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Forderung von Ordensfrauen
"Kein Zurück in die Kirche vor Corona"

Zehn Ordensfrauen fordern öffentlich Reformen. Seit Wochen müssen sie ohne die tägliche Messe auskommen - und stellen fest, dass sie weder Eucharistie noch Priester vermissen. "Bitten nützt nichts, wir müssen schreien, wenn sich etwas ändern soll", sagte Susanne Schneider, eine der Autorinnen, im Dlf.

Susanne Schneider im Gespräch mit Christiane Florin |
Kirchenbesucher mit gefalteten Händen zwischen Kirchenbänken
Susanne Schneider will nicht weiter etwas Äußeres praktizieren, "was innen hohl und morsch ist", so die Theologin im Dlf. (picture alliance/dpa/Christoph Schmidt)
Zehn Ordensschwestern haben im theologischen Online-Feuilleton Feinschwarz einen Text über ihre Gedanken in der Coronakrise veröffentlicht, der stark diskutiert wird. Denn die frommen Frauen geben zu: Viele von ihnen haben während der Corona-Krise den täglichen Gottesdienst mit dem Priester am Altar nicht vermisst. Regeln, deren Einhaltung vorher selbstverständlich war, stellen sie nun in Frage.
Die Kanzel im Wetzlarer Dom
Sibylle Lewitscharoff - „Predigt-Sprache ist verkommen“
Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff wirft den Kirchen vor, "lendenlahm" zu predigen. "Als würde die Predigt in Lenor gewaschen", sagte sie im Dlf.
"Corona ist eine Art Stoppschild, ein Hinweis. Wir können nicht weitermachen wie bisher", sagte Susanne Schneider, eine der Verfasserinnen, im Dlf. Man müsse sich davon verabschieden, "etwas Äußeres zu praktizieren, was innen hohl und morsch ist. Es gibt kein Zurück in die Kirche vor Corona." Susanne Schneider ist Theologin, seit 21 Jahren gehört sie dem Orden der Missionarinnen Christi an. Normalerweise gehen sie und ihre Mitschwestern täglich in einer Münchner Kirche in die Messe, Corona macht dies unmöglich. "Nicht alle von uns waren wahnsinnig traurig darüber, dass sie nicht mehr in die Messe können", erzählt sie. Als sie dies öffentlich zugegeben haben, habe es viele Reaktionen geben, zustimmende und irritierte. Das Modell Eucharistie stehe nun "auf dem Prüfstand".
Die Theologin Susanne Schneider gehört zum Orden der Missionsschwestern Christ. Sie lebt in München. 
Die Theologin Susanne Schneider gehört zum Orden der Missionsschwestern Christi (Privat)
Corona habe sie grundsätzlicher über Gewohnheiten nachdenken lassen. "Dieses Modell: Die Kirche weiß, wie das Leben geht, ist vorbei", sagte sie. Corona zeige auch, dass man eben nicht auf alles sofort eine Antwort habe. Sie selbst habe ihre Biografie und ihren Glauben in der Kirche gefunden, aber sie verstehe Menschen, die nicht mehr Kirchenmitglied bleiben wollten. "Die treten nicht aus, wie ihnen manchmal vorgeworfen wird, aus niederen Motiven, sondern weil sie in der Kirche das, was sie suchen - da würde ich mal hoffen, dass das Gott ist - nicht finden." Seit einigen Tagen sind die aktuellen Austrittszahlen bekannt. Knapp 273 000 Menschen haben die katholische Kirche im Jahr 2019 verlassen - ein Rekordwert.
Ist Gott aus der Kirche ausgetreten?
Susanne Schneider erinnerte an den Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch - der habe vor vielen Jahren behauptet: Gott ist aus der Kirche ausgetreten. Dieser Ansicht ist sie zwar nicht, aber es gebe in der kirchlichen Hierarchie immer noch zu viele, die meinen: "Ich sage jetzt, wie es läuft und dann werden mir die Menschen folgen." Das beruhe nicht auf Argumenten oder auf dem Wunsch, andere zu überzeugen, sondern auf Machtdenken von Amtsträgern. "Das geht alles nicht mehr", so Schneider.
Dr. Olivia Mitscherlich-Schönherr
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Christen lebten vom Tisch des Wortes und vom Tisch des Brotes. Es gebe jedoch eine Verengung auf den Tisch des Brotes, verbunden mit einer überzogenen Wertschätzung des Priesteramtes. Das gemeinsame Bibellesen dagegen - der Tisch des Wortes - sei zu wenig geschätzt worden. "Wir Ordensfrauen haben erlebt, wie abhängig wir von einem geweihten Kleriker sind und das, obwohl wir ansonsten alles selbst verantworten. Aber wenn es ums Spirituelle geht, muss ein Mann her. Das kritisieren wir." Sie wünsche sich, dass bei Berufungen die Fähigkeit entscheide und nicht das Geschlecht.
Auf die Frage, ob sie glaubt, dass ihre Wünsche zu Lebzeiten Wirklichkeit werden, antwortete Schneider: "Die Aussichten sind sehr gering, ich bin Theologin. Ich weiß, wie dicke Bretter das sind. Andererseits gibt es die Forderungen schon lange, aber neu ist, dass nun auch Ordensfrauen ihre Stimme erheben." Es geht nicht mehr, brav und gehorsam zu sein. Die bisherige Strategie, um Veränderungen zu bitten, sei zum Ende gekommen.
"Bitten nützt nichts", bilanzierte die Ordensfrau im Interview. "Wir haben den Eindruck: Wenn wir nicht schreien, passiert nichts."