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Form des Protestes
Die Ambivalenz des Kniefalls

Der Kniefall spielt in der Symbolsprache der Black-Lives-Matter-Bewegung eine zentrale Rolle. Dabei ist die Geste als Protest widersprüchlich, denn traditionell steht sie für Demut und Unterwerfung. Seit dem Mord an George Floyd hat sie noch eine weitere Bedeutungsdimension gewonnen.

Von Tim Baumann |
Colin Kaepernick (Mitte) kniet zusammen mit Eli Harold und Eric Reid vor einem Football-Spiel im Stadion am 2. Oktober 2016 in Santa Clara, Californien.
Footbal-Spieler Colin Kaepernick machte mit Teamkollegen den Anfang: Der Kniefall ist zum Symbol für weltweiten Protest gegen Unterdrückung und Rassismus geworden (imago / Zuma Press)
Der Kniefall wird zum Symbol der Black Lives Matter-Bewegung, als der Football-Spieler Colin Kaepernick sich im August 2016 nicht für die Nationalhymne erhebt – stattdessen sinkt er auf die Knie. Das bringt ihm den Vorwurf ein, unpatriotisch zu sein. Colin Kaepernick rechtfertigt seine Entscheidung: Er wolle keinem Land seine Ehrerbietung erweisen, in dem schwarze Menschen unterdrückt werden. Dass Colin Kaepernick als Ausdruck dieser Respektsverweigerung gerade den Kniefall gewählt hat, irritiert.
Eine traditionelle Opfer- und Demutsgeste
Denn: "Dieses auf die Knie gehen ist ganz eng mit Respekt und vor allem mit Demut verbunden, weil es eben bedeutet auch sich klein machen, sei es vor Gott, da hat es natürlich eine ganz lange Tradition, sei es aber auch in bestimmten politischen, sozialen Situationen."
Erklärt Kathrin Fahlenbrach, Professorin für Medienwissenschaft an der Universität Hamburg. Eine solche Umdeutung kultureller Codes nennt man in den Sozialwissenschaften kulturelle Aneignung.
"Also kulturelle Aneignung bedeutet ja erst mal, dass man sich aus dem Symbolarsenal eines kulturellen Feldes bedient und das anwendet auf ein anderes kulturelles oder gesellschaftliches Feld. Und in dem Fall haben wir es natürlich mit verschiedenen Formen der kulturellen Aneignung zu tun, im weiteren Sinne."
Denn einerseits wird im Kniefall die Geste der Machtlosigkeit, des Sich-klein-Machens ersetzt durch eine Botschaft des Protests gegen Unterdrückung – Black Lives Matter. Andererseits aber wird die Geste auch im Kontext von "I Can't Breathe" verstanden – von kultureller Aneignung möchte Kathrin Fahlenbrach hier zwar nicht sprechen.
Subtile Qualität einer nicht eindeutigen Geste
Der Kniefall der Black Lives Matter-Bewegung ist also in mehrerlei Hinsicht symbolisch aufgeladen. Zudem habe er gegenüber anderen Symbolgesten – wie etwa der in die Höhe gereckten Faust der Black Power Bewegung – noch eine andere, subtile Qualität, so Kathrin Fahlenbrach:
"Dass der Kniefall erst mal rein physisch, körperlich betrachtet, mehr Umraum in Anspruch nimmt als der Körper, der die Hand in die Luft reckt. Und ich denke, insofern hat es gerade für die aktuellen Protestbewegungen eine gewisse Tragweite als der Kniefall, von einer größeren Protestmenge ausgeführt, besonders viel Raum in Anspruch nimmt. Das heißt, man könnte sagen: Die Symbolik des Sich-klein-Machens wird im öffentlichen Raum noch mal sichtbarer – oder ist raumgreifender. Also es hat diese Gleichzeitigkeit von Klein-Machen und gleichzeitig Raum-Einnehmen."
Jenseits aller Widersprüche und kulturellen Verortungen ist der Kniefall der Black Lives Matter-Bewegung aber in einer Hinsicht vollkommen eindeutig – er ist eine klar pazifistische Geste. Damit folgt er einem Trend in der Protestkultur: und kontrastiert gleichermaßen das, wogegen er sich richtet.
Dossier: Rassismus
Dossier: Rassismus (picture alliance / NurPhoto / Beata Zawrzel)