Peter Kapern: Heute Abend kommt der griechische Außenminister Nikos Kotzias nach Berlin. Im Gepäck hat er vor dem Hintergrund des Schuldendramas in seiner Heimat eine Forderung, die seine Partei, die Syriza, seit langem erhebt. Deutschland müsse Griechenland Reparationen zahlen, als Wiedergutmachung für einen Zwangskredit, den die Wehrmacht nach der Besetzung Griechenlands 1942 der griechischen Notenbank abgepresst hat, und als Wiedergutmachung für die Massaker, die die deutschen Besatzer in Griechenland angerichtet haben. Insgesamt elf Milliarden, so die jüngste Forderung aus Athen, müsse Berlin zahlen. Doch die Bundesregierung will davon nichts wissen, anders als der Chefökonom der Syriza.
Am Telefon ist Matthias Hartwig vom Max-Planck-Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Guten Tag, Herr Hartwig.
Matthias Hartwig: Guten Tag.
Kapern: Wie ist denn nun die Sache? Hat Griechenland da noch eine Reparationsrechnung mit Deutschland offen?
Hartwig: Da kann man schon gleich die erste Frage stellen: Geht es hier um Reparationen? Reparationen sind ja dann Zahlungen für im Krieg entstandenes Unrecht, und wenn ein solches Unrecht entstanden ist, wird das in der Regel dann in einem Vertrag nach dem Kriege geregelt, dass dann in der Regel der Kriegsverlierer Entsprechendes zu begleichen hat. Im konkreten Fall, was dieses Darlehen anbelangt, geht es ja gerade darum, dass nach griechischer Auffassung das nicht unter die allgemeinen Reparationen fällt, sondern ein besonderer Kreditvertrag war, der zwischen dem Deutschen Reich und Griechenland geschlossen worden ist und als solcher Kreditvertrag zu behandeln ist.
Kapern: Jetzt kennen wir die griechische Rechtsauffassung in dieser Frage, wir kennen die deutsche Rechtsauffassung in dieser Frage, also die der Bundesregierung. Die sagt auch, dieser Zwangskredit von damals, der fällt unter Reparationsrecht, ist erledigt. Aber Ihre Rechtsauffassung, die kennen wir noch nicht.
Hartwig: Ja. Ich persönlich bin der Auffassung, dass dieser Kredit zunächst einmal während der Besatzungszeit Griechenlands durch das Deutsche Reich abgeschlossen worden ist und sicherlich als Vertrag gesehen werden muss, welcher nicht auf Augenhöhe geschlossen wurde, also insofern sicherlich, wenn man es so nennen möchte, ein ungleicher Vertrag zwischen Deutschland und Griechenland, und das lässt sich auch damit belegen, dass der Kredit seinerzeit zinslos gegeben worden ist. Von daher gesehen sprechen sehr gute Gründe dafür, diesen Vertrag als einen Teil des Kriegsunrechts anzusehen, mit der Folge, dass eine Wiedergutmachung im Rahmen von Reparationszahlungen zu erfolgen hat.
"Die griechische Position ist etwas widersprüchlich"
Kapern: Noch mal nachgefragt: Allein die Tatsache, dass die damalige griechische Regierung zu einem so schlechten Vertrag gezwungen worden sein muss, hält jetzt als Begründung dafür her, dass sie kein Recht auf Wiedergutmachung hat oder auf Rückzahlung?
Hartwig: Tatsächlich findet die Argumentation hier mit vertauschten Rollen statt. Die Griechen sagen, es ist ein ganz normaler völkerrechtlicher Vertrag, aus dem entsprechende Zahlungsverpflichtungen der Bundesregierung erfolgen oder der Bundesrepublik erfolgen. Und die Bundesrepublik sagt, nein, das ist eben kein normaler völkerrechtlicher Vertrag, sondern Deutschland war "so böse", dass es hier den Griechen etwas aufgedrückt hat, was nur zu erklären ist aus dem deutschen Verhalten als Besatzungsmacht, und von daher gesehen fällt das unter die Reparation. Das hat auch eine Auswirkung auf diese Zinsfrage, die ja in dem Vorspann angesprochen worden ist. Dieser Vertrag seinerzeit ist dahingehend geregelt worden, dass keine Zinsen zu zahlen sind. Die Griechen rechnen ihre Summe jetzt so hoch, dass gewissermaßen Zinsen hätten gezahlt werden müssen, aber die stehen gerade nicht im Vertrag drin. Das heißt, die griechische Position ist insofern etwas widersprüchlich.
Kapern: Aber wenn doch die Griechen zur Unterzeichnung des Vertrages gezwungen worden sind, sprichwörtlich mit der Waffe vor dem Bauch?
Hartwig: Dann kann man sagen, dann ist das eben ein Kriegsunrecht und würde über Reparationen zu regeln sein.
Kapern: Dann ist Deutschland fein raus?
Hartwig: Bitte?
Kapern: Da ist Deutschland fein raus!
Hartwig: So könnte man das sagen, weil dann kommen wir auf die Frage der Reparationen. Genau so ist das ja, das ist die Absurdität dieser Konstellation.
Kapern: Nun haben Sie es gesagt: Da gibt es die eine Rechtsauffassung in Berlin, der Sie, wenn ich Sie richtig verstanden habe, auch zuneigen. Dann gibt es eine weitere Rechtsauffassung in Athen, auch die Regierung, auch die Vorgängerregierung der jetzigen in Athen stützt sich auf ein Rechtsgutachten. Wie klärt man so etwas dann?
"Anstand ist keine Rechtskategorie"
Hartwig: Da gibt es natürlich verschiedene Formen der Klärung. Das ist zunächst einmal natürlich durch Verhandlungen, dass man versucht, dann im Rahmen von Verhandlungen da zu einer Einigung zu kommen und zu sagen, sich den Positionen anzunähern und dann vielleicht dahin zu kommen, dass man derselben Auffassung ist. Das wäre natürlich der eleganteste Weg und dann könnte man das damit vielleicht endgültig aus der Welt schaffen. Wenn das nicht der Fall ist und die Griechen gehen dann weiter vor, etwa auch dann je nachdem über Klagen, was ja auch schon da gewesen ist, jetzt nicht speziell im Hinblick auf diesen Kredit, aber in anderem Zusammenhang mit Reparationsforderungen fanden ja vor griechischen Gerichten Verfahren statt. Da ist ja die Bundesrepublik der Auffassung und hat ja insofern auch vor dem IGH gewonnen, dass das jedenfalls ein Verstoß gegen das Prinzip der Staatenimmunität ist.
Kapern: Nun setzt sich die Fraktion der Linken im Bundestag vehement für eine Rückzahlung dieses Kredites inklusive Zinsen ein und in einer Pressemitteilung der Fraktion der Linken aus dem Bundestag von heute Morgen heißt es, dass das Geld zurückgezahlt werden muss, inklusive Zinsen. Ich zitiere mal: "Das gebieten Recht und Anstand." Dem Argument, dass das das Recht gebietet, dem widersprechen Sie ja. Aber ist Anstand eine Rechtskategorie?
Hartwig: Nein, Anstand ist keine Rechtskategorie. Wenn wir im Rechtlichen argumentieren, dann müssen wir uns auf Verträge, Völkergewohnheitsrecht und Ähnliches berufen, auf die Rechtsquellen, die dieser Materie zugrunde liegen. Anstand ist da keine Rechtsquelle, das ist eine politische Kategorie, und darüber kann man dann mit Fug und Recht sich unterhalten, was hier angezeigt ist.
Es gibt ja auch einen anderen Zusammenhang. Fälle, wo Deutschland Zahlungen geleistet hat unter dem Vorbehalt, dass es eine Rechtspflicht nicht anerkennt. So etwas ist möglich. Auch in diesem Fall wäre das möglich. Aber ich betone noch mal: Das wird dann nicht in Erfüllung einer Rechtspflicht geschehen.
Kapern: Würden Sie im Vergleich zu den anderen Fällen, in denen das gegolten hat - Sie spielen da möglicherweise an auf die Zwangsarbeiterentschädigung -, würden Sie der Bundesregierung empfehlen, über so etwas nachzudenken?
Hartwig: Das ist natürlich jetzt schon keine rechtliche Frage mehr, sondern eine politische, und ich spreche ja hier im Wege als Rechtswissenschaftler und nicht als Politiker. Aber wenn ich jetzt mal meine politische Auffassung zum Ausdruck bringen kann, dann würde ich sagen, dass das sicherlich sinniger wäre, im Rahmen jetzt der allgemeinen Wirtschaftskrise in Griechenland eine gewisse Großzügigkeit zu zeigen, als dieses alte Fass aufzumachen.
Kapern: …, sagt Matthias Hartwig vom Max-Planck-Institut für Völkerrecht in Heidelberg, bei dem ich mich recht herzlich bedanke für seine Expertise. Herr Hartwig, ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.
Hartwig: Auf Wiederhören.
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