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Forderung nach Einhaltung von Grundrechten auch bei den Kirchen

Die Arbeitsbedingungen in den beiden großen christlichen Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden sind in vielen Bereichen schlechter als in anderen Teilen der Wirtschaft, beklagt Ingrid Matthäus-Maier (SPD), Sprecherin der Kampagne "Gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz". Zusätzlich würden die Grundrechte in katholischen Einrichtungen massiv beschnitten.

Moderation: Silvia Engels |
    Silvia Engels: Wer für eine kirchliche Einrichtung tätig ist, etwa als Altenpfleger oder Sozialarbeiter, wird in der Regel nicht nach gewerkschaftlichem Tarifvertrag bezahlt. Die Löhne werden auf einem sogenannten Dritten Weg ausgehandelt, in paritätisch besetzten arbeitsrechtlichen Kommissionen, organisiert allerdings von der Kirche selbst. Die Kirchen verteidigen diesen Sonderumgang mit ihren Mitarbeitern mit Verweis auf das Grundgesetz. Die Gewerkschaften wollen das nicht länger hinnehmen. Das Bundesarbeitsgericht urteilt heute über eine Klage der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di.

    Die Meinungen, wie das Urteil heute fällt, sind geteilt. Experten wie der Bonner Juraprofessor Gregor Thüsing glauben beispielsweise an den Fortbestand der besonderen Stellung von Kirchen als Arbeitgeber.

    O-Ton Gregor Thüsing: "Gerichte haben es anerkannt, dass die Kirche bestimmt, was Loyalität für ihre Mitarbeiter erforderlich ist, was sie verlangen darf, um die Glaubwürdigkeit ihres Dienstes in der Öffentlichkeit vermitteln zu können. Ich bin sehr zuversichtlich, dass auch das Bundesarbeitsgericht weiterhin den Kirchen diese Freiheit gewähren wird."

    Engels: Der Bonner Juraprofessor Gregor Thüsing. – Und mitgehört hat die SPD-Politikerin Ingrid Matthäus-Maier. Sie hat sich in den letzten Jahren über ihre Arbeit als Sprecherin der Initiative "Gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz" auch mit diesem arbeitsrechtlichen Aspekt im Streit zwischen Kirchen und Gewerkschaften befasst. Guten Morgen, Frau Matthäus-Maier.

    Ingrid Matthäus-Maier: Guten Morgen, Frau Engels!

    Engels: Sind denn nun Kirchen in Ihrer Ansicht schlechte Arbeitgeber?

    Matthäus-Maier: Das ist unterschiedlich. Eines ist klar: Seit etwa zehn Jahren ist es insbesondere in der evangelischen Kirche so, dass Outsourcing, Lohndumping, schlechte Bezahlung sich verbreitet hat. Das ist auch nicht bestritten, wie ja die Interviews zeigen, das hat auch EKD-Präses Schneider öffentlich so gesagt. Das ist das eine.

    Das Zweite ist: In der katholischen Kirche ist mehr das Thema, das da Grundrechte beschnitten werden, also zum Beispiel der Chefarzt, der als Geschiedener wieder heiratet, fliegt raus, eine lesbische Mutter fliegt als Kindergärtnerin raus, der Organist, der einen Ehebruch begeht, fliegt raus. Diese Kombination ist so, dass der dritte Weg mittlerweile aus meiner Sicht heute ganz unerträglich ist. Und ich fand so nett den Satz des einen Herrn, der sagte: "Die Erfüllung der Aufgabe des Herrn ist nicht bestreikbar." Das will auch kein Mensch!

    Bestreikt werden soll die Diakonie, wenn sie schlechte Löhne zahlt, wenn sie Lohndumping vornimmt. Und die Argumentation des Herrn Fey, das ergebe sich aus dem Grundgesetz, das hat nun gerade das Landesarbeitsgericht Hamm widerlegt und das ist meine Meinung auch. Ich zitiere einen sehr kurzen kleinen Satz aus dem Grundgesetz, der sagt: "Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbstständig innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze." Da steht also ordnen und verwalten und nicht bestimmen, das ist ein weniger. Und innerhalb der Schranken, der für alle geltenden Gesetze, das ist Artikel neun, das Streikrecht, das ist Artikel zwei, das Selbstbestimmungsrecht, eins, Würde des Menschen, Religionsfreiheit, Artikel vier. Also wir sind in einer Zeit, wo dieser Dritte Weg überholt ist und die Rechte von ungefähr 1,3 Millionen Menschen – so viele arbeiten in den Kirchen und Diakonie und Karitas – müssen endlich gestärkt werden. Wer zum Beispiel als IT-Fachmann in der Diakonie austritt, der kann sofort gefeuert werden. Das kann ja nicht sein.

    Engels: Bleiben wir aber erst mal bei den arbeitsrechtlichen Aspekten, wenn Sie sagen, dass dieses Argument, dass die Loyalität, die man speziell bei christlichen Trägern von Arbeitnehmern verlangen kann, nicht so überdehnt werden kann. Bleiben wir dann beim Thema des Arbeitsrechtes. Da kam ja auch jetzt in dem Beitrag heraus, dass doch viele argumentieren, dass die Lohnforderungen und der Lohnausgleich bei diesem Dritten Weg in der Regel doch beim oberen Drittel des Gehaltes blieben, wie auch Tarifforderungen dann sich angleichen. Kann dann also dieses generelle Argument Lohndumping hier wirklich angeführt werden?

    Matthäus-Maier: Ich sagte schon eben: Selbstverständlich gilt nicht in der ganzen Kirche, evangelisch, katholisch oder Diakonie und Caritas, Lohndumping. Das ist sehr unterschiedlich. Aber zum Beispiel bei Altenpflegerinnen hat vor Kurzem sogar der CDU-Fraktionsvorsitzende Laumann zusammen mit ver.di einen großen Protest unterschrieben, dass die Unterbezahlung dieser Frauen – in der Regel sind es ja Frauen – nicht mehr erträglich ist. Es steht fest, dass die Bedingungen in diesen Bereichen schlechter sind als in vielen Teilen der Wirtschaft und insbesondere auch des öffentlichen Bereiches.

    Engels: Kaum ein Mitarbeiter einer kirchlichen Einrichtung ist derzeit aber auch Gewerkschaftsmitglied, obwohl er oder sie das natürlich sein dürfte. Spricht das nicht dafür, dass die Arbeitnehmer bei kirchlichen Trägern im Großen und Ganzen zufrieden sind?

    Matthäus-Maier: Nein, das spricht nicht dafür. Insgesamt ist ja der Organisationsgrad in den Gewerkschaften in Deutschland nicht besonders hoch. Aber trotzdem ist es so, dass die Tätigkeit der Gewerkschaften doch in vielen Bereichen, in allen Bereichen gerade auch durch Streik geschieht. Ich sage das mal, auch wenn man manchmal sich über den Streik ärgert, wenn der Zug nicht fährt oder was weiß ich irgendwas nicht funktioniert. Das ist doch eine wichtige Funktion und eine segensreiche Funktion in unserer Gesellschaft. Und da die meisten es nicht wagen, dagegen anzugehen, sind es Gewerkschaften, die für sie handeln müssen. Also dass der Dritte Weg in Sachen Gleichstellung der Arbeitnehmer in diesem Bereich etwa zum öffentlichen Dienst schlechter ist, das wird überhaupt nicht bestritten. Es gibt eine große Schrift von ver.di, in der in vielen Einzelheiten etwa die Arbeit der Kommissionen kritisiert wird. Da steht man sich nicht mit gleichem Visier gegenüber, Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Und gerade weil man fürchten muss, etwa bei einer Zuwiderhandlung gegen die religiösen Vorstellungen der Kirchen fürchten muss, dass man Repressionen erleidet, ist ganz wichtig, dass heute das Bundesarbeitsgericht sagt, auch die Grundrechte gelten in diesem sogenannten Dritten Weg.

    Sie sehen ja auch an dem Wort "dritter Weg", hier hat sich was ganz neues entwickelt. Zum Beispiel gilt hier auch überhaupt nicht das Betriebsverfassungsgesetz. Die Kirchen sagen, für Diakone und die Menschen in den oberen Bereichen, da gilt, dass es Tendenzträger sind, und die muss sie rauswerfen können, wenn die etwas sagen, was ihnen nicht passt. Das ist im Betriebsverfassungsgesetz für die Arbeiterwohlfahrt, für den Paritätischen Wohlfahrtsverband vorgesehen, aber doch nicht eine totale Nichtgeltung des Betriebsverfassungsgesetzes.

    Engels: Aber auf der anderen Seite heißt es ja auch aus der Kirchenargumentation heraus, das Privileg der Beschäftigung in dieser Form hatte jahrzehntelang Bestand und jetzt würde es angegriffen, ob das nicht vielleicht auch damit zusammenhänge, damit die Gewerkschaften ihren Mitgliederschwund bekämpfen.

    Matthäus-Maier: Ich glaube, das hängt damit zusammen, dass erstens die Menschen auch durch Medien wie Ihre mitbekommen, was da tatsächlich stattfindet, zum Beispiel auch Verstöße gegen Grundrechte. Ich nannte etwa solche, wo ein Organist 13 Jahre lang klagen muss, bis er vor dem Europäischen Gerichtshof recht bekommt, dass man ihn nicht rauswerfen darf aus der katholischen Gemeinde in Essen, weil er einen Ehebruch begangen hat.

    Und der zweite Grund ist der: Schauen Sie mal, das mag alles noch verständlich oder ohne Kritik gewesen sein, als 95 Prozent der Bevölkerung in der Kirche waren. Ich habe mir die neuesten Zahlen vorlegen lassen: 30,8 Millionen Menschen sind in Deutschland konfessionsfrei, also 23,7 Millionen in der katholischen Kirche und die gleiche Zahl in der evangelischen. Das heißt, wenn ich es mal so formulieren darf: Wenn sich die Konfessionsfreien, die 30 Millionen, als Konfession verstünden, was sie ja nicht tun – das wollen sie auch nicht, aber ich sage das nur als Gedankenspiel -, dann wäre das die größte Konfession, die wir in Deutschland haben. Was will ich damit sagen? – Dieses Denken, wir sind ein Staat, in dem die säkularen Inhalte gelten, in dem in der Verfassung steht, es gibt keine Staatskirche, das setzt sich langsam in den Köpfen fest.

    Engels: Andererseits wissen alle Mitarbeiter, die sich bei der Kirche oder einem kirchlichen Träger bewerben, dass die Weltanschauung der Mitarbeiter beim Arbeitsvertrag zugrunde liegt.

    Matthäus-Maier: Da haben Sie recht. Aber ich lebe zum Beispiel in einer Gegend im katholischen Rheinland, wo sie das Beispiel gerade hatten: Eine Kindergärtnerin, hoch beliebt, wird rausgeworfen, weil sie nach 20 Jahren Ehe diese aufgibt und zu einem Freund zieht. Die Zeiten sind vorbei! Und dass Sie das unterschreiben müssen, liegt daran, dass in dieser Region die meisten Kindergärten zum Beispiel katholisch oder evangelisch sind (bei den evangelischen ist das nicht so, was diesen Teil angeht). Das heißt also, Sie werden gezwungen, wenn Sie nicht umziehen müssen, irgendwo anders hinzugehen, einen Arbeitsplatz zu finden, in diesen Bereichen dieses zu unterschreiben, und hängen dann 14, 20, 30 Jahre Ihres Lebens fest. Das nenne ich eine Zwangskonfessionierung.

    Engels: Ingrid Matthäus-Maier zum heute anstehenden Urteil vor dem Bundesarbeitsgericht. Vielen Dank für das Gespräch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Ingrid Matthäus-Maier bei der Jahresauftakt-Pressekonferenz der KfW Bankengruppe in Frankfurt
    Ingrid Matthäus-Maier (picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst)