"Die Fliegen sind enorm schnell. Eine Schmeißfliege legt 150 Eier in einem Paket ab. Und dann kommen vielleicht 20 Fliegen oder noch mehr, und dann gibt es ein riesen Gewusel auf dem Kadaver. Dann kann der in kurzer Zeit weg sein."
Christian von Hoermann ist forensischer Entomologe an der Universität Ulm. Er erforscht, welche Insektenarten als Aasfresser am Abbau von toten Tieren beteiligt sind. Sein jüngstes Projekt heißt "Necropig". 75 tot geborene Schweineferkel legten er und seine Mitarbeiter in unterschiedlichsten Waldgebieten in Deutschland aus. Es ging darum, zu beobachten, in welchem Zeitraum die Kadaver zersetzt werden. Die Prozesse liefen schneller ab, als man gemeinhin vermuten würde.
"Schon nach sechs Tagen war das erste Ferkel skelettiert."
Im längsten Fall hatten die Insekten ihren Job nach 30 Tagen erledigt. Die Analysen der Forscher ergaben: Temperatur und Feuchtigkeit gehören zu den zentralen Faktoren, die die Abbaugeschwindigkeit mit bestimmten. Doch daneben gibt es noch weitere wichtige Einflussgrößen. Die Vielfalt der aasfressenden Insekten beispielsweise, vor allem bei den Dung- und Aaskäfern.
Biodiversität an naturnahen Standorten höher
Sie besiedeln die Kadaver typischerweise erst dann, wenn die Schmeißfliegenmaden sich dort an den Weichteilen schon satt gefressen haben. Die Käfervielfalt wiederum wird maßgeblich vom Zustand der Wälder bestimmt. Dort, wo die Forstwirtschaft schon stärker in die Natur eingegriffen hat, gibt es weniger Käferarten. Auf naturnahen, ungestörten Standorten hingegen sei die Biodiversität höher, und die Zersetzung erfolge umso schneller, so Christian von Hoermann.
"Es befinden sich vorher schon mehr Insekten in diesen Wäldern, also nicht nur von der Abundanz, sondern auch von der Artenzahl. Und dann kann so eine Sukzession, wie man das in der Fachterminologie nennt, diese Besiedlungswellen, die da am Kadaver stattfinden, also verschiedene Arten zu verschiedenen Zeiten, die läuft natürlich ungestört ab. Die Fliege ist die Vorbedingung für die Käfer. Die wiederum konkurrieren untereinander. Und je ungestörter das ganze abläuft, desto schneller wird so ein Kadaver auch zersetzt."
Forensische Gutachten könnten genauer werden
Interessant sind solche Erkenntnisse für die Forensik. Wenn es für Gerichtsmediziner darum geht, zu bestimmen, wie lange eine Leiche schon im Wald gelegen hat, sind die daran zu findenden Aaskäfer ein wichtiges Indiz. Bezieht man dabei auch die feinen Unterschiede in der Artenvielfalt mit ein, die sich anhand des Waldtyps und dessen Bewirtschaftung ergeben, könnten forensische Gutachten in Zukunft deutlich genauer werden.
"Viele forensische Studien gehen in den Hinterhof, legen dort Kadaver aus und schauen was passiert. Aber wir haben eben gesehen, dass diese enormen Artenzahlen und Individuen-Unterschiede nur herauszufinden sind, wenn man wirklich sich das ganze großflächig anschaut. Und wenn wir eben rausfinden, dass in gestörten Habitaten das ganze langsamer verläuft, dann ist das ein ganz wichtiger Aspekt. Das heißt es verändert auch unsere Liegezeitberechnung. Wir müssen mehr Zeit mit einplanen in dem gestörten Habitat, um exaktere Aussagen machen zu können."
Bis die Gerichtsmediziner die neuen Erkenntnisse auch regulär in der Praxis einsetzen können, werden noch weitere Experimente nötig sein. Für Christian von Hoermann wird es als nächstes darum gehen, für die verschiedenen Waldtypen in Kombination mit Witterungseinflüssen sogenannte Standardliegezeiten von Leichen in ihren verschiedenen Zersetzungsphasen zu bestimmen. Sie können den Forensikern dann als Maßstab für ihre Gutachten dienen.