. Diese Algenmaske, die Sie erwähnt haben - die finde ich persönlich ganz toll - die stülpt man sich sozusagen über das Gesicht, die hat so eine Art Mundstück und auch ganz viele Schläuche, in denen dann Algen leben und durch unseren Atem geben wir quasi den Algen Nahrung und gleichzeitig können wir uns von den Algen ernähren. Das finde ich eigentlich gar nicht so eine abwegige Idee für die Zukunft, dass wir unser Essen in der Form gleich mit uns herumtragen.
    "Am Ende des Tages geht es nur um Kommerz und Lifestyle"
    Runow: "Essen ist das neue Pop" - diesen Slogan, den greifen Sie in Ihrem Katalog auch auf. Ich erlebe diese neue Esskultur immer als etwas eher Elitäres. Mir fehlt da so ein bisschen der proletarische Aspekt des Pop. Wie geht Ihnen das?
    Banz: Es wird mir alles zu viel mit diesen ganzen Kochshows im Fernsehen und diesen ganzen verschiedenen ...
    Runow: ... Foodfestivals ...
    Banz: Ja, Foodfestivals. Und es hat auch sehr viel eigentlich mit Branding zu tun und - seien wir doch mal ehrlich - am Ende des Tages geht es tatsächlich einfach nur um Kommerz und um Lifestyle. Wir sind nicht in dieser Ausstellung genussfeindlich. Wir sagen auch nicht, wir müssen jetzt kein Fleisch mehr essen. Es geht wirklich, finde ich, einfach darum, das Ganze noch mal ein bisschen ins rechte Licht zu rücken. Und da müssen wir uns schon ziemliche Gedanken machen, das schwingt in der Ausstellung überall mit. Die Art und Weise, wie wir uns ernähren und wie unsere Lebensmittel transportiert und produziert werden, das trägt ganz entscheidend zur Umweltzerstörung bei. Wir müssen einfach versuchen, auf eine andere Art Genuss zu empfinden. Und jetzt ist einfach Pop und Genuss, das liegt einfach in der Verschwendung, in dem sorglosen Umgang mit Nahrung, also so empfinde ich das. Oder auch in den Kochshows, da wird einfach zelebriert, aber es wird zum Beispiel auch nicht wirklich Wissen vermittelt.
    Runow: Und da kann ich auch bei Ihnen ein bisschen was nachholen in der Ausstellung?
    Banz: Ich denke, wir bieten ein breites Spektrum. Und was ich auch noch besonders interessant finde: Die Designer, die wir eingeladen haben, das sind alles junge Designer. Und es geht ja um die Zukunft. Und da finde ich es auch ganz wichtig, die junge Generation zum Sprechen zu bringen - weil es ist ja auch noch ein Stück weit sehr viel mehr ihre eigene Zukunft ist als die, die wir jetzt schon etwas älter sind.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Die Ausstellung "Food Revolution 5.0" startet am 19. Mai und läuft dann bis zum 29. Oktober im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg.