Man müsse sich fragen, ob man sich erpressen lassen wolle, sagte Trittin, der im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages sitzt. Die Nato-Europäer gäben jedenfalls derzeit fast dreimal so viel Geld für Verteidigung aus wie Russland. Da könne man ruhig selbstbewusster auftreten, so Trittin. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen warf er vor, schon einmal vorsorglich "die Hacken zusammengeschlagen" zu haben, weil sie bereits signalisiert habe, dass sie die Forderungen der USA für berechtigt halte.
Statt sich darum zu bemühen, das vereinbarte Zwei-Prozent-Ziel bei der Verteidigung zu erreichen, sollte man sich dem Ziel von 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung für Entwicklungshilfe widmen, forderte Trittin. Die dafür benötigten fünf bis zehn Milliarden Euro seien "allemal besser investiert als Milliarden in neue Panzer, die dann irgendwo in Osteuropa herumstehen."
Falsche Strategie
Die derzeitige Ausstattung der Nato hält der Grünen-Politiker für angemessen. Er warf dem Bündnis eine falsche Strategie vor. In Zeiten, in denen die Herausforderungen vor allem durch asymmetrische Kriege erfolgten, sei es unnütz, klassische Aufrüstung zu betreiben. Man setze falsche Prioritäten, führte Trittin aus, "wir werfen zu viel Geld aus dem Fenster für traditionelle Abschreckung". Auch die Bundesverteidigungministerin verfolge eine absurde Politik, wenn sie für den Kauf neuer Panzer werbe.
Die USA drohen damit, ihr Engagement im Bündnis zurückzufahren, sollten die anderen Nato-Mitglieder auch künftig nicht, wie vereinbart, zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Verteidigung aufwenden.
Das komplette Interview zum Nachlesen:
Sarah Zerback: Das ist jetzt auch unser Thema mit Jürgen Trittin. Ihn begrüße ich am Telefon. Für die Grünen ist er seit vielen Jahren im Bundestag und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Guten Morgen, Herr Trittin.
Jürgen Trittin: Guten Morgen.
Zerback: Es kamen gemischte Signale. Ist die NATO nun obsolet oder ein grundlegendes Fundament für die USA? Was gilt jetzt?
Trittin: Ich glaube, dass die US-Regierung das will, was andere US-Regierungen auch wollten, dass nämlich die Europäer mehr Geld für Rüstung ausgeben. Für Deutschland hieße das 24 Milliarden mehr, die irgendwo anders abgezweigt werden müssen. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist: Bisher waren die USA innerhalb der NATO für die Europäer ein Stück Rückversicherung. Nun erweisen sie sich zunehmend als Faktor der Unsicherheit. Das zeigt sich in der neuen Administration, wo sehr einseitig und ohne Abstimmung und übrigens auch ohne Rechtfertigung neue Sanktionen gegen den Iran verhängt wurden. Das gefährdet einen der wichtigsten Schritte nuklearer Abrüstung der vergangenen Jahre. Wo man daran geht, die international akzeptierte Zwei-Staaten-Lösung in Israel und Palästina infrage zu stellen. Auch das dürfte die Spannungen eher befördern als beschwichtigen. Und schließlich redet der Chefstratege von Donald Trump im Weißen Haus davon, dass man in fünf oder zehn Jahren in einen Krieg im südchinesischen Meer ziehen wird. Das sind alles beunruhigende Signale. Und ich glaube, dass die Europäer hier nicht wegen ein paar warmer Worte zur NATO von Herrn Mattis sich in eine gefährliche Beruhigung flüchten dürfen.
Zerback: Gleichzeitig wissen wir aber auch, der US-Verteidigungsminister, der genießt durchaus auch ein hohes Ansehen in der neuen Trump-Administration. Kann es nicht sein, dass er sich mit seiner Sicht durchsetzt?
"Von der Leyen hat vorsorglich die Hacken zusammengeschlagen"
Trittin: Ich glaube, dass in der US-Administration zurzeit "bad Cop, good Cop" gespielt wird, teilweise in einer Person. Mattis hat gestern gesagt, wenn ihr Europäer nicht spurt, dann werden wir Leistungen reduzieren. Im Gegenzug hat dann Frau von der Leyen per "Süddeutsche Zeitung" verkündet, wir haben verstanden. Sie hat schon mal vorsorglich die Hacken zusammengeschlagen. Das ist alles ziemlich absurd, was da von der deutschen Verteidigungsministerin aufgeführt wird. Man muss sich mal klarmachen, dass ohne die Amerikaner die europäischen NATO-Mitglieder dreimal so viel für Sicherheit ausgeben wie ihr Hauptgegenüber: die Russen. Würde man die 24 Milliarden in Deutschland in die Hand nehmen und da investieren, wo Frau von der Leyen ja ihr zusätzliches Geld bevorzugt investiert, nämlich in neuen Panzern, dann würde Deutschland fast so viel wie Russland alleine für Rüstung ausgeben. Wir haben es hier mit einer Diskussion zu tun, die völlig aus den Fugen geraten ist.
Zerback: Gleichzeitig haben wir uns aber zum ersten schon 2014 dazu verpflichtet, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung zu investieren. Das tun wir bislang nicht, wir sind bei 1,2 Prozent. Und Union und SPD haben da schon ihr Okay gegeben. Ist es dann nicht auch eine Frage der Fairness den Partnern gegenüber, sich an diese Verabredung auch zu halten?
Trittin: Ich muss ein bisschen darüber schmunzeln, dass nun ausgerechnet von der deutschen Bundesregierung die Einhaltung der eigenen Verpflichtung gepredigt wird. Die Bundesrepublik Deutschland hatte sich vor über 15 Jahren verpflichtet, 2015 0,7 Prozent, also ein Drittel der Verteidigungspflichten, für Entwicklungszusammenarbeit auszugeben. Das tut die Bundesrepublik bis heute nicht. Und wenn ich mir die Welt anschaue, die um uns herum ist, wo wir es vor allen Dingen zu tun haben mit neuen Krisen und Konflikten, mit asymmetrischen Konflikten, mit zerfallenden Staaten, dann würde ich sagen: Die fünf bis zehn Milliarden, die man braucht, um das Entwicklungshilfeziel zu erreichen, die sind allemal besser investiert als 24 Milliarden in neue Panzer, die dann irgendwo in Osteuropa herumstehen. Tatsächliche praktische Sicherheitspolitik muss sich konzentrieren auf die tatsächlichen Gefahren. Und die tatsächlichen Gefahren für Europa, die gehen aus von Staatszerfall und von Bürgerkriegen an der südlichen Flanke. Und da spielt die NATO ganz wenig eine Rolle und Entwicklungspolitik eine sehr große. Insofern werden jetzt völlig falsche Prioritäten gesetzt.
Zerback: Sie zählen die Anforderungen auf. Sie sagen, es gibt gestiegene Anforderungen. Und darunter fällt auch der internationale Terrorismus. Die Art der Kriegsführung hat sich verändert. Da müssen wir uns doch vielleicht auch in unserer Art, uns zu verteidigen, darauf einstellen. Wäre das nicht angemessen?
"Problem ist die aktuelle Beschaffungspolitik der Bundeswehr"
Trittin: Da bin ich ja sehr bei Ihnen. Das Problem ist, dazu trägt die NATO und die aktuelle Beschaffungspolitik der Bundeswehr überhaupt nicht bei. Wenn ich es mit asymmetrischen Konflikten zu tun habe, dann kann ich nicht auf mehr Abschreckung setzen. Das ist aber das, was Frau von der Leyen und die Bundesregierung praktiziert. Dann muss ich investieren in eine Struktur, die zum Beispiel zivil-militärische Missionen befördert. Dann muss ich dafür sorgen, dass Staaten wie Tunesien oder Mali eine tatsächliche Entwicklungschance haben. Und in dem Rahmen brauche ich auch bestimmte Mengen an Militär. Nur all diese Einsätze in Mali beispielsweise werden gerade nicht von der NATO geführt, sondern sie werden geführt von beispielsweise der Afrikanischen Union. Sie werden kommandiert von den Vereinten Nationen. Und hier brauche ich auch keine Panzer; hier brauche ich Transport und hier brauche ich spezielle Kräfte, all das, woran es Deutschland mangelt. Ich finde es schon absurd, dass wir darüber diskutieren, neue Panzer zu beschaffen, während wir den Mali-Ansatz nach kurzer Zeit werden beenden müssen, weil wir dort nicht genügend Hubschrauber haben. Das sind schlicht und ergreifend die falschen Prioritäten. Wir werfen zu viel Geld aus dem Fenster für traditionelle Abschreckung und wir investieren zu wenig in einen zivil-militärischen Ansatz zur Kriseneindämmung.
Zerback: Aber das sind Prioritäten, die zumindest auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg auf dem Schirm hat. Er hat gestern gesagt, da muss es mehr Diskussionen für ein gemeinsames Engagement geben.
Trittin: Das hat er ja schön formuliert: Es müsse gemeinsam mehr Diskussionen geben. Es zeigt sich doch, dass genau diese Missionen die Missionen sind, die die NATO nicht kann. Und es ist, wenn Sie mir die Bemerkung erlauben, im Vorbericht ja davon geredet gewesen, dass die NATO in Afghanistan Kampfhandlungen beendet hat. Das habe ich anders abgespeichert. Schlicht und ergreifend ist in diesem Jahr die Zahl der bewaffneten Konflikte in Afghanistan auf einen neuen Rekord hochgelandet. Wenn das die Referenzgröße für die NATO sein sollte, ich hoffe das nicht, aber wenn es das sein sollte, dann wäre die NATO da ziemlich gescheitert.
Zerback: Dann lassen Sie mich doch auch mal das Gedankenexperiment wagen. Wenn die Grünen jetzt in der nächsten Legislaturperiode den Außenminister stellen oder den Verteidigungsminister, was ist dann mit Ihnen möglich an dieser Stelle?
"Die Frage ist, ob man sich erpressen lässt"
Trittin: Ich glaube, dass wir uns darauf konzentrieren müssen, die tatsächlichen Sicherheitsherausforderungen anzunehmen. Das sind Herausforderungen durch asymmetrische Konflikte im Süden. Das sind Herausforderungen, die man insbesondere im Rahmen der Vereinten Nationen und der Europäischen Union wird bewältigen müssen. Dafür braucht es Militär, dafür braucht es allerdings auch Polizei, etwas, was die NATO überhaupt nicht hat. Dafür braucht es Entwicklungshilfe. Das heißt, hier braucht es mehr Europäische Union. Und die NATO wird weiterhin das tun, was sie wirklich kann, nämlich kollektive Selbstverteidigung für die Sicherheit zwischen Staaten. Das ist das, was sie kann, dafür ist sie aber zurzeit sehr gut ausgestattet. Und wie gesagt: Wir geben für diesen Zweck fast dreimal so viel aus als NATO-Europäer als die Russen. Da, finde ich, kann man den Amerikanern auch mal mit Selbstbewusstsein gegenübertreten und sagen, wo ist denn der Bedarf, dass wir hier mehr leisten, nachdem wir dreimal so viel leisten wie der Russe.
Zerback: Wie schätzen Sie das denn ein? Hat Trump da das Potenzial, Europa tatsächlich zu einen oder zu spalten?
Trittin: Ich glaube, dass er es zurzeit versucht, schlicht und ergreifend die Europäer zu erpressen. Und die Frage stellt sich, ob man sich erpressen lässt.
Zerback: ... sagt Jürgen Trittin von den Grünen, seit vielen Jahren schon im Bundestag und Mitglied auch im Auswärtigen Ausschuss. Vielen Dank für das Gespräch heute in den "Informationen am Morgen".
Trittin: Guten Morgen.
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