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Forderung nach Obergrenzen
"Populistisch und nicht umsetzbar"

Die CSU-Forderungen nach einer Flüchtlings-Obergrenze seien "nicht realistisch, sondern eher auf das Konto von Populismus zu schreiben", sagte der SPD-Innenpolitiker Lars Castellucci im DLF. Die Entscheidung Österreichs für Obergrenzen verstehe er als Hilferuf in Richtung Europa nach einer gemeinsamen Antwort auf die Flüchtlingsfrage.

Lars Castellucci im Gespräch mit Peter Kapern |
    Asylbewerber aus Syrien laufen am 18.12.2015 mit ihrem Gepäck zur der Kirche St. Maria der Stiftung Liebenau in Liebenau (Baden-Württemberg). In Liebenau sollen 60 Asylbewerber zunächst für ein Jahr unterkommen.
    Flüchtlinge aus Syrien kommen im baden-württembergischen Liebenau an. - Man sei noch weit entfernt davon, die Asylverfahren in Deutschland auf drei Monate zu verkürzen, sagte Lars Castellucci, SPD, im Deutschlandfunk. (dpa/picture alliance Felix Kästle)
    Peter Kapern: Bei uns am Telefon ist Lars Castellucci, SPD-Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Innenausschuss des Bundestages. Guten Abend!
    Lars Castellucci: Schönen guten Abend.
    Kapern: Herr Castellucci, fassen wir doch mal das Geschehen an den beiden Brennpunkten Wildbad Kreuth und Wien zusammen. Die Bundeskanzlerin wird bei der CSU in die Mangel genommen und Österreich verkündet eine Obergrenze für Flüchtlinge. Wie lange hält die Kanzlerin dem Druck wohl noch stand?
    Castellucci: Das müssten Sie die Kanzlerin fragen. Aber die Kanzlerin wird auf jeden Fall Dinge machen, die gehen, und die Forderungen aus München sind ja nicht realistisch, sondern eher auf das Konto von Populismus zu schreiben und sind nicht umsetzbar. Deswegen bleibt gar keine andere Wahl, als an dem festzuhalten und Haltung zu bewahren, was man sich vorgenommen hat, und das ist ein großer Baukasten an unterschiedlichen Maßnahmen, die bei den Fluchtursachen beginnen und am Ende bei der Frage von Integration in Deutschland enden.
    "Es hat keinen Sinn, wenn jeder einzeln Grenzen hochzieht"
    Kapern: Aber die CSU fordert ja nichts anderes als das, was Wien jetzt in die Tat umsetzt. Warum ist das dann nicht realistisch, wenn man es doch in der Realität offenbar so machen kann?
    Castellucci: In Wien, wenn man sich anschaut, was die verabredet haben, dann ist dort von einem Richtwert die Rede, und dieser Richtwert lässt weiterhin offen, was eigentlich passiert, wenn er überschritten wird. Es soll dort außerdem auch noch verfassungsrechtlich geprüft werden, ob diese Forderung umsetzbar ist. Insofern müssen wir, was Österreich angeht, auch noch mal abwarten.
    Ich verstehe das, wenn ich das freundlich interpretieren möchte, was in Österreich passiert, so, dass das noch mal ein Hilferuf oder ein Fingerzeig in Richtung Europa ist, endlich zu gemeinsamen Anstrengungen zu kommen. Wir dürfen da nicht weiter auseinanderlaufen, sondern diese Frage betrifft uns alle und es braucht eine europäische gemeinsame und geschlossene Antwort.
    Es hat keinen Sinn, wenn jeder einzeln isoliert versucht, Grenzen zu ziehen, Mauern hochzufahren und so weiter, und die Flüchtlinge laufen dann dagegen. Wir müssen die Verfahren von Grund auf gut organisieren und den Menschen auch diese Strapazen ersparen, die sie derzeit in Europa haben.
    Kapern: Und wenn Sie zu einer unfreundlichen Interpretation der Ereignisse heute in Wien eingeladen werden von mir, wie würde die dann klingen? Ist dann dort in Wien heute das Fundament für eine solche Mauer, wie Sie sie gerade sehr negativ beschrieben haben, gegossen worden?
    "Ein weiterer Baustein, wo man sieht, dass Europa auseinanderläuft"
    Castellucci: Wenn ich das kritisch betrachte, dann ist das wie an anderen Stellen auch, wo es dann um die Frage von Grenzkontrollen trotz Schengen und so weiter geht, einfach ein weiterer Baustein, wo man sieht, dass Europa derzeit auseinanderläuft. Das ist aber das Gegenteil, was wir brauchen. Wir müssen uns zu gemeinsamen Strategien durchringen und ich sage jetzt auch mal, Länder die da nicht mitziehen wollen, die sollen dann eben andere Aufgaben in Europa stärker übernehmen.
    Wenn die Polen keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, dann wollen die vielleicht einen Beitrag stärker dazu leisten, dass die Grenzen gesichert werden, und andere Länder, die sich zutrauen, mit dieser Migration umzugehen, die können dann in diesem Bereich ihrer Pflicht und ihrer humanitären Verantwortung gerecht werden. Wir müssen an den Fluchtursachen, an den Gründen, dass Menschen fliehen müssen, da müssen wir ran, damit wir von diesen hohen Zahlen, die wir heute haben, runterkommen. Das müssen wir machen, nicht zuletzt wegen der Menschen, um die es dabei geht.
    Kapern: Aber, Herr Castellucci, das, was Sie jetzt wortreich geschildert haben, erstens die Hotspots müssen aufgebaut werden, zweitens Flüchtlinge müssen fair verteilt werden, und drittens haben Sie wieder Vorschläge gemacht, was mit den Ländern zu geschehen habe, die bei dieser Sache nicht mitziehen wollen, was ja nicht wenige Länder sind innerhalb der Europäischen Union, das haben die Menschen in Deutschland nun in den vergangenen Monaten so häufig gehört, und nichts, aber auch gar nichts hat sich in diesem Sinne bewegt. Warum sollte sich das überhaupt noch ändern?
    "Wir haben selber noch ganz viele Hausaufgaben zu machen"
    Castellucci: Es ist schwierig und das kann man so durchaus auch festhalten. Nichts bewegt ist allerdings nicht richtig. Es sind ganz kleine Schritte und wir müssen nicht nachgeben, diese Sachen weiterzugehen. Wir haben im Übrigen auch selber noch ganz viele Hausaufgaben zu machen, müssen gar nicht auf andere zeigen. Wir haben uns vorgenommen, die Asylverfahren in Deutschland auf drei Monate zu verkürzen; davon sind wir noch sehr weit entfernt.
    Das führt dazu, dass die Menschen hier viel zu lange warten müssen, bis klar ist, ob sie überhaupt hier bleiben können, und an dieser Stelle ist insbesondere der Innenminister gefordert und natürlich der neue Leiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Das sind Hausaufgaben, an denen wir in Deutschland auch noch zu arbeiten haben. Gleichzeitig gibt es den Fuß in der Tür mit einem Verteilungsschlüssel, der für 160.000 Flüchtlinge zugunsten der Länder Italien und Griechenland schon verabschiedet wurde.
    Kapern: Von denen 300 verteilt worden sind bisher.
    Castellucci: Ja, es ist sogar noch schlimmer. Es ist nämlich so, dass wir mit der Wiedereinführung der Dublin-Prüfung natürlich jetzt Menschen versuchen, aus Deutschland wieder nach Italien zurück zuschieben, die über Italien zu uns gekommen sind, und gleichzeitig wird versucht, Menschen, die in Italien angekommen sind, über diesen Verteilungsschlüssel, über dieses Kontingent von 160.000 wieder gerechter in Europa zu verteilen. Das ist ein schlechter Zustand.
    "Nationalstaatliche Einzelmaßnahmen sind kein sinnvoller Beitrag"
    Auf jeden Fall sind nationalstaatliche Einzelmaßnahmen, die da stattfinden, kein sinnvoller Beitrag und populistische Forderungen nach Obergrenzen, bei denen ja keiner sagt, wie das am Ende durchgesetzt werden soll und was passiert, wenn die Obergrenze erreicht wird, die helfen uns nicht weiter. Deswegen muss dieses gegeneinander laufen und sich die Dinge so gegenseitig zuschieben, das muss jetzt aufhören. Wir müssen die Dinge, die wir verabredet haben, jetzt mit aller Konsequenz umsetzen.
    Kapern: Herr Castellucci, können Sie sich irgendwelche Bedingungen oder Entwicklungen vorstellen, vor deren Hintergrund die SPD in der Lage wäre zu sagen, Deutschland muss jetzt auch seine Grenzen dicht machen?
    Castellucci: Das ist eine Frage, die stelle ich mir so nicht. Wir haben ja unseren Koalitionsvertrag, wir haben die Vereinbarung zu den Asylpaketen, wir haben jetzt gerade festgelegt einen Integrationspakt, also wir arbeiten hart an den Themen und wir verlieren uns jetzt nicht in irgendwelchen Hypothesen, was wir irgendwann machen, wenn irgendwas noch mal ganz schwierig wird.
    Kapern: Und was, wenn die CSU bei ihrer Position bleibt? Läuft das dann auf ein Ende der Koalition hinaus?
    Castellucci: Jetzt schauen wir mal in den März, da sind Landtagswahlen, und ich glaube, das gibt Ihnen schon so eine kleine Antwort darauf, was da in Bayern gerade passiert. Es wird einfach jetzt ein bisschen unruhig werden noch in den nächsten Wochen und da wird vielleicht auch ein bisschen mit verteilten Rollen gespielt. Die sollen erst mal wieder auschecken in Wildbad Kreuth und sich an die Arbeit machen und dann wird sich das möglicherweise auch wieder ein bisschen beruhigen.
    Kapern: Lars Castellucci, für die SPD Mitglied im Innenausschuss des Bundestages. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.