Mike Herbstreuth: Bei uns geht es heute um einen Blick auf die Kunst der Zukunft. Ein Thema, mit dem sich auch das Forecast Festival beschäftigt, das ab morgen im Haus der Kulturen in Berlin stattfindet und dass die Zukunft, das Vorhersehen schon im Namen hat. Das Festival fördert seit 2015 jedes Jahr sechs innovative Projekte aus verschiedenen Bereichen, immer so an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft.
Freo Majer ist Gründer und Kurator des Forecast Festivals - Herr Majer, was sind das für Projekte, die sie dieses Jahr im Programm haben?
Freo Majer: Wir haben zum Beispiel eine Modedesignerin, Flora Miranda, die sich fragt, ob nicht die Spuren, die wir – jeder von uns – täglich im Netz hinterlassen durch Social Media und Suchmaschinen und so weiter, die auch als Material an uns zurückgespielt werden können. Dass also der einzelne User, die einzelne Userin, eine Art virtuelle Identität natürlich entwickelt, aber ja nie kennenlernt oder auch nie davon profitieren kann. Und sie lässt also alle diesen Daten durch einen Algorithmus verarbeiten und in ein Design einfließen und sie tragen dann im Grunde genommen das, was sie virtuell sind auch als Oberfläche nach außen, als Kleidungsstück – in dem Fall ist das gestrickt. Und sieht großartig aus.
Herbstreuth: Und wie sieht das aus, können Sie das beschreiben?
Majer: Also, das sind sehr, sehr hochwertige, sehr aufregend gestrickte Pullover. Und Flora mit ihrem Mentor hat sich gefragt, wie man das jetzt erzählbar machen kann in einem Festival, das ja nur zwei Tage dauert, und wo wir natürlich ein Erlebnis auch für die Besucherinnen und Besucher wollen. Und sie macht das jetzt über Musik. Wir haben Jaakko Eino Kalevi aus Finnland, einen wirklich grandiosen Musiker und Sänger, der uns seine Lyrics zur Verfügung gestellt hat. Und das heißt, wenn Sie jetzt zum Beispiel im Netz eine Persönlichkeit zeigen, die - sagen wir mal - gerne rosa trägt, Rosamunde Pilcher liebt und so weiter, dann wird also der Algorithmus aus diesen Lyrics von Jaakko Eino Kalevi sicherlich eine Zeile raussuchen, die vielleicht ein bisschen sentimental ist – oder eben rosarot - und das dann in den Pullover stricken.
Strahlungssichere Betten und breit gefächerte Ausdrucksspektren
Herbstreuth: Also, das ist eines der Projekte aus dem Bereich Design. Es gibt dann auch noch Architektur, Musik, Tanz, Videokunst und Kuration. Sind das denn alles solche Ideen, die nur in diesem bestimmten Rahmen des Festivals funktionieren oder ist da auch was dabei, bei dem Sie sagen: Das werden wir in Zukunft vielleicht auch auf der Straße ganz oft sehen – oder in den anderen Bereichen, die die dann auch beeinflussen könnten?
Majer: Ja. Ich würde sogar behaupten, dass wir alle weiter sehen werden. Das war auch in der ersten Edition so, dass alle diese Ideen Folgen hatten und haben – und zum Teil auch noch weitergehen und auch auf anderen Plattformen zu erleben sind.
Zum Beispiel ein anderes Projekt, das auch sehr praxisorientiert und sofort verstehbar ist, das ist das des Jungarchitekten Mathieu Bujnowskyj. Der beschäftigt sich mit der Frage, dass ja jeder von uns verschiedenen Strahlungen, Wellen, W-LAN und so weiter immer ausgesetzt ist – ja auch durchaus freiwillig und gemacht von jedem Einzelnen – und ob es da Anpassungsprozesse gibt, die sinnvoll sind. Sagen wir mal, in Wohnräumen, in Innenräumen, falls man mal nicht durchstrahlt werden will oder auch nicht erreichbar sein will, dass man das Denken, aber auch den Körper, sozusagen mal entlastet. Und im Grunde hat er was ganz Praktikables entworfen, nämlich drei Möbelstücke, drei Objekte, die dann auch jetzt wirklich erlebbar sind im HKW ab morgen. Die kann man dann auch ausprobieren und kann dann wirklich – das eine ist zum Beispiel ein Bett – sich auf dem Bett ausbreiten und ist dort nicht erreichbar. Man kann per I-Phone - oder was auch immer - kann man keine E-Mails empfangen, nicht anrufen und so weiter.
Herbstreuth: Also durchaus auch praxisorientiert?
Majer: Absolut, ja. Also, die eher künstlerischen Projekte würde ich jetzt nicht in so einer Benutzbarkeit ansiedeln oder so, aber auch die haben immer ein sehr breit gefächertes Ausdrucksspektrum und sind sehr vielseitig erlebbar und die gehen alle noch weiter.
"Wir trauen Dir das zu"
Herbstreuth: Wieso braucht es denn so ein Festival, das sich so speziell auf innovative Ideen und Projekte spezialisiert hat? Bietet der normale Kunstbetrieb für so was nicht so viel Raum?
Majer: Also, das scheint wirklich so zu sein. Ich war da am Anfang natürlich gar nicht sicher, ob das so gebraucht wird und ob das alles so aufgeht. Aber wir haben jetzt, für diese Edition, mehr als 450 Bewerbungen bekommen aus 82 Ländern, also unterschiedlichste Hintergründe. Das sind zum Teil aber auch wirklich nicht nur künstlerische Berufe, die diese jungen Leute haben, sondern auch Ingenieure und Forscherinnen und so weiter. Und diese Leute scheinen genau das zu wollen, was wir anbieten – nämlich wir sagen: Innovation braucht eigentlich erst mal eine Freiheit, dass man keine Bedingungen stellt, keine Ergebnisse vorwegnimmt, sondern total dem Schöpfer, der Schöpferin zugesteht, das selber zu entwickeln und zu erfinden. Und auf der anderen Seite aber einen Rahmen, ein Framework, das Sicherheit gibt, also Strukturen, das Mentoring, das wir geben, auch Beratung, Räume, Wahrnehmbarkeit – und letzten Endes ist es immer Geld. Das ist keine große Zauberei, aber erfordert natürlich den Mut, zu sagen: Wir trauen Dir das zu und mach das, was Du machen willst.
Herbstreuth: Wie viel bekommt denn jeder von den Projektmachern und –macherinnen von Ihnen?
Majer: Das kann man letzten Endes nicht mehr so genau sagen. Weil die bekommen, neben einem wirklich winzigen Kernbudget, bekommen die von uns ganz starke Unterstützung beim Antragschreiben, und wir schreiben auch selber Anträge für sie. Das heißt: Jeder ist am Ende, also jetzt zum Beispiel kurz vor dem Festival, eingebettet in so ein Netzwerk von Förderungen, Residencies, Stipendien. Das sind Goethe-Institute, Stiftungen und so weiter, die wir alle angehen. Und das lässt sich nicht als Zahl fixieren. Also auch, dass wir die Räume natürlich denen zur Verfügung stellen und die Techniker und die, sagen wir mal, Videoscreens und was die auch brauchen – das ist natürlich alles was wert. Das organisieren und finanzieren wir alles. Aber es wäre jetzt schwierig, so ein Modeprojekt zu vergleichen mit einem Kuratieren-Projekt mit fünf verschiedenen Künstlern im großen Saal oder so.
Innovation braucht Freiheit
Herbstreuth: Was ist denn dann unter den Umständen Ihr Ziel mit diesem Festival, was erhoffen Sie sich?
Majer: Also, zum einen generell, sagen wir mal, groß gedacht geht es ja wirklich um die Ideen, um die Innovationen, dass wir Innovationen nur dann erwarten können und befördern können, wenn wir diese Art Freiheit gewähren. Und andererseits aber auch eine konkrete Sicherheit geben, eine Art Unterstützung – das ist ein großes gesellschaftliches Ziel, von dem wir alle profitieren, von dem wir auch alle abhängen werden. Und das andere ist natürlich, dass auch diese einzelnen Leute weiterkommen sollen, dass die in ihren Ideen, in ihren Talenten und Möglichkeiten gefördert werden, einen Schub bekommen, ihre Karriere weiter aufbauen können. Das ist dann sozusagen im Kleinen das, was wir auch erreichen wollen.
Herbstreuth: Und wenn Sie jetzt so ein bisschen zurückblicken auf die letzten zwei Jahre – bewahrheiten sich die Hoffnungen?
Majer: Ja, ja, sehr. Also, das ist ganz berührend und ganz schön, wie auch diese jungen Leute weitermachen können und uns auch immer wieder zurückspielen, was inzwischen daraus geworden ist. Wir haben eigentlich jeden von denen fast übergangslos in die nächste Art Netzwerk, Förderung und so weiter sozusagen weitergereicht. Und viele dieser Projekte sind eigentlich noch viel größer geworden, haben Preise gewonnen. Es ist da natürlich inzwischen auch viel mehr Geld und Arbeit reingeflossen. Und das ist schon sehr, sehr schön.
Herbstreuth: Dann hoffe ich, dass das auch dieses Jahr der Fall sein wird. Herr Majer, vielen Dank für das Gespräch.
Majer: Vielen Dank, Danke auch.
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