Die verschärften Kontrollen an allen deutschen Grenzen während der Fußball-EM sollten aus Sicht der FDP im Bundestag bis auf Weiteres fortgesetzt werden, um die irreguläre Migration einzudämmen. Fraktionschef Dürr sagte der Funke-Mediengruppe, die Polizeikontrollen führten dazu, "dass wir sehr effektiv diejenigen aufgreifen, die illegal ins Land kommen wollen". Eine feste Frist dafür schwebe ihm nicht vor. Erst wenn es ein System gebe, das die europäischen Außengrenzen komplett schütze, könne man die Kontrollen der Binnengrenzen wieder abschaffen, sagte Dürr. Schon Ende Juni hatte FDP-Generalsekretär Djir-Sarai gefordert, die Kontrollen an allen deutschen Grenzen durch die Bundespolizei über die EM hinaus für ein weiteres Jahr zu verlängern.
Auch SPD und Union für weitere Kontrollen
SPD-Vizefraktionschef Wiese sprach sich ebenfalls für weitere Grenzkontrollen aus. Zwar sei "die Abschaffung der Schlagbäume eine der größten Errungenschaften der Europäischen Union", doch aus sicherheitspolitischen Gründen halte er es für einen gewissen Zeitraum über die Europameisterschaft hinaus für erforderlich, die Kontrollen aufrechtzuerhalten, sagte der Sozialdemokrat dem "Tagesspiegel". Das gelte in besonderer Weise mit Blick auf die Olympischen Spiele in Frankreich vom 26. Juli bis zum 22. August. Zudem müsse man sehen, wie sich die Flüchtlingszahlen entwickelten.
Zuvor hatten am Freitag schon die Innenminister der unions-geführten Bundesländer am Ende eines zweitägigen Treffens in Dresden die Bundesregierung aufgefordert, die verstärkten Grenzkontrollen fortzuführen.
Der Flensburger Europa-Abgeordnete Andresen von den Grünen kritisierte dieses Ansinnen. Wer die Grenzkontrollen nach der Fußball-EM verlängern wolle, der schade Pendlerinnen und Pendlern sowie der Wirtschaft. Die Einführung von Grenzkontrollen an den deutschen Außengrenzen während der Fußball-Europameisterschaft sei sicherheitspolitisch plausibel gewesen, die Forderung nach einer Verlängerung sei es nicht, betonte der Grünen-Politiker. Sein Parteikollege Marquardt ergänzte, wenn das Konzept des Schengenraums sterbe, werde auch die europäische Idee sterben. Dies müsse verhindert werden.
GdP: Stationäre Kontrollen sind ineffektiv
Schon seit Oktober vorigen Jahres hatte Deutschland an seinen Grenzen zu Polen, Tschechien und zur Schweiz stationäre Kontrollen eingeführt. Dadurch sollten illegale Einwanderung und Schleuserkriminalität eingedämmt werden. In einer Zwischenbilanz Ende April sagte Bundesinnenministerin Faeser, es seien rund 700 Schleuser festgenommen und mehr als 17.000 illegale Einreisen verhindert worden. Besonders spürbar sei der Rückgang an der deutsch-polnischen Grenze gewesen: Dort waren im ersten Quartal dieses Jahres 450 Asylgesuche gestellt worden - im gleichen Vorjahreszeitraum waren es fünfmal so viele.
Eine andere Ansicht vertritt die Gewerkschaft der Polizei. Wie eine GdP-Sprecherin Ende Juni mitteilte, sehe man keinen deutlichen Effekt zur Senkung der irregulären Migration durch stationäre Kontrollen. Viel effektiver seien aus polizeitaktischer Sicht mobile Kontrollen und eine bessere Vernetzung zwischen Bund und Ländern sowie eine verbesserte Zusammenarbeit mit dem Zoll, den Nachrichtendiensten und europäischen Partnern. Angesichts der schlechten Personalsituation sei bundesweit eine eigene Grenzpolizei, wie es sie in Bayern schon gebe, derzeit nicht machbar.
Schengen - Europäische Freizügigkeit mit Einschränkungen
Im Schengenraum sind Kontrollen an den Binnengrenzen eigentlich nur als letztes Mittel erlaubt - das Europäische Parlament hat für besonders schwerwiegende Bedrohungen jedoch im April dieses Jahres die Möglichkeit einer Verlängerung um bis zu drei Jahre verabschiedet. Bis dahin konnten die Schengen-Staaten im Fall "außergewöhnlicher Umstände" für zwei Jahre Kontrollen an den Binnengrenzen einführen. Außerdem sind kurzfristige Kontrollen möglich, etwa bei Großereignissen wie der Fußball-EM oder zuletzt im Juni rund um den G7-Gipfel in Italien. Derzeit haben nach Brüsseler Angaben mehr als die Hälfte der 27 Mitgliedsländer - 23 EU-Staaten sowie Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz - solche Kontrollen. Der Schengenraum sieht eigentlich freies Reisen ohne Passkontrollen und einen unbürokratischen Gütertransport vor. Doch auch im Ausland gibt es zahlreiche Forderungen, die Grenzkontrollen fortzusetzen.
Ende März traten die EU-Mitglieder Bulgarien und Rumänien dem Schengen-Abkommen bei - zumindest teilweise. An Flughäfen und Häfen wird nicht mehr kontrolliert, an den Landgrenzen allerdings immer noch. Hintergrund ist, dass viele illegale Einreisen auf dem Landweg mit Autos und LKW geschehen. Im Juni rügte der Europarat Dänemark für seine restriktiven Grenzkontrollen. An den Übergängen zu Deutschland würden vor allem Personen "vermeintlich nicht-westlicher Herkunft" herausgegriffen, besonders Muslime.
Das Schengen-Abkommen gibt es seit fast vierzig Jahren. Die ersten Unterzeichner waren am 14. Juni 1985 zunächst Deutschland und Frankreich sowie die Benelux-Staaten Belgien, Niederlande und Luxemburg. Dieser "Schengen I" genannte Vertrag wurde in der Folge in EU-Recht übernommen. Dadurch erweiterte sich der Wirkungsbereich auf alle damaligen Länder der Europäischen Union und alle Staaten, die in der Folge der EU beitraten. Die Inselstaaten Großbritannien (damals noch EU-Mitglied), Irland und Zypern setzten Ausnahmegenehmigungen für sich durch. Darüber hinaus traten auch die Nicht-EU-Länder Island, Norwegen, die Schweiz und Liechtenstein dem Schengen-Raum bei.
Hörtipp
Diese Nachricht wurde am 13.07.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.