Ute Meyer: Knapp eine Woche ist es her, dass nach zwei Todesfällen durch verkeimte Wurst der hessische Wursthersteller Wilke vorerst geschlossen wurde. Die Wurst, die durch Listerien-Bakterien verunreinigt worden war, ist in zahlreiche Bundesländer geliefert worden. An Supermärkte, abgepackt und für die Fleischtheken, an die Warenhauskette IKEA, an Altenheime - und in Köln ist selbst nach einer Rückrufaktion noch Wilke-Wurst in einem Krankenhaus serviert worden. Zur Zeit prüfen die Kreisveterinärämter quer durch Deutschland, ob sich noch verseuchte Wurst im Umlauf befindet. Außerdem werden 37 verdächtige Krankheitsfälle dahingehend überprüft, ob sie durch Listerien aus Wilke-Wurst verursacht wurden.
Die Verbraucherorganisation Foodwatch kritisiert, dass die Rückruf-Aktionen nicht konsequent genug vonstattengehen. Sie hatte ein Ultimatum gestellt, wonach die hessischen Behörden bis heute Mittag alle Namen der vom Rückruf betroffenen Produkte und Verkaufsstellen herausgeben sollten. Am Telefon ist Andreas Winkler, Sprecher von Foodwatch. Herr Winkler, das Ultimatum ist verstrichen, haben sie alle Namen der Produkte und Verkaufsstellen bekommen?
Andreas Winkler: Nein, bisher - Stand jetzt - liegen noch immer nicht alle Informationen auf dem Tisch. Wir wissen immer noch nicht genau, unter welchem Namen und an welchen Verkaufsstellen überall Wilke-Wurstwaren in den Markt gelangt sind, denn Wilke hat ja nicht nur unter dem Namen Wilke verkauft, sondern auch ganz viel nicht deklariert, also an Frischetheken zum Beispiel oder bei Caterern, in Kantinen, Restaurants und so weiter.
Weiterhin unklar, wo Wilke-Wurst gelandet ist
Meyer: Nun haben also die hessischen Behörden nicht das geliefert, was Sie gefordert haben. Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
Winkler: Wir prüfen das noch, ob wir jetzt in letzter Konsequenz dann auch rechtlich weiter vorgehen, denn für uns ist klar, in so einem Fall müssen wirklich alle Informationen auf den Tisch. Die Öffentlichkeit, die Verbraucherinnen und Verbraucher haben ein Recht zu erfahren, wo überall Waren aus diese Wilke-Wurstfabrik gelandet sind.
Meyer: Und wie erklären Sie sich die Verzögerung bei den hessischen Behörden?
Winkler: Der Fall wirft tatsächlich viele Fragen auf, wenn man sich mal den zeitlichen Ablauf allein anschaut. Am 12. August bereits hat das hessische Verbraucherministerium Informationen erhalten, dass es einen Listerienverdacht in dem Wilke-Wurstunternehmen gibt. Dann, erst sieben Wochen später, also vergangene Woche am 2. Oktober, gab es die Betriebsschließung und die öffentliche Rückrufwarnung. Damals hieß es aber überall nur, es geht um Produkte, die unter dem Namen Wilke verkauft wurden. Dabei wussten die Behörden eigentlich damals schon, dass eben Wilke auch unter anderem Namen oder auch nicht deklariert Wurst verkauft hat. Also, da war das wirklich sehr spät und unzureichend aus unserer Sicht.
Versäumnisse der Lebensmittelaufsicht
Meyer: Aber wie erklären Sie sich das? Wollen Sie den Behörden kriminelle Energie unterstellen?
Winkler: Weiß ich nicht, ob man da jetzt kriminelle Energie unterstellen muss. Der Fall zeigt aus unserer Sicht einfach exemplarisch auf traurige Weise, was bei Lebensmittelrückrufen alles schieflaufen kann: das Krisenmanagement und vor allem auch die Informationspolitik. Wir von Foodwatch fordern schon lange, dass Lebensmittelbehörden gesetzlich verpflichtet werden, von sich aus immer alle Informationen der Lebensmittelüberwachung zu veröffentlichen - ohne Verzögerungen und ohne Wenn und Aber und nicht irgendwie verklausuliert und versteckt auf irgendwelchen Internetseiten, die kein Mensch kennt. Wenn es solche aktiven Veröffentlichungspflichten für die Lebensmittelbehörden gäbe, dann wäre ein solcher Fall wie Wilke zumindest sehr viel unwahrscheinlicher.
Meyer: Es ist ja auch immer wieder die Rede von Unterbesetzung bei den Veterinärämtern, die stichprobenartig Lebensmitteluntersuchungen machen. Ist das auch ein Thema?
Winkler: Der Personalmangel ist definitiv auch ein Thema in der Lebensmittelüberwachung. Wir hatten das ja auch hier in dem Landkreis gesehen, dass gar nicht alle Kontrollen durchgeführt werden konnten, die eigentlich vorgeschrieben sind. Personalmangel ist das eine, das andere ist wirklich aus unserer Sicht die Transparenz. Denn klar ist ja auch, Lebensmittelkontrollen können immer nur stichprobenartig passieren. Wir können ja jetzt nicht jeden Wursthersteller jeden Tag kontrollieren. Und wenn Verstöße öffentlich würden, dann hätte das auch eine präventive Wirkung: Lebensmittelhersteller hätten wirklich einen Anreiz, sich jeden Tag an die Hygienevorgaben und an die lebensmittelrechtlichen Vorgaben zu halten.
Forderung nach umfassender Veröffentlichungspflicht
Meyer: Also, wir halten fest, laut Foodwatch bedarf es eines stärkeren Gesetzesrahmens, einer stärkeren Verpflichtung der Ämter, Lebensmittelverstöße wirklich namentlich bekannt zu machen. Habe ich das richtig verstanden?
Winkler: Genau! Wir fordern seit Langem, dass Behörden verpflichtet werden, immer alle Ergebnisse zu veröffentlichen. In Dänemark zum Beispiel gibt es so ein System, da werden wirklich alle Kontrollberichte veröffentlicht. Und das führt dazu, dass dieses Gesetz wirklich präventiv wirkt, dass Hersteller einen stärkeren Anreiz haben, sich an alle Vorgaben zu halten.
Meyer: Würden Sie so weit gehen, zu sagen: Solange es das in Deutschland nicht gibt, wird es weitere solcher Lebensmittelskandale geben?
Winkler: Das ist zu befürchten, das zeigt die Vergangenheit. Die Situation ist: Jedes Jahr wird in Deutschland ungefähr jeder vierte kontrollierte Lebensmittelbetrieb beanstandet, hauptsächlich wegen Hygienemängeln. Wir Verbraucherinnen und Verbraucher erfahren in aller Regel aber nicht, wer denn diese betroffenen Betriebe sind, denn das wird nicht veröffentlicht, es wird nur anonym die Statistik herausgegeben. Und solange das so ist, wird sich an diesen hohen Beanstandungsquoten ziemlich sicher auch nichts ändern.
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