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Forderung nach Neuwahl
Proteste in Georgien von Polizei aufgelöst

Die Menschen in Georgien sind wütend: Eine versprochene Wahlrechtsreform wurde vergangene Woche doch noch gekippt. Die Demonstranten fordern deshalb den Rücktritt der Regierung und vorgezogene Neuwahlen – nach dem neuen Wahlrecht.

Gesine Dornblüth im Gespräch mit Katharina Peetz |
Polizisten und Demonstranten stehen sich gegenüber. Die Polizei setzt Wasserwerfer ein.
Die Demonstranten forderten den Rücktritt der georgischen Regierung und vorgezogene Neuwahlen. (dpa / Shalamov)
Katharina Peetz: Mehr als 20.000 Menschen haben am Sonntag an einer der größten Antiregierungsdemonstrationen der vergangenen Jahre in der georgischen Hauptstadt Tiflis teilgenommen. Sie sind wütend, denn eine von der Regierung angekündigte Wahlrechtsreform soll nun doch nicht kommen. Gestern gingen die Proteste weiter, die Polizei setzte unter anderem Wasserwerfer ein und nahm einige Demonstranten fest. Ich bin jetzt verbunden mit meiner Kollegin Gesine Dornblüth, die die Situation in Georgien beobachtet. Frau Dornblüth, was genau fordern die Demonstranten?
Gesine Dornblüth: Ja, zuerst natürlich die versprochene Reform des Wahlrechts – und zwar jetzt, also vorgezogen, und nicht, wie schon vor längerer Zeit beschlossen, erst 2024. Zurzeit gilt in Georgien ein gemischtes Wahlverfahren, das heißt, die Hälfte der Mandate wird direkt gewählt in den Wahlkreisen. Stattdessen sollen künftig alle Sitze nach dem Verhältniswahlrecht bestimmt werden. Und die Menschen fühlen sich nach dieser unerwarteten Kehrtwende letzte Woche betrogen. Deshalb gehen ihre Forderungen jetzt weiter: Sie fordern den Rücktritt der Regierung, eine Übergangsregierung, vorgezogene Neuwahlen nach dem neuen Wahlrecht. Und regulär wären die Parlamentswahlen erst im Herbst 2020 in Georgien.
Vertrauensbruch zwischen den politischen Parteien
Peetz: Und wieso jetzt diese Wahlrechtsreform? Was versprechen sich die Demonstranten davon?
Dornblüth: Diese Wahlrechtsreform, die ist eigentlich schon beschlossen worden, aber eben erst für 2024. Dann gab es im Sommer ja schon mal Proteste in Georgien, große Demonstrationen, und da war das eine Kompromisslösung gewesen, die die Regierung vorgeschlagen hatte, dass dieses reine Verhältniswahlrecht eben schon früher eingeführt werden soll, nämlich nächstes Jahr. Und das Argument ist, die Opposition sagt, das jetzige, bestehende Wahlrecht, das bevorteile die bestehende Regierungspartei, weil es einfacher ist für Oligarchen eben in den einzelnen Wahlkreisen an Stimmen zu kommen.
Deswegen möchte gerne die Opposition eine Änderung. Die Regierung ihrerseits weist das zurück und sagt – zu Recht übrigens –, dass es schon mal, bei der Parlamentswahl 2012 nämlich in Georgien, einen friedlichen Machtwechsel gegeben hat – und zwar nach dem bestehenden Wahlrecht. Also, es ist nicht so, dass das Wahlrecht entscheidend wäre darüber, wer in Georgien regiert.
Interessant ist in dem Zusammenhang auch ein Statement des EU-Botschafters Carl Hartzell. Der hat letzte Woche gesagt, die EU wolle nicht bewerten, welches Wahlsystem das Bessere sei, er sprach aber von einem Vertrauensbruch zwischen den politischen Parteien, wenn das neue Wahlrecht nicht komme, nachdem es eben so breit angekündigt worden war und dafür ausschlaggebend war, dass die Leute von der Straße gegangen sind im Sommer.
Peetz: Jetzt haben Sie gesagt, es geht einmal um diese Wahlrechtsreform. Aber mittlerweile eben auch um den Rücktritt der Regierung beziehungsweise man fordert auch vorgezogene Neuwahlen. Wie realistisch schätzen Sie das ein?
Dornblüth: Zurzeit sieht es nicht danach aus, dass die Regierung den Forderungen nachgibt. Gestern, das haben Sie erwähnt, ist die Polizei ja mit Wasserwerfern vorgegangen, hat den Platz geräumt vor dem Parlament. Nach offiziellen Angaben gab es dabei 37 Festnahmen, sechs Verletzte, davon zwei Polizisten. Zuvor hatten die Demonstranten das Parlament blockiert, es kam wirklich kein Abgeordneter mehr hinein. Die Regierung steht auf dem Standpunkt, dass das mehr als ein friedlicher Protest ist, und hat deshalb räumen lassen. Das Parlament hat dann auch gestern die Arbeit wiederaufgenommen, und der Parlamentspräsident Archil Talakvadze ist in seiner Rede dann ganz deutlich geworden, er hat gesagt, die Wahlen 2020 werden wie geplant stattfinden, sie werden demokratisch sein mit fairem Wettbewerb, aber nach dem derzeit bestehenden Wahlrecht.
Niederlage für Parteivorsitzenden
Peetz: Häufig richtet sich die Kritik ja vor allem gegen Bidsina Iwanischwili, der gilt so als starker Mann hinter der Partei Georgischer Traum. Wie groß ist denn sein Einfluss in Georgien tatsächlich?
Dornblüth: Er ist offiziell Parteivorsitzender von Georgischer Traum, das hatte er zwischenzeitlich mal abgegeben, weil er nämlich selber, wie er sagt, eigentlich gar kein großer Politiker ist, Politik ist nicht wirklich seins. Er hat aber sehr viel Geld, er zieht Fäden hinter der Kulisse. Und die Kehrtwende letzte Woche bezüglich der Wahlrechtsreform, das war auch eine Niederlage für ihn, er hat sich dementsprechend geäußert hinterher, er bedauere diese Entscheidung sehr, denn für ihn geht es um Glaubwürdigkeit auch gegenüber den europäischen Partnern. Er hatte ja im Sommer versprochen, dass diese Wahlrechtsreform vorgezogen kommen solle. Jetzt ist die Frage – nach der Entscheidung der letzten Woche –, ob er seine Partei wirklich im Griff hat.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.